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Wie kann ich lernen, alleine zu sein?

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Vor Kurzem besuchte ich Freunde in einer anderen Stadt. Ich blieb über Nacht und wollte am folgenden Tag weitere Freunde besuchen. Doch die mussten leider kurzfristig absagen. Dort, wo ich war, konnte ich auch nicht länger bleiben, weil Familienbesuch anstand. Und während sich die lieben Menschen also auf das Eintreffen weiterer lieber Menschen einstellten, Telefonate führten und schon mal den gemeinsamen Tag planten, musste ich mich verabschieden und in den Zug steigen. Da saß ich dann und tat mir selbst leid, bei der Aussicht auf die einsame Wohnung und den einsamen Abend: Mitbewohnerin verreist, Fernbeziehungsfreund in einer anderen Stadt und Freunde in der eigenen Stadt alle schon verplant. Ich war auf eine gesellige Zeit eingestellt und konnte es schlicht nicht ertragen, plötzlich und unerwartet auf mich selbst gestellt zu sein.

Das Problem habe ich öfter. Ich kann nicht gut alleine sein. Wenn ich von irgendwo abreise oder ein Besucher wieder abreist, dann finde ich das schlimm. Ich habe auch noch nie alleine gewohnt, sondern immer nur in WGs, weil ich das Gefühl brauche, das noch jemand anders in der Wohnung ist. Als ich ins Ausland ging, wollte ich mich meinem Alleine-Ich eigentlich stellen. Doch dann gab es außer mir noch eine zweite Freiwillige, mit der ich mich sehr gut verstand und schließlich wohnten, arbeiteten und reisten wir zusammen. Und ich sagte mir: Wieso soll ich mich zum Alleinsein zwingen, wenn doch zusammen alles mehr Spaß macht? Das Problem ist bloß, dass man sich damit nur selbst belügt. Denn manchmal muss man eben alleine sein.

Man muss nicht nur, man soll sogar. Alleine sein können ist sehr wichtig, sagt der Psychologe Prof. Dr. Jürgen Zulley: „Wir sind autarke Personen und müssen unabhängig von unserer Umwelt sein können. Dazu gehört das Alleinsein und dass man diesen Zustand gerne annimmt. Nur so kann man sich als unabhängige Person erleben." Wer nicht gut allein sein kann, ist oft generell unsicher und braucht andere als Selbstbestätigung. Er fühlt sich daher schnell einsam. „Allein ist man", erklärt Zulley, „wenn man gerade keine Kontakte und seine Ruhe hat. Bei Einsamkeit ist das genauso – mit dem Unterschied, dass man unter diesem Zustand leidet." Prof. Zulley hat bereits Experimente zum Alleinsein durchgeführt. Dabei waren Versuchspersonen für vier Wochen in unterirdischen Räumen eingeschlossen, ohne Kontakt zur Außenwelt. „Das wichtigste Ergebnis war, dass die meisten diese Zeit als sehr positiv empfunden haben, weil sie ihre Tätigkeiten viel intensiver erleben konnten als sonst", berichtet Zulley. Aber wie kann man lernen, alleine zu sein, wenn es einem schwerfällt?

Dafür ist es wichtig, erst einmal zu akzeptieren, dass ein gut ausbalancierter Rhythmus aus Kontakt und Alleinsein für jeden Menschen wichtig und gesund ist – und dass Alleinsein darum eben nichts Negatives ist. Trainieren kann man es, indem man es bewusst anstrebt. „Man muss lernen, sich auf Dinge zu konzentrieren", rät Prof. Zulley, „man kann zum Beispiel ganz bewusst Musik hören oder spazieren gehen, so kann das Alleinsein ein meditativer Zustand werden." Stur einen Trainingsplan durchziehen bringt aber nichts. Man sollte in sich hineinhorchen und sich zum Alleinsein erstmal die Momente wählen, in denen es einem gut geht. „Wenn man schlecht drauf ist und sich Kontakt wünscht, dann sollte man sich den auch suchen", so Zulley.

Dass einem das Alleinsein nach einer geselligen Zeit zusetzt, ist ganz natürlich. „Unter Kollegen nennen wir das die ‚Postkongressdepression'", erzählt Prof. Zulley. Wenn man schon vorher, noch unter Leuten, Angst vor dem Alleinsein hat, hilft es, sich schon einmal zu überlegen, was man später machen wird. Wichtig ist aber, dass man nicht wieder in Aktionismus verfällt, sondern lernt, runterzukommen und sich auf sich selbst einzustellen. Da muss jeder seine eigene Methode finden, ob das nun eine Runde Radfahren oder ein Nachmittag mit der Zeitung ist. Wenn man es dann schafft, die Momente alleine zu genießen, kann man auch wieder mit voller Kraft in die Gesellschaft starten. „Wir sind Gruppentiere", sagt Zulley, „aber wir sind auch ein bisschen wie Igel: Abstand ist notwendig, damit man sich nicht zu sehr sticht."
 
Nadja Schlüter, 25, kann nicht gut alleine sein und schließt nachts die Zimmertüre ab, wenn ihre Mitbewohnerin verreist ist, weil die leere Wohnung ihr ein bisschen Angst macht.
Fünf Tipps, wie man mit dem Alleinsein besser zurechtkommt:

1. Die meisten Menschen, die nicht gut allein sein können, empfinden die Zeit ohne Kontakte vor allem als eine negative Zeit. Der erste Schritt hin zum glücklichen Alleinsein ist daher, zu akzeptieren, dass jeder Mensch einen ausgewogenen Rhythmus aus Kontakten und Zeit alleine braucht. Dosiertes Alleinsein ist ein natürliches Bedürfnis und sehr gesund.

2. Alleinsein kann man trainieren, indem man es bewusst anstrebt. Einfach einen Moment, einen Nachmittag, einen Tag festlegen, an dem man ohne andere etwas unternimmt oder auch einfach nur alleine Zuhause bleibt.

3. Damit das bewusste Alleinsein sich auch positiv auswirkt, muss man in der Lage sein, sich auf etwas zu konzentrieren. Das kann man zum Beispiel mit Musikhören ausprobieren oder auf einem Spaziergang. Auch bewusstest Nichtstun ist eine Option – obwohl das den meisten besonders schwer fällt.

4. Wer das Alleinsein lernen will, sollte nicht zu hart mich sich selbst sein. Es bringt nichts, sich einen „Trainingsplan" aufzustellen und diesen stur durchzuziehen. Der Mensch ist ein Herdentier und wenn es ihm nicht gut geht und er Kontakt braucht, sollte er ihn suchen. Zum Alleinsein-Üben also lieber erstmal die Momente nutzen, in denen es einem gut geht.

5. Das Loch, in das man fallen kann, wenn man nach einer Zeit unter Freunden wieder alleine ist, kennen viele. Um es zu vermeiden oder sich abzufedern, hilft es, sich schon vorher zu überlegen, was man später machen wird. Es sollte aber keine größere Aktion sein, sondern etwas, mit dem man runterkommt, sich also sanft von der Geselligkeit ins Alleinsein hinüberrettet. 

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