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Wann muss ich Trinkgeld geben - und wie viel?
Acht Stunden hatte ich mir die Füße wund gekellnert, da kamen zwei Anzugträger ins Lokal. Nachts um zwei wollten sie Rotwein. Kurz vor ihrem Tisch kam ich ins Stolpern, schon färbte sich die beige Hose des einen rosa vom Cabernet. Ich murmelte Entschuldigungen, brachte Salz und ein neues Glas Wein. Es war fast drei Uhr, als die beiden die Rechnung wollten. „10,40 Euro", sagte ich, fast beschämt, überhaupt Geld zu verlangen. „Machen's 14 Euro", sagte der Mann, „weil's so flink waren." Die ganze Woche hatte ich gute Laune, nicht wegen 3,60 Euro, sondern wegen der Freude über den Mensch als solchen. Ich verfiel in einen Trinkgeldwahn – Klofrau, Tankwart, Bäckersfrau, überall, schien mir, waren Menschen, die es verdient hätten, Trinkgeld zu bekommen. Nach einer Weile schaute meine Mutter mich verunsichert an. „Ist das genug?" fragte sie vor dem Bezahlen, wenn wir essen waren. Sie hatte Recht, nachzufragen. Denn bis heute bin ich trotzdem unsicher: Wann ist Trinkgeld nötig, wann übertreibe ich es?
Tatsächlich gibt es Grundregeln, erklärt Sophie Plettner. Sie leitet in München ein Hotel, war Geschäftsführerin eines Clubs und hat unzählige Abende im Service hinter sich: „Grundsätzlich sollte man Trinkgeld geben, wenn man mit einer Dienstleistung besonders zufrieden war. Vor allem, wenn man davon ausgehen kann, dass der oder diejenige nicht herausragend verdient." Also lag ich richtig: auf die Klofrau trifft das sicher zu, auf die meisten Taxifahrer auch.
Aber wie definiert man eine gute Dienstleistung? Hilfreich ist es, sagt Plettner, sich zu fragen: „Hab ich mich gut betreut gefühlt? Habe ich mich wohl gefühlt? Wer war dafür verantwortlich?" Genau jener Mensch verdient dann Trinkgeld und zwar im Schnitt 10 Prozent dessen, was ich ausgegeben habe.
Ein Zehnerl hier, ein paar Euro da, gibt man ambitioniert, kommt einiges zusammen im Lauf des Tages. Ist es nicht okay, auch mal kein Trinkgeld zu geben? Nein, findet Sophie: „Wenn ich mir ein Bier für 3,20 Euro leisten kann, kann ich auch 30 Cent Trinkgeld geben", sagt sie, „das lässt sich in jede Rechnungshöhe adaptieren." In der Dramatik des Nicht-Trinkgeld-Gebens sieht sie trotzdem ein paar Abstufungen: „Wenn es nur um einen Kaffee und ein Wasser geht, ist es nicht nett, nichts zu geben – aber nicht im Ansatz so gravierend, wie in manch anderem Fall." Besonders oft vergessen die Gäste zum Beispiel, dem Zimmermädchen Geld zu geben, erzählt sie.
Klar, überall Trinkgeld zu geben, muss nicht sein, das findet auch Sophie. Bei der Kassiererin im Supermarkt oder einer Verkäuferin wäre es vielleicht übertrieben. Aber auch in manch unüblichem Bereich kann es langfristig klug sein: Auf den Postboten, der die Päckchen in den fünften Stock trägt, ist man eventuell auch nächstes Weihnachten angewiesen. Und die Putzfrau macht ihre Arbeit sicher gründlicher, wenn sie unerwartet Urlaubsgeld bekommt. Aber immer kräftig aufrunden, wirkt das nicht arrogant gegenüber demjenigen, dem man Geld gibt? „Geld ist Geld", sagt Sophie, „ob's arrogant wirkt, hängt nicht vom Betrag ab, sondern vom Verhalten."
Lea Hampel (27) gibt im Zweifelsfall immer noch zu viel Trinkgeld. Unfreundlichen Taxifahrern und Kellnern ihre Meinung zu sagen, muss sie dagegen noch eine Weile üben.
Fünf Tipps für den Umgang mit Trinkgeld:
1. Nie ganz weglassen. Wenn man sich die 10 Prozent zusätzlich nicht leisten kann, sollte man verzichten – sei es aufs Bier oder die Taxifahrt.
2. Niedrige Löhne kann man zwar grundsätzlich blöd finden, aber indem man eine Leistung in Anspruch nimmt, akzeptiert man die Bedingungen der jeweiligen Branche. Daher immer bedenken: Mit Trinkgeld kann man schlechte Bezahlung ausgleichen.
3. Nicht nur im Restaurant Trinkgeld geben. Mancher Tankwart ist netter als ein anderer und die Änderungsschneiderin hat sich ihre Finger für einen zerstochen.
4. Plastik zählt auch. Trinkgeld kann man oft auch auf mit EC- oder Kreditkarte geben. Also einfach nachfragen.
5. Mut zur Null: Wenn der Service objektiv schlecht war, kann man das Trinkgeld weglassen. Dann sollte man aber auch deutlich sagen, was nicht gepasst hat.