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Prokrastination – wie kriege ich sie in den Griff?

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Ich schreibe eine E-Mail an Hans Werner Rückert, den Leiter der Studien- und psychologischen Beratung der Freien Universität Berlin. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist Prokrastination. Er hat auch das Buch „Schluss mit dem ewigen Aufschieben: Wie Sie umsetzen, was Sie sich vornehmen.“ geschrieben. Fünf Minuten später klingelt mein Telefon. Ich bin ziemlich baff ob der schnellen Rückmeldung. „Sie wissen, ich bin kein Freund davon, etwas auf die lange Bank zu schieben“, sagt Rückert.

Er möchte mit mir nicht darüber sprechen, wie ich meinen Schreibtisch für mehr Produktivität umräume oder meine To-Do Listen effizienter strukturiere: Solche Tipps gibt es genug im Internet und im Ratgeberegal.

Stattdessen erklärt Rückert den grundlegenden Mechanismus der Motivation. Diese hängt von drei Faktoren ab. Erstens: Positive Erwartungen. Je mehr wir daran zweifeln, dass uns die Aufgabe gelingt, desto eher schieben wir sie auf. Zweitens: Wie viel ist uns das Ergebnis persönlich wert? Wenn es die Eltern sind, die einem den Einskomma-BWL-Abschluss abverlangen, brauche man sich nicht über seine Unlust beim Pauken wundern. Drittens: Die Zeitspanne zwischen dem Anfang einer Tätigkeit und ihrem Erfolg. Je schneller wir Ergebnisse sehen, desto leichter fällt es uns, anzufangen.

Das ist der Grund, warum sich unser Gehirn für eine Hausarbeit mindestens 20 Minuten „warmlaufen“ muss, Facebook aber aus dem Stegreif klappt und uns sofort in einen geradezu narkotischen Bahn zieht: Klick, schon hat sich etwas Neues geladen. Da unser Gehirn sich nach schnellen Erfolgsergebnissen sehnt, rät Rückert große Projekte in kleine Häppchen aufzudröseln. Also nicht „In vier Wochen die Bacherlorarbeit“, sondern: „Heute die Einleitung“.

Auch Hemingway hatte auf seiner To-Do Liste sicherlich nicht stehen: „Weltliteratur schreiben“. 400 Worte am Tag, mehr verlangte er von sich nicht. Dafür hielt er sich auch dran, ungeachtet seiner Alkoholexzesse und körperlichen Verfassung. Rückert erzählt, dass es zwei Typen von Aufschiebern gibt: Erregungsaufschieber –Menschen, die alles auf den letzten Drücker tun, um Spannung ins Leben zu bringen. Vermeidungsaufschieber zögern wichtige Dinge dagegen heraus, um Angstgefühle zu vermeiden. Nach Schätzungen von Psychologen prokrastinieren etwa 20 Prozent der Bevölkerung häufig.

Im Akademischen Bereich gehört das Kokettieren mit der eigenen Aufschieberei (wie zum Beispiel meine Facebook-Bekenntnisse) fast zur Imagepflege. Es ist eine Abgrenzung zur Arbeitern, die ihre Zeit nicht selbst frei einteilen können und außerdem auch ein bisschen Ego-Schutz: Ich posaune meine – liebenswerte – Disziplinlosigkeit heraus und signalisiere, dass mir am Ende einfach nicht die Zeit fehlte, den bahnbrechenden Artikel über Aufschieben zu schreiben, der unter besseren Voraussetzungen möglich wäre. Und dennoch ist Aufschieben nicht immer krankhaft. Natürlich leidet die Qualität, wenn man am Ende keine Zeit, die Hausarbeit gegenlesen zu lassen. Für manche ist der Erledigungsdruck aber tatsächlich wichtig – so bekommen sie den nötigen Kick, so wird die Arbeit zum Spaß.

Schiebt man eine Aufgabe allerdings besonders heftig vor sich hin, mögen die Gründe tiefer liegen. Will ich die Sache wirklich? Natürlich ist nicht jede aufgeschobene Statistikübung Grund zum Zweifel an der Studienwahl. Unangenehme Sachen erledigt man meistens auf den letzten Drucker, auch wenn sie einem guten Ziel dienen. Für solche Fälle gilt: Sich bewusst machen, was die Kosten für das Versäumen sind. Und dass es deine Entscheidung war, diese Aufgabe anzunehmen. Denn: Du musst in deinem Leben nichts machen. Du musst nur mit den Konsequenzen leben. Macht man sich seinen freien Willen bewusst, fällt es meist leichter, loszulegen.

Wlada Kolosowa, 24, hat diesen Text pünktlich abgegeben - fünf Minuten vor Deadline. Wird der Drang zu groß, auf die Aktualisierungstaste von Facebook zu hämmern, starrt sie auf das Poster über ihren Schreibtisch. Darauf ist eine geballte Faust abgebildet und der Aufruf "Procrastinators unite! Tomorrow."
Fünf Tipps für Opfer des Hangs zur Aufschieberei:

1. Belohn’ dich, nachdem du ein Ziel erreicht hast! Als Belohnung gilt alles, was leichter fällt, als die Aufgabe selbst - auch Wäschewaschen und Laptopabstauben.

2. Eine Kaffeeverabredung mit Freunden ist dabei wirksamer, als der belohnende Schuhkauf, der oft in Frauenzeitschriften zitiert wird. „Der Mensch ist ein soziales Wesen“, erklärt Rückert. „Bestätigung durch andere ist unser größter Anreiz und Lohn!“

3. Vorsicht vor gutgemeinten To-Do-Listen: Sie können ein Aufschiebe-Mittel der übelsten Sorte sein, weil sie sich ja anfühlen, als würde man etwas Nützliches machen. „So ganz ohne geht’s aber auch nicht“, sagt Rückert. Um sich zu motivieren, muss man sein Arbeitspensum überschauen. Auf keinen Fall dürfen die Listen aber zum Selbstzweck werden.

4. Die Aufgabenlisten müssen realistisch sein. Schließlich sollen sie „motivieren und nicht deprimieren“. Deswegen: Alle Aufgaben streichen, die du sowieso nie ernsthaft machen wirst.

5. Anfangen! Auch wenn zuerst nichts Sinnvolles aufs Papier kommt. Nichts lähmt so sehr, wie die Angst vor dem Beginn.

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