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Kann ich mich vor Gericht selbst verteidigen?
Natürlich geht es im Gerichtsalltag oft um Kleinigkeiten, natürlich ist ein Völkermord nicht das gleiche wie ein Zug-Unfall - aber das Prinzip, nach denen ein Anwalt in beiden Fällen arbeitet, schon. Er versucht, den Kopf des Angeklagten noch aus der Schlinge zu ziehen, Anschuldigungen abzuschmettern, die Unschuld zu beweisen. Aber kann man das nicht selber? Schließlich weiß man selbst am besten, was man verbrochen hat. Kann man sich vor Gericht selbst verteidigen?
„Vor Amtsgerichten darf man grundsätzlich selbst auftreten“, sagt der Berliner Anwalt Christian Christiani. Vor allen höheren Gerichten, wie beispielsweisLe vor Land- oder Oberlandesgerichten, wo die schwerwiegenderen Fälle und Streitigkeiten ab einem Wert von fünftausend Euro verhandelt werden, muss ein Verteidiger dabei sein. Genauso auch bei Scheidungen. Christiani vertritt Mandanten im Wirtschaftsrecht; manchmal, sagt er, schaffe man das ohne Anwalt. Im Strafrecht, wenn der Staat als Ankläger auftritt, gilt dasselbe. „Allerdings ist es nicht zu empfehlen, sich in diesen Prozessen selbst zu verteidigen“, sagt Strafverteidigerin Nina Wittrowski. „Die Aufgabe eines Anwalts ist nicht nur zu verteidigen, sondern auch ein faires Verfahren zu gewährleisten.“ Vor allem aber habe er erstens mehr Rechte - „Einsicht in Gerichtsakten bekommt man nur über einen Anwalt“ - und zweitens mehr Erfahrung. „Ein einfaches Vernehmungsprotokoll der Polizei kann locker fünf Seiten umfassen.“
Das Wichtige, das Entlastende, finden Laien in der Informationsflut der Dokumente oft nicht. Ein Anwalt sei deshalb immer auch ein Übersetzer, sagt sie. Die Anwaltskosten dafür trägt jeder selbst. Wittrowski weißt auch auf ein Gerücht hin: Ein Pflichtverteidiger ist nicht grundsätzlich umsonst. „Wird ein Angeklagter verurteilt, muss er auch die Kosten für seinen Pflichtverteidiger übernehmen.“ Die Gebühren für Anwälte sind im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz geregelt, sie richten sich meist am Streitwert und der Tätigkeit - also ob der Rechtsanwalt nur berät, einen vor Gericht vertritt oder außergerichtlich vermittelt. Hinzu kommen Auslagen wie Fahrtkosten. Im Internet, beispielsweise bei anwalt-suchservice.de oder der anwaltsauskunft gibt es Tools, die die Anwaltskosten grob errechnen. Mit Rechtsschutzversicherungen kann sich jeder absichern, sie übernehmen dann die Kosten - zumindest theoretisch, denn in der Praxis gibt es viele Ausnahmen.
Die Frage nach dem Erfolg treibt mich immer noch um. Was kann ein Anwalt tun? Steigt die Chance, einen Prozess zu gewinnen, mit einem guten Anwalt? „Wir können entlastendes Material finden“, erklärt Verteidigerin Wittrowski. Wie sehr einen die Beweise an die Wand drücken, welchen Spielraum man noch habe, das erkenne ein Anwalt. Und die Möglichkeiten, die sich daraus eröffnen, auch. „Wir können dann verschiedene Szenen durchspielen.“ Natürlich könne kein Verteidiger einen Täter reinwaschen - aber, sagt Nina Wittrowski, wer sich von einem Profi verteidigen lasse, kommt oft mit einem milderen Urteil raus.
Benjamin Dürr, 26 Jahre, hat als Journalist schon einige Prozesse beobachtet - und freut sich besonders über lebhafte Plädoyers der Verteidiger.
Fünf Tipps für die Verteidigung vor Gericht:
1. Nur vor Amtsgerichten ist „Selbstverteidigung“ erlaubt: Aber nur in Zivilprozessen und wenn es um einen geringen Streitwert geht, sei dies tatsächlich auch zu empfehlen, sagen die Anwälte Christian Christiani und Nina Wittrowski.
2. Verteidiger haben mehr Rechte, sie können Einsicht in die Prozess-Akten verlangen, die Privatpersonen verschlossen blieben. Und sie haben mehr Erfahrung, diese Dokumente auch zu lesen und zu nützen. Anwälte seien Übersetzer, sie kennen sich auch in den Gesetzen ihres Fachgebiets besser aus als Laien.
3. Auch ein Anwalt kann niemanden reinwaschen: „Aber wir können entlastendes Material finden“, erklärt Wittrowski. Verteidiger kennen außerdem die verschiedenen Möglichkeiten und können Szenarien entwickeln.
4. Das Recht auf einen Anwalt: Pflichtverteidiger bekommt jeder, der in Untersuchungshaft sitzt. Auch wer mit einer Freiheitsstrafe von ungefähr einem Jahr rechnen muss, bekommt einen Pflichtverteidiger an die Seite. Allerdings sei dieser nicht umsonst, erklärt Nina Wittrowski - wird der Angeklagte verurteilt, muss er auch den Pflichtverteidiger bezahlen.
5. „Auf Empfehlungen verlassen“, raten Christiani und Wittrowski: Das beste sei, sich auf Erfahrungen von Bekannten zu verlassen. Eine Suche wie www.anwaltauskunft.de des Deutschen Anwaltvereins hilft dabei, Fachanwälte zu finden.