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Ich vermute bei einer Freundin eine Essstörung – wie kann ich helfen?

Foto: decoder285 / photocase.de

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Nachtisch tabu. Eis - trotz Sonnenschein - tabu. Auf Süßigkeiten zu verzichten, das klingt erstmal nicht dumm. Darüber freuen sich Zähne und Hüften gleichermaßen. Doch seit ein paar Monaten streicht meine Freundin noch mehr von ihrer Essensliste: Brot, Nudeln, Reis. Zuerst dachte ich, sie mache eine Diät und verzichte zeitweise auf Kohlenhydrate. Doch mittlerweile ist ein halbes Jahr vergangen – von einer temporären Diät kann nicht mehr die Rede sein.

Richtig Sorgen mache ich mir, seitdem ich einen Essensplan bei ihr gefunden habe, in dem sie für sieben Tage im Voraus festlegt, was sie wann essen darf. Ausreißer sind nicht erlaubt. Wenn ich versuche, sie zwischendurch zu einem Snack zu überreden, spüre ich, wie sie das in Stress versetzt. Manchmal gibt sie nach und isst aus Höflichkeit mit, dann streicht sie von ihrem Plan aber sofort das Abendessen. Gleichzeitig redet sie ständig von Essen, Rezepten und Restaurants.

Ich vermute, dass meine Freundin eine Essstörung entwickelt, und beschreibe Carolin Martinovic, Leiterin der Münchner Beratungsstelle „Therapienetz Essstörung“, ihr Verhalten. Sie sagt, auch sie würde in dieser Situation hellhörig werden: „Wenn die Betroffene immer dünner wird und sich alles nur noch ums Thema Essen und Aussehen dreht, ist das oft ein Zeichen für eine Essstörung“, erklärt sie. Für mich, die Freundin, laute nun die oberste Regel: „Ansprechen, ansprechen, ansprechen, denn im Zweifelsfall ist etwas Wahres dran.“

Eine Essstörung ist immer eine Reaktion auf ein Problem. Am besten spricht man den Verdacht in Ruhe und im geschützten Raum an, beim Spazierengehen oder beim Kaffeetrinken zum Beispiel, empfiehlt die Expertin. Wichtig ist auch, unter vier Augen mit der Freundin zu reden. Selbst dann, wenn mehrere Freundinnen in Sorge sind, sollte nur eine das Gespräch suchen, damit für die Betroffene kein Eindruck von 2:1 entsteht. Im Gespräch selbst ist es wichtig, nie „Du bist zu dünn“ zu sagen. Auf diesen Satz werde sicher die Antwort „Nein, bin ich nicht“ folgen und das Gespräch sei damit beendet, sagt Martinovic.

Als Freundin sollte man immer das rückmelden, was man beobachtet. Ein Beispielsatz, wie ihn Carolin Martinovic für den Beginn eines Gesprächs vorschlägt, könnte so aussehen: „Mir fällt auf, dass du weniger isst und traurig wirkst. Ich habe das Gefühl, dir geht es nicht gut.“ In der Regel fühlten sich Essgestörte dann erstmal ertappt und leugnen, ein Problem zu haben. „Dranbleiben und nach einer Weile nochmal ansprechen“, rät Martinovic. Die Betroffenen brauchten selbst Zeit, um über sich nachzudenken. Öffnen sie sich, sollte man anbieten, sie zu einem Beratungsgespräch zu begleiten. Mehr könne eine Freundin nicht tun, sagt Martinovic. Denn eine Essstörung ist eine psychosomatische Erkrankung und muss therapeutisch angepackt werden.

Wenn die Betroffene – so sehr man ihr auch Zeit lässt und sie immer wieder vorsichtig anspricht – mauert, hat man auch als Freundin keine Chance mehr. „Dann muss man auf sich selbst schauen“, sagt die Leiterin der Beratungsstelle und geht sogar noch einen Schritt weiter: „Wen es belastet, der Freundin dabei zuzusehen, wie sie immer dünner wird und sich nicht helfen lässt, der darf auch sagen: Ich kann nicht mehr, ich will erstmal keinen Kontakt.“

Katharina Häringer, 26, hat ihre Freundin auf den Verdacht einer Essstörung angesprochen. Doch leider mauert sie und will von diesem Thema nichts hören. 

Fünf Tipps, wenn du bei Freunden eine Essstörung vermutest:

 

  • Essgestörte werden immer dünner, zeigen aber noch andere Symptome: Sie können unkonzentriert, fahrig, traurig oder schlecht gelaunt wirken. Einige Betroffene sprechen andauernd vom Essen und vom Aussehen, andere ziehen sich zurück und meiden soziale Kontakte.
  • Hegt man bei einer Freundin den Verdacht einer Essstörung, sollte man sie in jedem Fall darauf ansprechen. Das Gespräch sollte im ruhigen und geschützten Raum unter vier Augen stattfinden, denn die Betroffene fühlt sich meistens im ersten Moment ertappt.
  • Wer mit „Mir fällt auf, dass…“-Sätzen argumentiert, gibt der Betroffenen Raum, um sich zu öffnen. Die Erkrankte hat dann weniger das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.
  • Eine Freundin kann nicht helfen, die Krankheit zu heilen. Letztlich kann sie der Betroffenen nur anbieten, gemeinsam mit ihr eine Beratungsstelle und damit professionelle Hilfe aufzusuchen. Rat kann man sich immer bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) holen. Nummer vom Beratungstelefon: 0221/892031.
  • Auch Freunde oder Verwandte von Essgestörten, die sich nicht mehr zu helfen wissen, können sich selbst an eine Beratungsstelle wenden und Rat suchen.

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