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Ich möchte mit meinem Partner zusammenziehen. Was kommt auf mich zu?

Foto: complize / photocase.de

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Antje und ich haben nie viel Abstand gebraucht in unserer Beziehung. Schon zwei Wochen, nachdem wir uns im Praktikum kennengelernt hatten, verbrachten wir fast jede Nacht zusammen. Wir wohnten in derselben Stadt, unsere Wohnungen lagen sechs U-Bahn-Stationen voneinander entfernt, und nach einem Monat hatte jeder im Schrank des anderen zwei eigene Regalbretter mit sauberen Klamotten.

Antjes WG-Zimmer war ein externes Zuhause für mich. Wir schliefen, wir duschten, wir frühstückten zusammen – dann fuhr sie in die Vorlesung, ich in die Arbeit, und wenn ich abends in meine Einzimmerwohnung kam, saß sie oft schon mit einem Buch auf meiner Couch.

Nach zwei Monaten war mir klar: im Grunde ist die Hälfte unserer Miete verschwendetes Geld, denn entweder war Antjes WG-Zimmer leer oder meine Wohnung – getrennt Zuhause waren wir so gut wie nie. Trotzdem sprachen wir acht Monate lang kein Wort über das Zusammenziehen. Keine Frage, Antje war die perfekte Frau.

Und doch hatte ich zu großen Respekt vor dem Pärchen-Alltag. Meine verschwitzten Sportsocken stopfte ich lieber in die eigene Waschmaschine, und insgeheim war ich heilfroh, dass Antjes unmenschlich harter WG-Küchenputzplan nicht für meine Wohnung galt. Und dann waren da natürlich die seltenen Momente, in denen wir uns stritten. Immer dann gab mir das Gewicht meines Wohnungsschlüssels in der Hosentasche das gute Gefühl, im Notfall sechs U-Bahn-Stationen weiter meine eigene Wohnung auf- und hinter mir wieder zusperren zu können – auch wenn ich von dieser Möglichkeit nie Gebrauch machte.

Nach acht Monaten und vier Gläsern Rotwein war es dann aber doch soweit: wir beschlossen, uns eine gemeinsame Wohnung zu suchen. „Wie wir das Zusammenleben mit dem Partner im Alltag gestalten, müssen wir erst lernen“, sagt die Paartherapeutin Berit Brockhausen aus Berlin. „Und das gelingt nunmal am besten, indem man es einfach tut.“

Vom Zusammenziehen abraten würde sie deshalb niemandem, der eine funktionierende Beziehung führt. Sei man unsicher, ob das Zusammenleben gut gehen werde, warnt sie lediglich davor, sich etwa durch große Investitionen in eine Situation zu bringen, aus der man nicht aussteigen könne, falls es schiefgeht. „Wer sich aber innerlich die Freiheit lässt, zu sagen: ‚Ich probiere es aus, und wenn es gar nicht geht, bin ich um eine Erfahrung leichter’ – der kann eigentlich nichts falsch machen.“

Brockhausen beobachtet, dass viele junge Paare, die zusammenziehen, eines unterschätzen: die Konflikte, die durch diesen Schritt unvermeidbar entstehen. Jeder, der mit seinem Partner zusammenziehe und sich daheim wohlfühlen möchte, habe eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was es brauche für ein wunderschönes gemeinsames Zuhause. Nur leider, sagt Brockhausen, passen diese Vorstellungen manchmal nicht zusammen: „Da erfährt sie fassungslos, dass er tatsächlich sein abgewetztes Ledersofa ins gemeinsame Wohnzimmer stellen will. Und er war fest davon ausgegangen, dass sie ihre Kuscheltiersammlung vorm Zusammenziehen entsorgen wird.“ Manche Paare seien sich in Geschmacksfragen einig und stritten sich erst, wenn es darum geht, das Altpapier zu entsorgen – andere rängen schon um den Ton der Wandfarbe. „Nur wer weiß, dass all das dazugehört, kann gelassen bleiben“, sagt Brockhausen.

Es sei völlig normal, sich im Alltag erstmal zusammenraufen zu müssen – auch mit dem geliebten Menschen. „Wer allerdings naiverweise gedacht hat, mit dem Zusammenziehen seien alle Probleme vorbei“, sagt sie, „der beginnt fatalerweise an der Liebe zu zweifeln.“ Um die Konfliktpunkte möglichst klein zu halten, rät die Paartherapeutin, in der gemeinsamen Wohnung für jeden eine Art Rückzugsort einzuplanen, „an dem er seine Ordnung oder Unordnung leben kann und den er nach seinem Geschmack gestalten kann.“

Dazu sei es am leichtesten, eine neue Wohnung zu suchen. Denn wenn ein Partner in die Wohnung des anderen ziehe, seien Probleme vorprogrammiert: Der eine müsse sein „Revier“ öffnen und Eingriffe des anderen dulden, der andere dort seinen Bereich „besetzen“. „Je weniger das gelingt“, sagt Brockhausen, „desto mehr lebt die Beziehung mit einem gefährlichen Sprengsatz.“ Ziehe ein Partner beim anderen ein, sei es wichtig, die alte Wohnung symbolisch und auch praktisch aufzulösen. „Mit der gemeinsamen Neueinrichtung wird dann aus deiner Wohnung unsere Wohnung.“

Jan Stremmel, 25, hat für diesen Text Christopher, 27, protokolliert. Nach zwei Stunden in dessen traumhafter Pärchenwohnung hat er sich fest vorgenommen, seine eigene Fernbeziehung möglichst bald zu einer Nahbeziehung zu machen. 

Fünf Tipps fürs Zusammenziehen:

  • Mit Schwierigkeiten rechnen – sie sind ein gutes Zeichen. Nämlich dafür, dass weder dein Partner noch das Zusammenwohnen dir gleichgültig sind.
  • Unterschiedliche Wünsche verhandeln – ihr seid nämlich keine Gegner, auch wenn es manchmal so scheint. „In Wirklichkeit sind Sie Verbündete auf der Suche nach der Wohnungsgestaltung, mit der Sie beide sich wohl fühlen“, sagt Berit Brockhausen.
  • Rückzugsbereich einplanen. Jeder Partner sollte einen Ort haben, der für den anderen unantastbar ist und dessen Ordnung und Gestaltung ausschließlich er selbst bestimmt. „Wenn der Anblick das ästhetische Empfinden des anderen verletzt“, sagt Brockhausen, „braucht es eben eine Tür, die man schließen kann.“
  • Nicht versuchen, den anderen zu erziehen. Die Einstellung zur Hausarbeit und das Ordnungsempfinden sind selten bei beiden Partnern gleich ausgeprägt. Hier müssen beide Abstriche machen, um einen Kompromiss zu finden.
  • Zusammenziehen ist kein Beziehungskitt. Wenn eine Beziehung kriselt, sind getrennte Wohnungen höchstwahrscheinlich nicht die Ursache dafür. Und bevor diese Ursache nicht gefunden und ausgeräumt ist, wird das Zusammenziehen die Probleme nicht beilegen – sondern eher das Gegenteil bewirken.

Und hier eine ganze Kolumne übers Zusammenziehen:

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