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Ein Freund ist in eine Sekte geraten – kann ich ihn da wieder rausholen?
Es gibt viele Gruppen von Menschen, die an sehr eigenartige Dinge glauben, und es ist immer sehr, sehr einfach, sich darüber lustig zu machen. Aber bloß weil eine der Gruppen nicht zu den großen anerkannten Weltreligionen Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus gehört, muss es sich nicht automatisch um eine fiese Sekte handeln. Diese Einstellung zu Religionsfragen ist in Deutschland leider noch nicht so weit verbreitet.
Wer sich für eine „Nischen-Religion“ wird er hierzulande noch immer schief angeschaut. Das ist nicht gut; Religionsfreiheit ist ein sehr hohes Gut, und wenn sich ein guter Freund entscheidet, sich den „Zungenrednern“ anzuschließen, muss man sich nicht automatisch Sorgen um ihn machen. Auch wenn er glaubt, sich mit dem „Leuchtturm“ in die Fußgängerzone stellen zu müssen, ist das ok. Es ist seine Sache. Was also macht eine Glaubensrichtung zu einer Sekte, von der man in der Schule immer gewarnt wurde? Wann wird aus einem Glauben eine persönlichkeitszerstörende Sekte? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Aber ein Kriterium hat mit Geld zu tun.
Glauben kostet nichts und wenn eine Glaubensgemeinschaft von jemanden Geld verlangt, sollte man sehr, sehr skeptisch werden. Viele Sekten locken neue Mitglieder nach dem selben Prinzip wie Staubsaugervertreter an. Der Staubsaugervertreter sagt: „Bei ihnen ist es aber dreckig!“ „Ach, finden Sie? Ist mir gar nicht aufgefallen, aber jetzt, wo sie es sagen...!“ „Ja, aber wissen Sie, wir haben da eine Lösung gegen den Dreck. Unser neuer Staubsauger kostet nur 179 Euro!“ Bei Scientology zum Beispiel funktioniert es so: Man wird aufgefordert einen „Persönlichkeitstest“ zu machen. Der zeigt desaströse Werte an: Alle Charaktereigenschaften sind im unteren Bereich. Eine freundliche Mitarbeiterin sagt: „Das sieht nicht gut aus, wir sollten deine Persönlichkeit schleunigst optimieren.“ „Ach wirklich? Ist mir gar nicht aufgefallen, aber jetzt, wo sie es sagen...“ „Hierfür eignet sich unser Einsteigerkurs für 39,99 Euro besonders gut!“ Sekten und Vertreter reden Interessierten erst ein Problem ein und präsentieren dihm anschließend die Lösung für sein „Problem“.
Manche Organisationen wie Scientology starten mit relativ „günstigen“ Angeboten. Später kosten die Kurse dann mehrere tausend Euro und viele Mitglieder verschulden sich. Skeptisch werden sollte man auch, wenn sich der Betroffene mehr und mehr isoliert. Jede Glaubensrichtung sollte so tolerant, offen, aber auch stabil sein, dass sie andere Lebensentwürfe neben sich erträgt. Wenn man also feststellst, dass der Freund nur noch mit anderen Staubsaugervertretern, Verzeihung: Glaubensbrüdern, verkehrt und sich von alten Freunden und Familienmitglieder abkapselt, ist das bedenklich. Es spricht nicht für eine Glaubensrichtung, wenn sie sich vom Rest der Gesellschaft isoliert! Gerade in dieser Situation sollte man den Kontakt mit ihm aufrechterhalten und immer wieder das Gespräch suchen.
Das Beste, was man für ihn tun kann, ist, ihm eine andere Perspektive zu zeigen. Man wird ihn wahrscheinlich nicht überzeugen können, das sollte man auch gar nicht versuchen. Es genügt, wenn er sieht, dass nicht alle Menschen glauben, was er glaubt. Vielleicht kann man sogar einen Kontakt zu Sektenaussteigern herstellen und dem Betroffenen sprechen lassen.
Nachdem Philipp Mattheis sich 2007 in einem Selbstversuch zehn Tage lang bei Scientology einschlich, beschäftigt er sich mit dem Thema „Sekten“ und führte viele Gespräche mit Aussteigern.
Fünf Tipps für Sektenbetroffene oder deren Freunde:
1. Spenden ist ok, aber keine Religion darf in die Privatinsolvenz führen!
2. Gute Tipps, Hilfe und Beratung findest du auf dieser Website: www.religio.de. Unter dem Punkt „Checklist“ findest du auch eine nützliche Liste, um herauszufinden, ob und wie gefährlich die Organisation wirklich ist.
3. Mach dich nicht lustig, über das, was dein Freund glaubt. Viele Menschen glauben an sehr eigenartige Dinge. Es liegt nicht an dir, das zu bewerten. Außerdem wird dein Gegenüber nur mit Verärgerung und Abschottung reagieren. Gib ihm besser das Gefühl, dass du ihn zwar weiterhin liebst, aber seine Einstellung nicht teilst.
4. Es kann helfen, die Entwicklung schriftlich festzuhalten. So sieht man, ob und wie die Vereinahmung durch die Sekte vorangeschritten ist.
5. Tausch dich mit anderen Angehörigen von Betroffenen aus. Kontakte findest du ebenfalls auf der oben angegebenen Website.