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Lesen mit Links (1): Flüssige Familien
Das Buch
Ende Januar geht es an den Swimmingpool - mit „Heim schwimmen“. Der neue Roman von Deborah Levy stand 2012 auf der Shortlist des renommierten Booker Preis. Ihre Familiengeschichte führt ins sonnige Frankreich und kommt mit einer blumenliebenden Nymphe und sehr vielen Sommerphantasien daher.
Die vierzehnjährige Nina Jacobs aus London fährt mit ihren stressigen Eltern in die französischen Seealpen. Ihre Mutter Isabel, eine nervöse, mit dem Altern überforderte Kriegsreporterin, und ihr Vater Jozef, ein erfolgreicher Schriftsteller, wollen am Swimmingpool abhängen, kochen und die heißen Tage genießen. Dafür haben sie eine schicke Villa gebucht und Freunde eingeladen. Es könnten geruhsame Tage werden. Doch dann treibt eine nackte junge Frau wie ein Seestern im Becken. Es ist die verführerische Botanikerin Kitty Finch, ein Meerwesen mit grünlackierten Fingernägeln, die wie Ursula Andress in "James Bond jagt Dr. No" aus dem schillernden Wasser steigt und die geplante Ruhe auf magische Weise durcheinanderbringt. Denn niemand hat Kitty gerufen. Allein aus Höflichkeit bietet man der Unbekannten ein Zimmer an. Text: Jan Drees
Kitty, die vor allem die Nähe des untreuen Jozef sucht, will als Schriftstellerin durchstarten, braucht dafür professionelle Unterstützung und ist bereit, alle Register verruchter Frauen unter Dreißig zu ziehen. Sie tritt anzüglich in grünem Sommerkleidchen auf, als sei sie "eine schöne Leich", von Algen bedeckt, wie in so vielen Geschichten (vor allem aus Wien). Kitty ist der französisch freie Gegensatz zur kühlen Britishness ihrer Gastgeber. Doch ist sie weniger selbstsicher, als auf den ersten Blick angenommen. Kitty leidet unter "psychischer Angst, Gewichtsverlust, Schlafmangel, gesteigerter Erregbarkeit, Selbstmordgedanken, einer pessimistischen Einstellung hinsichtlich der Zukunft und Konzentrationsstörungen." Außerdem ist sie die meiste Zeit nackt.
Das ist zwar keine Störung, aber für Typen wie Jozef eine Reifeprüfung besonderer Art. Er wird mit sich kämpfen müssen - bis am Ende dieser Ferienwoche ein Unglück geschieht. Der rechteckige, in Stein gehauene Schwimmingpool im Garten der Villa erinnert ihn an einen Sarg. "Ein schwimmender, offener Sarg, erleuchtet von Unterwasserscheinwerfern", wird Jozef irgendwann denken. Da hat sich der Zauber vom Anfang mit der nackten Venus, dem Kaiserwetter und dem schillernden Wasser längst in etwas Fürchterliches verdreht.
Nebenher bekommt Tochter Nina ausgerechnet in dieser Ferienwoche zum ersten Mal ihre Periode und schwimmt anschließend nachts mit Kitty im Pool, frei getragen vom Wasser, ebenfalls nackt. Sie wäre gern wie ihre neue Freundin: verführerisch, verrucht, eigensinnig und ursprünglich. Mutter Isabel bemerkt zur gleichen Zeit, wie all diese Wesenszüge an ihr verlorengehen. Da sitzt sie im Café und stellt fest, dass ältere Frauen kaum bedient werden, wenn barbusige Mädchen zur gleichen Zeit kühle Getränke ordern. Zwischen den Zeilen stecken Seite für Seite also die ganz großen Themen in \"Heim schwimmen\": Eifersucht, Angst, Tod, Sex, das Erwachsen- und Älterwerden.
Deborah Levy bedient sich am kompletten Motivreservoir der Swimmingpool-Filme und -Literatur, um im Suspensestil zu beschreiben, wie eine kleine Gruppe binnen weniger Tage auf die Katastrophe zusteuert. Der Roman wurde in Großbritannien gefeiert, weil er seine Leichtigkeit mit allerhand Wassermythen und Verführungsmärchen auflädt. Gerade einmal 160 Seiten braucht Deborah Levy, um den Sommerferientraum einer erschöpften Familie in einen Psychothriller zu verwandeln. Dieser Roman liegt leicht im Wasser, er floated durch die heißen Tage, und erinnert nebenbei, dass nicht alles am Sommer bezaubernd sein muss. Geben wir dem Winter noch ein Chance.
Deborah Levy: "Heim schwimmen", übersetzt von Richard Barth, Wagenbach, 168 Seiten, 17,90 Euro.
Die Querverweise
Bücher, die genauso nass sind: Zu den aktuell besten Wasserbüchern gehört \"Bahnen ziehen\", in dem Leanne Shapton in Texten, Gemälden und Fotografien ihre Schwimmkarriere schildert. John Cheever hat einen Schwimmer durch die Pools seines Vorortviertels geschickt - der überquert, quasi als einer der ersten Parcourshelden, Zäune und Mauern, um von Garten zu Garten, von Pool zu Pool heimzukommen. Bei Kollege John Updike steht der Swimmingpool für den Zerfall einer Familie. Im melancholischen Leistungssportroman "Schwimmerin" beschreibt Bill Broady die Qualen einer Schmetterlingsmeisterin. Dass festes Papier nur mit Flüssigem geschöpft werden kann, erzählt John von Düffel in seinem Debütroman "Vom Wasser".
Die Updates
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Softwareliteratur: Vom 29.1. bis zum 3.2. findet in Berlin die 26. Transmediale unter dem schönen Titel "BWPWAP" (Back When Pluto Was a Planet) statt. BWPWAP ist ein bekanntes Akronym aus der Netzkultur, das sich auf die Aberkennung des Planetenstatus von Pluto im Jahr 2006 bezieht. Es wird benutzt, wenn jemand betonen will, dass eine Äußerung oder Meinung auf Fakten beruht, die nicht länger gültig sind. In Clubs wird gefeiert, in Workshops debattiert, unter anderem geht's um DIY publishing . "
Text: Jan Dress