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"Du hast nicht richtig verstanden"
Vor zwei Jahren schrieb Katarina Bader für jetzt.de den Text "Herr Hronowski und Ich" (Link siehe unten). Darin beschreibt sie ihre Freundschaft zu einem einstigen KZ-Insassen. Aus der Reportage ist nun ein großes Buch geworden. Hier zeigen wir einen Ausschnitt, in dem Katarina in Berlin Ben begegnet, der Herrn Hronowski auch ziemlich gut kannte. Mehr zum Buch und zu Leseterminen auf der Leipziger Buchmesse am Ende dieses Textes. Ich bin mit Ben Schaffer am »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« verabredet, und zwar nicht, weil Ben einen Hang zu symbolischen Orten hat, sondern ganz einfach, weil er dort arbeitet, im unterirdischen »Ort der Information«. Ein Spiegelglasfenster mit halb heruntergelassenen Jalousien trennt sein Büro von der Gedenkstätte, in der Fotos von deportierten Juden an den Wänden ausgestellt sind und ihr Lebensweg bis zur Ermordung durch die Nazis beschrieben wird. Über der Erde ist das Mahnmal ein kahles, graues Stelenfeld. Hier unten geht es um Menschen. Ben gehört zu den Dreißigjährigen, die sich von ihrem Kleidungsstil her schon dazu durchringen konnten, erwachsen zu werden: Er trägt ein ordentliches weißes Hemd, eine schwarze Stoffhose mit Bundfalten und eine Brille mit dünnem Silberrand. Auf einem Plastikschild, das an seinem Hemd festgeklammert ist, steht »Koordinator«. Er schreibt die Dienstpläne der Helfer, die hier Führungen anbieten, er koordiniert das Reinigungspersonal und die Sicherheitskräfte. »Mein Job ist viel mehr organisatorisch als inhaltlich«, sagt Ben, »aber natürlich darf man so ein Denkmal auch nicht genauso managen wie ein Bürogebäude.« Ben und seine Kollegen müssen entscheiden, wie viel »Auf den-Stelen-Herumtollen« man zulässt, und auch, wie man mit der Roma-Mutter umgeht, die mit einem durchgefrorenen Säugling auf dem Arm die wartenden Besucher anbettelt und das Geld wahrscheinlich ja doch nicht behalten darf. Das sind komplizierte Fragen, weil sie an diesem Ort sofort moralisch und symbolisch aufgeladen sind. Wenn heute ein Wachmann am Holocaust-Mahnmal falsch umgeht mit einer Roma-Mutter, dann kann das morgen in der New York Times stehen als eine Geschichte aus jenem Deutschland, das sich eben doch nicht verändert habe. Ben sagt, dass er noch oft an Jurek denkt. Gerade bei der Arbeit hier. Die beiden lernten sich in der Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz kennen. 18 Monate lang machte Ben dort als Zwanzigjähriger Freiwilligendienst, betreute Schülergruppen und war auch bei vielen Gesprächen mit Zeitzeugen, also Überlebenden des Konzentrationslagers, dabei. Ihm fiel schnell auf, dass dieser Herr Hronowski besonders gut mit den Jugendlichen konnte: »Jurek hat zuerst mit einem lockeren Spruch den Klassen-Kasper auf seine Seite gezogen und dann hat er die Schüler ganz direkt gefragt, was sie überhaupt wissen wollen. Er hat sie aus ihrer passiven Haltung herausgelockt. Sogar die, die anfangs sagten `das haben wir doch schon tausendmal in der Schule durchgekaut` hat er neugierig gemacht.« Als der Direktor der Jugendbegegnungsstätte, Leszek Szuster, Ben schließlich fragte, ob er bereit sei, Jurek beim Schreiben seines Buches über sein Leben zu unterstützen, war Ben begeistert. Jurek war damals schon fast blind und brauchte jemanden, dem er den Text diktieren konnte. Szuster sagte, das sei eine sehr wichtige Arbeit, aber auch eine komplizierte – anstrengend und vielleicht auch menschlich nicht ganz einfach. Mit allen bisherigen Helfern habe Jurek sich überworfen. »Am Anfang wunderte mich das«, erzählt Ben, »einfach, weil ich Jurek als prima Typen erlebt hatte. Offen, zugänglich und zugleich mit hohen moralischen Prinzipien. Ein großartiger Erzähler. Eine starke Persönlichkeit. Ich freute mich sehr darauf, so viel Zeit mit ihm zu verbringen.« Ben und Jurek wurden also in der Jugendbegegnungsstätte einquartiert. Sie trafen sich immer schon am frühen Morgen, frühstückten gemeinsam Schinkenbrote und Schwarztee, und dann begann die Arbeit: Jurek erzählte Ben seine Geschichte, Ben versuchte sie in ordentlichem Deutsch aufzuschreiben, und Jurek ließ Ben dann wieder vorlesen, was er geschrieben hatte. Oft war Jurek unzufrieden. »Das ist falsch«, sagte er, »das ist nicht wahr. Du hast das Wichtigste vergessen. Du hast nicht richtig verstanden.« Und er ließ Ben wieder streichen, was er zuvor selbst diktiert hatte. Es fiel ihm offenbar schwer, seine Geschichte einem anderen zur Umformulierung zu überlassen. Vielleicht hatte Jurek Angst, dass sie an Glaubwürdigkeit verliert, wenn sie nicht mehr vom Klang seiner Stimme geprägt ist, von seiner speziellen Art die Worte zu setzen. Vielleicht befürchtete er, dass sein Zeugnis ohne den Zeugen nichts mehr wert ist. Es fiel ihm schwer etwas festzuschreiben und es dann stehen zu lassen: eine Version, die doch immer nur eine von vielen möglichen Versionen war, die aber dadurch, dass sie dann schwarz auf weiß auf Papier stand, für Außenstehende überprüfbar wurde. Angreifbar. Auch für Leute, die ihn, Jurek, gar nicht kannten, die ihn nie erlebt hatten und auch nie erleben würden. Jurek versank immer tiefer in der Vergangenheit Pausen brauchte Jurek kaum. Höchstens zum Essen. Sie arbeiteten zwölf Stunden am Tag und sieben Tage die Woche in einem Büro im Untergeschoss der Begegnungsstätte, nur ein paar Kilometer vom ehemaligen KZ Auschwitz entfernt. Ben sagt, er habe den Eindruck gehabt, dass Jurek immer tiefer in der Vergangenheit versank. »Ich habe noch das Bild vor Augen, wie wir an dem Bericht über die Zeit im Pawiak arbeiteten«, erzählt er. Der Pawiak war das Gefängnis in Warschau, in dem Jurek eingesperrt gewesen war, bevor er nach Auschwitz gebracht wurde. Jurek lief beim Erzählen hin und her, als sei er in einen Käfig gesperrt. Das Essen war sehr knapp, und die Zelle ist viel zu klein gewesen für dreißig Mann. Keine Gegenstände, auf welche man sich zum Beispiel hinsetzen könnte, nur der Fußboden, auf welchem wir auch geschlafen haben. Es gab überhaupt keine sanitären Einrichtungen darin, nur viel zu kleine Eimer. Verhöre waren verbunden mit Schlägen. Grausame Schlägen. Es war eine unwahrscheinliche Hitze in der Zelle. Die Fenster guckten auf Süden, und die Sonne hat die Zelle erhitzt. Aus dem Fenster zu schauen war verboten. Aber wenn man an der Wand gegenüber vom Fenster bei einem anderen Häftling auf den Schultern stand, dann konnte man doch sehen, ohne gesehen zu werden. Vis-à-vis befand sich ein Haus, von dem nur das Skelett von Mauern stand noch. Dort haben täglich stattgefunden die Exekutionen. »Jurek, du machst mich verrückt mit deinem Hin- und Hergelaufe«, sagte Ben, der am Computer saß und mitschrieb. Jurek blieb stehen, schwieg und sagte dann mit einem merkwürdigen Ton in der Stimme: »Das haben wir im Pawiak gemacht. Immer so, im Kreis, rechts, links, rechts, links, Gleichschritt, hintereinander, ganz dicht, weil es doch so eng war. Manchmal den ganzen Tag. Wir wollten Bewegung haben, damit wir nicht schwach wurden. Bei Erschießungen ist schwach sein nicht schlimm, aber wenn du ins KZ kommst, dann dürfen deine Muskeln nicht müde sein.« Ben meint, Jurek habe ihn nicht angesehen, als er das sagte. Er habe durch ihn hindurchgeschaut, und Ben glaubt, dass Jurek in die Gefängniszelle starrte, die er vor seinem inneren Auge sah. Und Ben dachte: Wie hole ich ihn da bloß wieder raus? Ben selbst hielt es immer weniger aus mit Jurek in diesem Büro, das durch Jureks Erzählen immer mehr zum Gefängnis wurde. »Ich muss an die frische Luft«, sagte er dann zu Jurek. »Ich brauche eine Pause, wenigstens eine kleine.« Aber Jurek kam nicht mit nach draußen. Er wartete mit wachsender Ungeduld in dem Zimmer, bis Ben wiederkam. Er wartete auch schon, wenn Ben morgens zum Frühstück kam, und dann erzählte er, er habe geträumt in der Nacht, von Freunden, die im KZ gestorben waren und die nun sagten, es sei Zeit für ihn auch zu kommen. »Ich hatte schreckliche Angst, dass ich ihn irgendwann tot finden«, sagt Ben. »Jurek alterte stark und doch drängte er immerzu, noch schneller und noch mehr zu arbeiten.« ***
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
„Jureks Erben. Vom Weiterleben nach dem Überleben“ ist bei Kiepenheuer und Witsch erschienen, hat 384 Seiten und kostet 19,95 Euro. ***
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Seinen Ursprung hat das Buch von Katarina Bader in der Geschichte Herr Hronowski und ich, die vor zwei Jahren auf jetzt.de erschienen ist. Im Rahmen der Leipziger Buchmesse wird Katarina am 19. März um 18 Uhr und am 20. März um 18.30 Uhr aus ihrem Buch lesen.