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Carina Meyer steht in der Mitte des Raums und hält ein Tuch hoch. Ein bisschen sieht sie dabei aus wie ein Torero, nur ist sie wesentlich besser gelaunt, eher wie ein Animateur. Sie hält das Tuch höher, über ihren Kopf, sodass es bis zum Boden fällt. Links und rechts von Carina und ihrem Tuch haben sich alle Mitarbeiter der Firma Stylight in zwei Reihen angestellt, endlich, viel Begeisterung ist nicht zu spüren. Es ist „Name Game Time". Wie jeden Freitag um fünf.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Im Blumenladen zwei Straßen weiter begrüßt man Carina wie eine Freundin. Sie ist jede Woche mindestens einmal hier – immer wenn einer ihrer fast hundert Kollegen Geburtstag hat.

Die ersten zwei aus jeder Schlange gehen gebückt auf das Tuch zu, kurz davor richten sie sich vorsichtig auf. Als sie sich gegenüberstehen, lässt Carina den Vorhang fallen. Die zwei sehen sich an. Und sagen: nichts. Sie lachen einfach laut los. Das war so nicht geplant. Eigentlich hätte jeder den Namen des anderen rufen sollen. So sind die Regeln: Wer den Namen als Erster hervorstößt, holt einen Punkt für sein Team und darf sich setzen. Wenn keiner den Namen des anderen weiß, so wie jetzt, stellen sie sich einander vor und wieder in der Reihe an.

Die Frau, die jeden Freitag fast hundert erwachsene Menschen dazu bringt, dieses seltsame Kennenlernspiel zu spielen, ist die Frau mit dem Vorhang. Carina Meyer ist 24 und studiert im zehnten Semester Europäische Ethnologie, Französisch und VWL in München. Seit einem Jahr arbeitet sie zwei- bis dreimal die Woche als Werkstudentin bei Stylight, einem Start-up, das eine Mode-Community im Netz betreibt. Seit dem Frühjahr trägt sie offiziell den Titel „Feel-Good-Managerin".

Das Stylight-Büro im Münchner Stadtteil Neuhausen-Nymphenburg ist voller Klischees aus der Welt der Start-ups und Internetgiganten mit ihrer verspielten Wohlfühl-Bürokultur. In jeder Ecke wird eine andere Sprache gesprochen, im Atrium hängt eine riesige Leinwand, auf der manchmal zusammen Fußball und „Germany's Next Topmodel" geschaut wird. In jeder der drei Sitzgruppen ringsum baumelt eine Schaukel von der Decke. Im Keller sind in der „Napping Area" sechs Schlafplätze mit großen Sitzsäcken und Decken eingerichtet. „Die werden nicht ständig genutzt", sagt Carina, „aber sie sollen da sein." Genau wie sie.

Seit etwa zwei Jahren gibt es Feel-Good-Manager in Deutschland, und sie werden immer mehr. Man weiß nicht so recht, wer als Erstes so eine Stelle geschaffen hat. Der Legende nach hat die Ehefrau eines Google-Gründers ihrem Mann und den ersten Kollegen, die an einem Samstag in ihrer Garage arbeiteten, belegte Brote gebracht. Schon damals soll der Begriff „Feel-Good-Managerin" gefallen sein.

Heute gibt es diesen Posten selten in großen Konzernen, sondern vor allem in Start-ups, die schnell wachsen und trotzdem ihre Gründermentalität und die flachen Hierarchien beibehalten wollen. Als Carina vor einem Jahr bei Stylight anfing, waren sie etwa vierzig Mitarbeiter. An diesem Freitag wird der einhundertste gefeiert, deshalb auch das Namensspiel. „Uns ist es wichtig, dass der freundschaftliche Umgang und die gute Unternehmenskultur, die sich von Anfang an entwickelt haben, erhalten bleiben" sagt Benjamin Günther. Er ist einer der vier Gründer und Chefs von Stylight, und er betont diese Kultur sehr gern. Er spricht dann von „Integration" und davon, dass sich neue Mitarbeiter „in unsere Familie" einfinden sollen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Anrufe annehmen... 

Diese Familie bei Laune zu halten sei mittlerweile ein Fulltime-Job, sagt Günther, und deshalb gebe es Carina. Sie ist eine Mischung aus Office-, Team- und Eventmanagerin, Chefassistentin, Betriebsseelsorgerin und Rezeptionistin. Bei ihr landen Anrufe, sie nimmt Pakete an und verteilt sie, ihr Arbeitsplatz ist gleichzeitig der Empfang. Dort hat sie Post-its mit Durchwahlen an ihren Bildschirm geklebt, dahinter bewahrt sie Aspirin- und Hanuta-Vorräte, Glückwunschkarten und bunte Kreiden für die Tafel mit den aktuellen Events auf.

Es klingelt. Carina öffnet die Tür, herein kommt ein Lieferant mit einem Korb voller Bananen, Kiwis, Äpfeln und Birnen. Schnell geht sie um den Empfangstresen herum und nimmt ihm den Korb ab. Auf dem Weg in die Küche nimmt sie noch zwei Kaffeetassen mit Lippenstiftabdrücken mit, die jemand vergessen hat, und räumt sie in die Spülmaschine. „Das hat auch mit Wohlfühlen zu tun", sagt sie und hält einen Apfel nach dem anderen unters fließende Wasser.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

... Kaffee nachfüllen ...

Carina kümmert sich darum, dass dreimal die Woche frisches Obst gewaschen neben der Kaffeemaschine steht – genauso wie um alles andere, das irgendwie mit dem Wohlbefinden der Mitarbeiter zusammenhängt. Sie bestellt Tastaturen und Bürostühle. Sie organisiert Ausflüge, Massageaktionen und Grillabende. Den wöchentlichen Sprachkurs. Fitnessstunden. Yogalates. Praktikanten, vor allem denen aus dem Ausland, hilft sie mit dem Papierkram. Sie sorgt dafür, dass der Kollege mit dem gebrochenen Bein ein „Get Well Soon"-Package ins Krankenhaus geschickt bekommt. Dass auf den Toiletten immer Kaugummis, Tampons und eine Bürste bereit liegen. Dass auf der Weihnachtsfeier jeder Mitarbeiter zu jedem Gang an einem anderen Platz sitzt – fürs „Teambuilding". Und dass jeder zum Geburtstag eine Karte, eine Blume und einen Geschenkgutschein bekommt. Man könnte sagen, Carina ist das „Mädchen für alles". Feel-Good-Managerin klingt aber viel besser.

„Was Feel-Good-Manager in Unternehmen machen, das gab es in irgendeiner Form schon immer, nur nicht in einer Person", sagt die Diplom-Psychologin Sabine Siegl. „Bereits in den Sechzigerjahren haben Konzerne mit Sportgruppen und eigenen Schwimmbädern um Mitarbeiter geworben." Heute wird das immer wichtiger. Laut einer Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom beobachtet jedes zweite Unternehmen einen Mangel an Fach- und Führungskräften. Und gleichzeitig wird besonders jungen, hochqualifizierten Menschen die Arbeitsatmosphäre immer wichtiger: In einer Umfrage des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen (GWA) unter Studenten gaben 57 Prozent der Befragten an, dass ihnen ein freundschaftliches Arbeitsklima bei der Wahl ihres Arbeitgebers sehr wichtig ist – vom Gehalt sagten das dagegen nur 34 Prozent.

Aus diesem Grund lassen sich die Firmen viel einfallen, um ihre Mitarbeiter zu halten und neue anzuwerben: Betriebskindergärten werden gegründet, Masseure ins Büro bestellt, Schnitzeljagden veranstaltet. Bei Stylight dürfen die Mitarbeiter auch am Wochenende die Büroräume nutzen, um mit ihrer Familie zu skypen. Es gibt gratis Müsli, einen Kühlschrank voller Joghurt und flexible Arbeitszeiten. Und Carina.

Für die Mitarbeiter ist sie leichter anzusprechen als ihre Vorgesetzten, ganz egal wie banal ihr Anliegen ist. Manche kommen zehnmal am Tag zu ihr, und das mit allen möglichen Ideen. „Jemand hat vorgeschlagen, dass wir Schaukeln aufhängen", sagt sie. „Jetzt haben wir Schaukeln." In der firmeninternen Facebook-Gruppe hatte gerade jemand die Idee, einen „Chic Friday" einzuführen, als Gegenteil eines „Casual Friday". Carina wird das beim nächsten Treffen mit den Chefs ansprechen. Unter „Feel Good" kann man viel verstehen.

Arbeitspsychologen sind eher kritisch, was das neue Berufsbild angeht. „Ich finde die Idee eines Feel-Good-Managements gut, aber nur wenn sie als Ergänzung verstanden wird", sagt Sabine Siegl. „Gemeinsames Grillen und Klettern fördern sicher den Zusammenhalt und die Identifikation mit dem Unternehmen. Das Wichtigste ist aber, dass Mitarbeiter die Wertschätzung ihrer Vorgesetzten spüren und merken, dass sie eine Perspektive haben. Wenn das nicht der Fall ist, kann ich so viele Feel-Good-Manager einstellen, wie ich will. Es wird nichts bringen." Auch Prof. Dr. Rainer Wieland, der Arbeits- und Organisationspsychologie an der Bergischen Universität Wuppertal unterrichtet, zeigt sich skeptisch: „Man kann Wohlfühlen nicht managen. Ohne Ausbildung in Arbeitspsychologie oder betrieblichem Gesundheitsmanagement ist Wohlfühlmanagement nicht ganzheitlich möglich. Was nützt mir gratis Müsli, wenn mein Vorgesetzter einen autoritären Führungsstil hat und mir keine Gestaltungsspielräume bei der Arbeit lässt?"

Mit ernsthaften Sorgen kommen die Mitarbeiter bislang nicht zu Carina, eher mit Wünschen, die ihren Alltag erleichtern oder ihnen – Stichwort Schaukeln – irgendwie gute Laune machen. Dass es mit ihr jemanden gibt, der nur dafür da ist, ist offensichtlich praktisch. Tiefer gehende Probleme lösen – oder davon ablenken – kann man weder mit Obst noch mit Massagen. Dafür sind Feel-Good-Manager auch gar nicht ausgebildet. Manche haben vorher BWL mit Schwerpunkt Personal oder Sportwissenschaften und Pädagogik studiert, andere sind ausgebildete Eventmanager. Carina steckt als Werkstudentin noch mitten in ihrem Studium.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

... Praktikanten betreuen. Manchmal scheint es, als wäre Feel-Good-Managerin nur eine wohlklingende Übersetzung für: Mädchen für alles.

In der Mittagspause sitzen die Mitarbeiter zusammen auf den Bierbänken in der Mitte des Atriums. Die einen haben sich eine Semmel vom Bäcker geholt, andere Lasagne vom Italiener. Carina ist mittendrin. Und stellt Fragen: nach der Erkältung, dem neuen Mantel der Praktikantin aus der Personalabteilung und dem Projekt, an dem die Kollegen arbeiten. Small Talk? Nicht nur, sagt Carina: „An den Reaktionen auf meine Fragen merke ich, wie die Leute drauf sind."

Bevor sie sich wieder an den Schreibtisch setzt, rückt sie den herzförmigen Kaktus auf der Empfangstheke gerade. Erst jetzt kommt sie dazu, den Schokoriegel zu essen, der schon seit dem Vormittag angebissen neben ihrer Tastatur liegt. „Die zwanzig Stunden in der Woche, die ich hier bin, sind immer sehr vollgestopft", sagt sie.

Bisher gibt es nur eine Handvoll Feel-Good-Manager in Deutschland, vor allem in Teilzeitstellen. Eigentlich müsste man sagen: Feel-Good-Managerinnen. Es arbeiten fast nur Frauen in diesem Job. Psychologin Sabine Siegl erklärt sich das mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, denen zufolge Frauen im Kommunikativen besser seien. „Es kann aber auch an der schlechten Bezahlung liegen. Ein Managergehalt kriegt eine Feel-Good-Managerin jedenfalls nicht."

Carinas Job wird wohl nicht so bald Standard in allen Unternehmen sein, in Stellenanzeigen werden kaum welche gesucht. Trotzdem starten bald die ersten Aus- und Weiterbildungsprogramme. Die Bremer Gesundheitsmanagerin Ingrid Kadisch bietet ab Dezember 2013 die erste Ausbildung zum Feel-Good-Manager in Deutschland an. An der Greiner Akademie, der Weiterbildungsakademie einer Unternehmensberatung in Stuttgart, startet im Frühjahr 2014 eine einjährige Weiterbildung zum Feel-Good-Manager. Sie richtet sich „an Personalverantwortliche aller Branchen".

Dort wird in der ersten Unterrichtsstunde sicher auch ein Kennenlernspiel gespielt. 

Text: kathrin-hollmer - Fotos: Fritz Beck

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