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Blümchen, Culture Beat und Co: Warum ist Eurodance aus den 90ern wieder so beliebt?
Blümchen ist zurück. Nach 18 Jahren Pause geht der ehemalige Eurodance-Megastar der 90er-Jahre wieder auf Tour. Damit ist Blümchen nicht alleine. Auch andere Stars der 90er wie Culture Beat sind wieder beliebt. DJs legen ihre Songs auf 90er-Partys auf und auch Menschen, die in der Hochphase von Eurodance noch gar nicht auf der Welt waren, entdecken die Musik für sich. Warum ist das so, warum feiern wir zu Musik aus der Vergangenheit? Prof. Dr. Christoph Jacke, Leiter der Studiengänge Populäre Musik und Medien (BA/MA) an der Universität Paderborn, hat uns das Phänomen erklärt.
jetzt: Herr Jacke, auf dem Instagram-Account des eher nerdig-intellektuellen Popkultur-Magazins Spex gibt es ein Foto von Ihnen von 1990 mit einem der Hefte in der Hand. Waren Sie damals zu cool für Eurodance?
Christoph Jacke: Natürlich hat man seinerzeit alle möglichen popmusikalischen Phänomene wahrgenommen und sich dazu positioniert. Ich selbst habe mich eher an die damals Mainstream werdende Alternativmusik von den Pixies oder Nirvana gehalten. Wenn Eurodance bei uns auf Partys stattfand, dann war es ästhetisch gebrochen – trash-ästhetisch. Natürlich haben wir zu „Pump Up The Jam“ getanzt, weil wir es witzig fanden.
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Was war der Reiz an Künstlerinnen und Künstlern wie Blümchen oder Culture Beat?
Die Künstler schienen für eine große Öffnung innerhalb der Pop-Musik zu stehen, für eine gewisse Bejahung, für eine Art von Partykultur und von mir aus auch für die berühmt-berüchtigte Spaßgesellschaft. Dadurch sind dann auch diese verknappten, beat-lastigen Partysongs entstanden. Mit einem großen Ausrufezeichen wird gesagt: Wir wollen feiern, wir wollen tanzen. Eurodance steht für eine drastische, massenwirksame Partykultur.
Warum funktionieren die alten Bands von damals heute wieder so gut?
Weil es so viele Menschen betrifft. Die einen haben eine konservative Erinnerungskultur, freuen sich über die alten Songs und schwenken ihr Feuerzeug. Die wollen keine Veränderung und es genau wie damals beibehalten. Die anderen sind die Jüngeren, die das damals gar nicht erlebt haben und es jetzt erstmals erleben wollen: nicht im Damals, sondern im Jetzt. Ich glaube, dass gerade die Partykultur, dieses bestimmte Abfeiern der 90er-Jahre-Musik, in einer Zeit, die von so viel Unsicherheit, Bedrohung und Konflikten geprägt ist, nicht untypisch ist. Damals war es aufgrund des deutschen Mauerfalls eine einzige große Feier. Jetzt sind wir aufgrund der vielen Konflikte auf der Welt etwas ernüchtert und wollen, etwas karikiert dargestellt, auch mal wieder feiern.
Prof. Dr. Christoph Jacke leitet die Studiengänge Populäre Musik und Medien BA/MA an der Universität Paderborn und ist Vorsitzender des deutschsprachigen Zweigs der International Association for the Study of Popular Music (IASPM D-A-CH). http://www.christophjacke.de
Glauben Sie, die Leute feiern solche Lieder ironisch als eine Art Bad-Taste-Event– oder tatsächlich ernsthaft?
Je nach Gruppe, es wird Jüngere geben, die das ernsthaft unterhaltsam finden, und Ältere, die das sowohl gestrig erinnern als auch ironisch brechen.
„Lass uns nicht immer nur diskutieren oder trumpistisch Krawall machen, sondern mal wieder eine gute Zeit haben“
Kann ein Blümchen-Comeback nach 18 Jahren Pause wirklich funktionieren?
Das kommt auf die Kraft an, die dahintersteckt. Wenn sie die alten Leute revival-mäßig und trash-ästhetisch wieder begeistert und die Jüngeren einfach deswegen, weil die Musik jetzt wieder funktioniert, dann kann es klappen. Die Frage ist, ob sie sich in einen Zeitgeist einklinkt. Der Zeitgeist könnte sein: Lass uns nicht immer nur diskutieren oder trumpistisch Krawall machen, sondern mal wieder eine gute Zeit haben und einfach nur feiern. Mit einem Augenzwinkern. In den 80ern gab es „Ein bisschen Frieden“ von Nicole, jetzt könnte das Motto lauten: „Ein bisschen Spaß“.
Wie lange dauert es in der Regel, bis ein Genre ein Revival erlebt?
Ich glaube, das lässt sich nicht pauschalisieren. Spannend ist dabei, eine pop-musikalische Generation zu beobachten. Im weitesten Sinne sind das Großeltern, Eltern, Kinder. Wenn eine pop-musikalische Generation die andere ablöst, dann grenzt sie sich entweder vom Alten ab oder sie entdeckt das Alte neu. Beide Bewegungen gibt es. Wenn das Alte wirklich wieder massenwirksam werden soll, dann ist ein Einklinken des Genres in aktuelle Ereignisse wichtig. So wie es beispielsweise Lady Gaga mit ihren Eurodance-Anleihen in einigen Songs getan hat oder es in avantgardistischer elektronischer Musik passiert.
Der Musikjournalist Simon Reynolds schreibt in seinem Buch „Retromania“: „Wir leben in einem Zeitalter des Pop, das völlig verrückt ist nach permanenter Erinnerung“. Ist das Revival von Eurodance ein Symptom davon?
Es gibt durch unsere Art der medialen Kommunikation, vor allem in sozialen Netzwerken, durch neue Technologien, durch diese Dauermedialisierung, den Bedarf an Dauerthematisierung und Dauererinnerungsanlässen. So entstehen permanente Verweise und Vermischungen wie etwa in Remix-, DJ- und Mash Up-Kulturen, wenn zum Beispiel Madonna ein Abba-Sample in „Hang Up“ benutzt.
Jedes Genre, auch Eurodance, schafft Erinnerungen. Ich sehe bei meinen Studierenden, dass sie durch die vielen digitalen Medientechnologien und -angebote schneller an Musik gelangen, die man früher maximal im Plattenladen oder über Radio, Fernsehen und durch Freunde entdecken konnte. Jetzt entdecken sie es alle selber in den Medien. Interessant ist, dass die 90er-Partys schon Anfang der Nuller-Jahre aufkamen, weil es offensichtlich ein Themenbedarf auch in der Partykultur gab. Aktuell haben wir wieder eine Entdeckungsphase und 90er-Jahre-Musik wie Eurodance und Grunge tauchen wieder auf.
Wird uns auch ein Nuller-Jahre-Revival erwarten, obwohl es in Deutschland in dieser Zeit kaum charakteristischen Pop gab?
Das ist etwas unfair. Zudem gab es in den Nullern sehr viel interessante Popmusik in allen Genres. Es ist so schwer, noch etwas groß und umfassend neu zu machen, wenn alles revivalt, recycelt und geremixt wird. Ich glaube aber, dass neue Generationen in allen möglichen Bereichen zyklisch Genres wiederentdeckten.
Würden Sie sich nun eines der Blümchen-Comebackkonzerte ansehen?
Als Wissenschaftler: ja. Als Journalist: Kommt drauf an. Als Privatmensch: nein.