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Banksy-Aktion bei Sotheby's: Blödsinn oder genial?
Johanna findet: Go home, Banksy, you’re done!
Kunst war mal wild. Christoph Schlingensief rief zur Tötung Helmut Kohls auf, Joseph Beuys schmiss ein Stück Butter an die Wand, Vincent van Gogh schnitt sich ein Ohr ab. Okay, das mit dem Ohr war weniger der Kreativität als dem Wahn geschuldet, aber trotzdem: Es ging früher richtig ab in der Szene. Und was muss ein Künstler heute tun, um sämtliche Nachrichtenkanäle weltweit zu bespielen? Ganz einfach: einen Namen haben.
Um nichts anderes ging es bei der jüngsten Banksy-Aktion. Die Schlagzeilen am Wochenende waren voll davon, dass der Graffiti-Künstler sein „Girl with Balloon“-Motiv gedruckt und in einen Rahmen gehängt hatte, der einen versteckten Schredder enthielt und das Bild in Streifen schnipselte, sobald jemand eine Million Pfund dafür geboten hatte – und das auch noch bei Sotheby’s, einem der renommiertesten Kunst-Auktionshäuser der Welt.
Krass, wie der der Kunstwelt den Spiegel vorhält! So ungefähr lautete die begeisterte Reaktion weltweit. Klar, die Idee ist schräg, die erschrockenen Gesichter der Twinset-bestückten Käufergesellschaft waren lustig, das Timing gut: Einen Aufreger aus der Kunstszene gab es schon lange nicht mehr, und dass es etwas vergleichsweise Unschuldiges wie Kunst in die Top-Nachrichten schafft, ist in Zeiten von Trump und AfD ja auch mal ganz schön.
Aber große Aktionskunst? No way. Die Aufregung kommt allein daher, dass der Name Banksy bei Händlern Dollarzeichen in den Augen aufleuchten lässt und bei Laien sofort schwarz-weiße Graffitis im Kopf aufruft, die als billige Drucke die WG-Küche genauso verschönern wie den Showroom eines Autohauses. Denn seien wir mal ehrlich: Die Sachen sind toll gezeichnet, aber sehen einander immer ähnlich – und sind nicht gerade tiefgründig. Zwei küssende Polizisten, ein Vermummter, der statt Steinen Blumen wirft. Das mag politisch gemeint sein und auch so verstanden werden, aber letztlich ist es doch vor allem: Kitsch mit ein bisschen Gesellschaftskritik, fürs gute Gefühl. Banksy wurde der kollektiv gefeierte Lieblingskünstler der Generation Y: Alles muss einen Sinn haben, auch die Postkarte mit der hübschen Zeichnung drauf. Jeder kennt Banksy, alle finden ihn okay bis supertoll.
Trotzdem war er mal die große Hoffnung aller, für die Kunst mehr sein soll als etwas, das schön aussieht. Und ja, auch ich hegte diese Hoffnung. Dass Banksy seine Werke zeitweise in berühmten Museen an die Wand sprayte – ungebeten, wohlgemerkt –, war schon ziemlich cool. Auch, dass immer mehr Graffitis überall auf der Welt urplötzlich und über Nacht auftauchten, das hatte was Subversives, Neues. Aber aus dem Konzept des Sprayer-Phantoms wurde ziemlich schnell ein nicht zu bremsender Hype.
Und der dreht sich schon seit langem weniger um die Bilder selbst als um die Figur, die sie zeichnet: der große Unbekannte, von niemandem zu fassen. Das Unerkanntbleiben ist in Zeiten von Internet und globalen Investigativrecherche-Netzwerken zugegebenermaßen eine Leistung; das Spiel mit Anonymität und Identität aber als große Kunst zu betreiben, wirkt auf Dauer ein bisschen billig. Klar ließe es sich als Ausdruck der Bescheidenheit interpretieren, aber Banksy selbst hat den Kult um seine Person zu sehr befördert – nicht zuletzt durch die Pseudo-Doku “Exit Through The Gift Shop” –, als dass man darin viel anderes sehen könnte als kluges Marketing.
Nur verständlich, dass er jetzt mit einer Aktion wie “Going, going, gone” (so betitelte er sie auf Instagram) seine Aufmerksamkeitskurve neu pushen will. Denn seitdem das von ihm entworfene “The Walled Off Hotel” in Palästina viel Kritik einheimste, weil es zwar direkt an der Grenzmauer zu Israel liegt und auf den Nahostkonflikt aufmerksam machen will, aber durch angeschlossenen “Gift Shop” und der Prominenz des Künstlers entsprechende Zimmerpreise vor allem als clevere Geschäftsidee erscheint, ist es ruhig um Banksy geworden. Und “Street Art” ist inzwischen sowieso das, was man bei Ikea und im Baumarkt kaufen kann, ein bisschen Sprühlack hier, ein bisschen Neonfarben da.
Mit Kunst hat das nichts mehr zu tun, sondern vor allem mit Kommerz. Leider auch dann, wenn man es in einen Goldrahmen mit integriertem Wow-Effekt hängt. Das mit dem „Kunstmarkt vorführen“ hätte nur dann geklappt, wenn das zerstörte Bild jetzt nicht das Doppelte wert wäre. Und dass Zeugen dann einen Mann mit Hut und Sonnenbrille beobachtet haben wollen, der mit dem Sicherheitspersonal gerangelt habe, wirkt da nur noch verzweifelt: Die Phantomfigur Banksy mit so einer albernen Verkleidung sichtbar machen zu wollen (aber dann ja auch irgendwie wieder nicht), das ist metaphorisch genauso übertrieben in-your-face, wie Kritik an Gewalt durch gezeichnete Blumen darzustellen.
Kurz: Die Aktion zeigt, dass sich das Konzept Banksy selbst überholt hat. Anstatt dagegen anzukämpfen, dass Kunst immer mehr zu einem absurden Millionengeschäft wird, bedient er sich nämlich der Mechanismen genau dieses Systems für seine Selbstvermarktung als großes Gesamtkunstwerk, das er aber eigentlich längst nicht mehr ist. Alle reden zwar über ihn, aber kunstmarkttechnisch oder gar gesellschaftlich bewegt sich dadurch exakt gar nichts.
Dass so viele positiv reagierten und nicht zuletzt, dass Sotheby’s bei der ganzen Aktion mutmaßlich mitgespielt hat, das zeigt: Vielleicht ist nicht nur dieser Künstler am Ende, sondern politische Konzeptkunst überhaupt. Denn wenn die plötzlich allen gefällt, ist sie überflüssig.
Jamin findet: Banksy ist genial
Stellt euch vor, Banksy macht was und keiner geht hin oder schreibt gezwungen kritisch darüber. Seit eines seiner Gemälde bei Sotheby’s für eine Million Pfund versteigert wurde und nur Sekunden nach dem Hammerschlag durch einen Schredder ging, zerreißen sich Kritiker und Feuilletonisten fleißig die Mäuler, um ihre kritische Sicht auf die Aktion publik zu machen (niemand will ja einen Artikel lesen, in dem man einfach mal lobt).
Natürlich kann man schnell ein paar Schlüsse ziehen und die ganze Nummer als populistischen Sell-out betrachten. Quasi als Nagel in Banksys Sarg. Die Aktion, mit der er das Ruder übersteuert hat. Aber es lohnt sich, an ein paar wesentliche Kritikpunkte einen zweiten oder auch dritten Gedanken zu verschwenden – und dann zu erkennen, wie genial Banksy immer noch ist.
Kritikpunkt 1: „Wie absurd der Kunstmarkt mittlerweile ist!“
Ja eben! Jemanden wie Banksy zu unterstellen, dass er die Mechanik des Konzepts Kunstmarkt nicht versteht, ist naiv. Das zerstörte Kunstwerk (Girl With a Balloon) war binnen kurzer Zeit am Markt doppelt so viel wert wie zum Zeitpunkt der Versteigerung (nämlich ca. zwei Millionen britische Pfund). Die Aktion (meiner Meinung nach ist es viel eher eine glorreiche Performance) hat Aufsehen erregt, das öffentliche Interesse ist gewaltig, der reiche Käufer wird noch reicher und der Kunstmarkt freut sich ein Loch in den verwöhnten Bauch.
Wäre der Wert durch das Schreddern nicht gestiegen oder gar stark gesunken, hätte Banksy seine Kunst vor der Kommerzialisierung gerettet und ,nur‘ ein symbolisches Zeichen gesetzt. Durch die Wertsteigerung hingegen führt er uns die Absurdität des Kunstmarktes vor Augen: absolute Wertsteigerung durch eigentliche, objektive Wertminderung (Zerstörung des Objekts).
Kritikpunkt 2: „Das war eine populistische Aktion!“
Banksy hat auf Instagram ein Video mit inzwischen über acht Millionen Views gepostet, in dem man sieht, wie er (angeblich vor Jahren) einen Schredder in einen Rahmen mit dem Gemälde einbaut, „falls es mal versteigert werden sollte“. Vorangestellt ist ein Zitat von Picasso: „The urge to destroy is also a creative urge“.
Ja, das kann man einfach populistisch finden, vor allem, wenn man Banksy kritisieren will, weil alle ihn immer kritisieren wollen. Aber diese Engstirnigkeit verhindert vielleicht, dass man das riesige Ironie-Schild sieht, mit dem der Künstler einem vor dem Gesicht herumwedelt. Er hätte ja auch ein anderes Zitat auswählen oder selbst etwas Schickes sagen können. Er hat sich aber für ein bekanntes Zitat eines noch bekannteren Künstlers entschieden. Um sein bekanntes Gemälde bei einem der bekanntesten Auktionshäuser zu versteigern. Das ist kalkulierter Populismus, um eben jenen zu kritisieren. Was Banksy hier parodiert ist, dass der Kunstmarkt Künstler immer mehr zu Unternehmern macht und vor Kommerz strotzt. Hauptsache groß, viel und mehr. Weiter, schneller, besser. Romantik? Fehlanzeige.
Kritikpunkt 3: „Sotheby’s muss doch davon gewusst haben!“
Na und? Hier kommt doch gerade Banksys wahre Glanzleistung ins Spiel. Dass Sotheby’s von dem Streich gewusst haben muss, steht für viele außer Frage. Und einige Punkte sprechen ganz klar dafür. Das darf man aber nicht zu voreilig mit einem negativen Etikett versehen und als Ausverkauf Banksys interpretieren.
Dass das traditionsreiche Londoner Auktionshaus seinen ganz eigenen Nutzen aus den Geschehnissen zieht, ist offensichtlich. Die Nachbeben der Auktion haben eine PR-Maschinerie in Gang gesetzt, wie sie nur unsere durch Social Media diktierte Medienwelt hervorrufen kann. Das öffentliche Interesse ist wahnsinnig. Es hagelt Likes, Klicks und Links.
Aber kann es nicht sein, dass Banksy Sotheby’s reingelegt beziehungsweise vorgeführt hat? Dass er das alles köstlich, ironisch und aufschlussreich findet? Dass eine Institution auf dem Kunstmarkt, die das Medium eigentlich lieben und schätzen sollte, Nutzen aus der wortwörtlichen Zerstörung eines Werkes zieht? Die Beteiligung von Sotheby’s macht das Ganze nur umso grandioser. Denn wenn Verantwortliche von Banksys Vorhaben wussten, dann entschieden sie sich bewusst dazu, Aufmerksamkeit gegen Kunst zu tauschen. Mehr Symbolismus geht kaum: der totale Ausverkauf der Kunstwelt. Und jetzt spielt die weltweite Kulturelite wegen der absoluten Nichtigkeit ein paar Tage verrückt.
Und, last but not least, das kleine Meisterstück: Banksy hat die Geschichte so inszeniert, dass Zweifel über die Involviertheit des Auktionshauses bestehen bleiben können. Anfangs sieht es nach einer Ein-Mann-Arbeit aus. Stimmen werden laut. Ein kleines Detektivspiel fängt an. Storytelling auf höchstem Niveau. Publikumswirksamkeit a là carte. Populismus vom Feinsten. Aus den richtigen Gründen. Von vielen leider falsch verstanden.