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Als ich das erste Mal in Aleppo war
Es war ein sehr heißer Tag im Sommer, als ich meinen Onkel vom Flughafen in Aleppo abholte. Er hatte ein Jahr lang in Saudi-Arabien gearbeitet, dort kann man gutes Geld verdienen. Er wusste nicht, dass ich ihn aber nicht einfach nur abholen wollte, sondern auch einen kleinen Ausflug für uns beide plante. Als wir ins Auto einstiegen, sagte ich: Onkel, wir nehmen jetzt mal einen kleinen Umweg nach Hause. Wir fuhren rein nach Aleppo, ich war noch nie dort gewesen. Es wurde ein sehr toller Tag.
Wir schlenderten über den Souq, holten uns etwas zu Essen an einem der vielen Grillwagen, die dort überall am Straßenrand standen. Mein Onkel erzählte mir von seinem Leben in Saudi-Arabien.
In Aleppo (in Syrien heißt die Stadt Halab) zu sein, machte mich auf eine sehr spezielle Art lebendig. Archäologen sagen, sie ist die älteste, durchgehend bewohnte Stadt der Welt. Seit 6000 vor Christus leben dort Menschen. Das fand ich damals sehr faszinierend, weil die Stadt, trotz ihres Alters, so wahnsinnig lebendig war. Es schien so, als wäre jeder der rund drei Millionen Einwohner mit irgendetwas beschäftigt. Jeder musste irgendwo hin, überall unterhielten sich die Leute, aber all das war eher immer sympathisch und wirkte eigentlich nie gestresst oder aggressiv:
Die Arbeiter in den kleinen Läden an den Straßenrändern, die lachten, während sie ihre Tonkrüge formten. Der Typ, der ein Lied sang, während er versuchte, ein Taxi zu bekommen (was mittags in Aleppo einfach unmöglich ist). Das werde ich nie vergessen, die Gelassenheit dieses Mannes hatte mich sehr beeindruckt. Wo immer ich hinschaute, die Leute verkauften etwas, oder irgendetwas wurde gerade geliefert, Leute gingen in Restaurants ein und aus… Man kann sich das alles vielleicht ein bisschen wie das New York Syriens vorstellen, aber die lange Geschichte kommt dann noch oben drauf.
Mein Onkel und ich mussten uns unbedingt die Zitadelle anschauen, mit ihren uralten, majestätischen Gebäuden. Wenn man sich vorstellt, wie viele Imperien und Königreiche man von der Zitadelle aus im Laufe der Geschichte beobachten konnte, macht einen das sprachlos. Oder durch die Gassen Richtung Umayyaden-Moschee zu gehen, auf den genau gleichen Wegen wie einer, der hier schon vor 6000 Jahren lebte. An den gleichen Häusern vorbei, wo eine Frau vor 5000 Jahren ein Kind bekam. Das ist auch ein großer Grund, weswegen jeder Syrer, mich eingeschlossen, sich mit Aleppo und seiner Geschichte verbunden fühlt.
Doch die meisten der Gebäude sind heute Trümmer.
Als wir spät am Abend zurück in Homs waren, fragten meine Eltern, warum wir beide eigentlich solange gebraucht haben. Mein Onkel antwortete: „Ihr habt Abu Emad geschickt, um mich abzuholen. Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass das problemlos funktionieren würde?“ Wir lachten alle. Ich fühlte mich so wohl.
Wir alle verbinden bestimmte Gefühle mit bestimmen Leuten, Dingen und Ereignissen. Es ist furchtbar, wenn diese Gefühle, und zwar alle zusammen, sich sich in Trauer und Sorge und Angst verwandeln. Ich wusste gar nicht, dass ich so etwas überhaupt fühlen könnte, bis die Dinge so schrecklich wurden, dass man sie nicht mehr beschreiben kann.
Noch bevor ich mich als Syrer oder Moslem fühle, fühle ich mich als Mensch, der einfach nicht glauben kann, dass das alles echt ist, was dort passierte und passiert. Ich bin nicht in der Lage zu verstehen, warum ein Mensch einen anderen tötet, nur weil dieser frei sein will. Ich fühle mich hilflos, unfähig, etwas dagegen zu tun, aber manchmal stelle ich mir vor, dass ich dort bin, und dann rede ich in Gedanken mit Assads Soldaten dort und sage ihnen: Wir lebten in diesem Land seit Generationen zusammen. Ich weiß, wir sind unterschiedlich, aber bitte glaubt mir, wir können zusammenleben, wir sind doch alle Syrer, wir können miteinander existieren. Wisst ihr noch, weshalb wir angefangen haben, gegeneinander zu kämpfen? Seht ihr denn nicht, dass dieses Regime Menschen zu Monstern macht?
Bitte vergesst nur einen Moment, was man euch erzählt hat, was ihr denken sollt.
Wo war denn Obama? Was hat er denn gemacht, um uns zu helfen? Wo ist er jetzt?
Vielleicht kann ich als einzelne Person nicht viel verändern, aber zu sehen, dass die ganze Welt tatenlos zusieht, ist noch mal etwas Anderes. USA, EU, UN und UNSC (Sicherheitsrat) sind Abkürzungen, die für verschiedenen Länder und Organisationen stehen, die aber eins gemeinsam haben: Sie schauen zu, wie die Menschen dort abgeschlachtet werden, ohne nur im geringsten etwas zu unternehmen. Ohne etwas zu tun, das wirklich helfen könnte.
Viele Syrer hier in Deutschland machen sich über die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen lustig, die sich in ihrer ach so tollen Rede an alle Führer dieser Erde richtete – speziell aber die im Westen. „Schämen Sie sich gar nicht?“, fragte sie.
Ich und viele andere amüsieren uns darüber, dass ausgerechnet eine Vertreterin der USA so eine Rede hält. Wo war denn Obama? Was hat er denn gemacht, um uns zu helfen? Wo ist er jetzt?
Dass das Regime nun Aleppo kontrolliert, ist sehr schmerzhaft für alle, die die Revolution unterstützten. Und für alle Menschen, die ihre Lieben verloren haben. Doch gleichzeitig ist es es jetzt auch fast sechs Jahre her, seit die syrische Revolution begann. Konnte das Regime sie beenden? Nein. Nicht mal mit der Hilfe der massiven russischen Militäreinsätze, oder mit den Terror-Milizen aus dem Libanon oder dem Iran gelang das dem Regime.
Assad hat den Kampf um Aleppo gewonnen, aber der Krieg geht weiter. Niemand weiß, wann oder wie all das Töten und Morden enden wird. Aber der Wille der Menschen ist auch nach den ganzen Jahren Krieg noch nicht gebrochen. Und wird es auch nicht werden.
Dieser Text wurde von Patrick Wehner übersetzt.
*A. Hakmi, 24, kommt aus Syrien. Mit 21 wurde er verhaftet, verbrachte einige Monate in einem Gefängnis des Assad-Regimes. Während des Bürgerkriegs hat er für viele internationale Medien als Informant gearbeitet, hat aus der umkämpften Stadt Homs berichtet. 2014 kam er mit einem Stipendium nach Deutschland. Er lebt mittlerweile in Berlin. Wir veröffentlichen den vollen Namen nicht, weil die Familie des Autors nach wie vor in Syrien lebt und Repressionen fürchten müsste.