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Kosmoshörer (Folge 19)
Der Kosmoshörer von jetzt-Userin [link=/jetztpage/kthrnmeyer" target="_blank">kthrnmeyer:
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Montag:
Es ist Pfingsten, das heißt: frei. Eigentlich wollte ich mir am Samstag ein Fahrrad kaufen - und habs dann doch wieder auf unbestimmte Zeit verschoben. Bisher fand sich immer noch ein Gepäckträger, um Wettrennen zum Grillen/Schwimmen/Tanzen zu fahren. Heute allerdings habe ich Pech. Der Fahrradladen hat geschlossen, der See, an dem sich die Freunde von Lianen in die Fluten stürzen, ist zu weit entfernt für Ausritte als Beiladung. Deswegen gehe ich stattdessen mit meinem Mitbewohner in den Park um die Ecke (in dem das Rasenbetreten streng verboten ist und keiner sich dran hält), lese die Zeitung vom Vortag, schmolle ein bisschen und lasse mir, mit einer Gabel und einem Feuerzeug als Protagonisten, politische Phänomene und das Leben erklären. Zwischendurch schlafe ich mit der Seite 3 auf dem Kopf und Kopfhörern auf den Ohren kurz ein - zu diesem Lied, das genau den Mix zwischen Melancholie und Wohligkeit widerspiegelt, der diesem Tag innewohnt. The Dig - I already forgot everything you said
https://www.youtube.com/watch?v=ffOCFTuDE5Y
Dienstag:
Meine Freundin M. fragt, ob ich trotz Sonne Lust auf geschlossene Räume habe und sie ins Theater begleite. München hat Gastspiel im DT und auch wenn René Pollesch (der heute Gasoline Bill inszeniert) mich eigentlich nervt, weil seine Dialoge manchmal klingen, als seien sie nur zum Twittern erfunden: Sie sind zumindest gut in Theoriedisco und in einen manisch durchchoreographierten Soundtrack eingebettet. Die Cowboys tanzen mit Lacan und Zizek-Versatzstücken vor einem Glitzervorhang den Interpassivitätsdiskurs - und erklären, warum man zwar Delfine mit Greenpeace retten kann, aber gesamtgesellschaftlich betrachtet trotzdem immer trauriger wird.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das alles auf die Tonspur von ]https://www.youtube.com/watch?v=_Sedt2LhOmc
Mittwoch:
Heute besichtige ich zum ersten Mal das Gemeinschaftsbüro, in dem ich hoffentlich bald einen Stuhl habe. Die modern umstrukturierte Arbeitswelt hat bei mir dazu geführt, dass ich meine Jobs meistens von der heimischen Küche aus jongliere. Dummerweise habe ich nach dem Uniabschluss meinen Schreibtisch in den Hinterhof geworfen, weil ich fand, dass es eines Rituales bedürfe, diese Lebensphase abzuschliessen. Und nun brauch ich ihn doch wieder. Bisher war der kurze Weg zur Arbeit sehr angenehm, aber es ist dann doch lustiger, wenn man den Videobuzz des Tages nicht zu remote verschicken muss und vom Sitznachbarn auch eine Reaktion bekommt. Ich mag den Zustand sehr, in dem Neues sich ankündigt, aber noch nicht richtig angefangen hat. Mein Musikstreamingpremiumaccountalgorithmus empfiehlt mir, während ich verzückt die Team-Küche und die künftigen Co-Worker betrachte, zum Gefühl folgenden Soundtrack: die Spotify-Playlist- Kreativitätsschub
Kreativitätsschub[/link]
Donnerstag:
Nochmal Arbeitsbezogenes. Grillen mit meinem Lieblings-Konferenz-Team. Der Termin fällt zusammen mit dem Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft (Auf der Mailingliste leichtes Rumoren). Das Grillgut drängt sich noch nicht auf dem Rost, da ist schon von Zauberhand ein veritables Public-Viewing Szenario samt Sofas und Beamerwand mit monströser Diagonale aufgebaut. Dass einem flau im Magen wird, liegt leider nicht nur am Hunger, sondern auch an der spätstalinistischen Eröffnungs-Stadionchoreographie aus menschlichen Blumen, JLo's glitzerndem Hintern sowie dem glitzernden Hintern ihres Klons. Und an dem politischen Wahnsinn, der an dieser WM hängt und komplett ausgeblendet wird. Aus den Boxen dröhnt, überraschend dialektisch Deichkind&Das Bo - "Ich hab eine Fahne":
https://www.youtube.com/watch?v=T9oo7wb7cw8
In der Halbzeitpause plane ich mit meinen Kolleginnen unseren gemeinsamen Festival-Ausflug zu Fusion. Wir haben ein Wohnmobil gemietet, und nennen das Konzept: „Altern in Würde". Das Hippietum muss sich ja nicht zwangläufig am Duschen oder Nicht-Duschen festmachen. Auf dem Weg hören wir bestimmt u.a.:
https://www.youtube.com/watch?v=EShhs67O0BU
Freitag:
Der Bruder meiner Freundin I. ist aus Übersee zu Besuch und nutzt den Abend, um gemeinsam mit seiner musikalischen besseren Hälfte sein DJ-Kollektiv wiederaufleben zu lassen. Alle sind da - nur die 28 Grad plus nicht, die für Open-Air-Tanzen angemessen wären. Wir drängen uns um die brennenden Feuertonnen, nippen an unseren Drinks und wippen die Kälte weg. Um zwei steige ich aus und gehe lieber schlafen. Zu früh, wie ich am nächsten Tag vernehme. Das Beste kam zum Schluss, unter anderem wurde die Frage geklärt, wann in der musikalischen Auswahl der Rubikon des jeweils anderen DJ-Parts überschritten ist: Offensichtlich bei No Diggity.
https://www.youtube.com/watch?v=1ymZLKz7mac
Samstag:
Das mit dem Tanzen muss besser werden. Mit French Pop und Wein bereiten wir uns in der Küche von M. auf eines der nächtlichen Highlights der Stadt vor: Es ist Engtanzparty. Sämtliche Hipster werfen ihre ironische Distanziertheit ab, die Glitzerfummel über und alle Bedenken über Bord. Der Club ist voller Herzen und Konfetti und vom Band kommt nur das Beste der 80er und 90er. Wie ein niemals endendes La Boum winden sich verschwitzte Körper umeinander, die Hände in der Luft zu dem alle drei Stunden wiederkehrenden „Bed of Roses". Um sechs Uhr und bei schönster Morgenröte schallt uns unser persönlicher Farewell-Song "Ohne Dich" hinterher. Wir halten kurz inne und sehen uns selig in die rosigen Gesichter. Selbst wenn man beim Refrain kurz an die letzte verflossene Liebe erinnert wurde, nirgends in der Stadt glaubt man ganz unzynisch mehr daran, dass es immer eine Neue geben wird. Und auch sonst alles gut wird, irgendwie. Musikalisches Highlight des Abends:
http://vimeo.com/50677844
Sonstiges Highlight des Abends: Plötzlich stand der alte Mathe-Nachhilfelehrer auf der Tanzfläche vor mir. Passt ja auch ins Setting.
Sonntag:
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Zu Ehren des besagten Bruders aus Übersee findet zum Abschluss der Woche noch ein mondänes Dinner statt. Allein das Arrangieren des Blumenschmucks dauerte Stunden, so hört man. Nach drei Gängen hängen alle Gäste selig in den Seilen. Ich schleppe mich mit letzter Kraft zu Fuß nach Hause, weit nach Mitternacht, und eigentlich auch nicht zu M83, aber das Plakat hing mir den Abend gegenüber.
https://www.youtube.com/watch?v=M2IPU05tZ2k
Gute Musik - was ist das für dich?
Gute Musik funktioniert vor allem darüber, dass sie mich irritiert, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grad. Meinen jahrelangen vierhändigen Klavierunterricht (gegen die Langeweile und damit man nicht allein durch die Etituden muss) habe ich zum Beispiel eingestellt, weil mein Mitspieler T. anfing Jazz zu komponieren - und weder meine Hände noch mein Ohr folgen konnten - dafür traf ihn beim inbrünstigen Begleiten jetzt häufiger mein rechter Ellenbogen. Bei Medien generell finde ich: es gibt nichts Schlimmeres, als sich nicht drauf konzentrieren müssen, weil das Ergebnis so banal ist bzw gar keinen Charme hat.
Wie hörst du Musik: Klassisch im CD-Spieler, auf dem Handy, über Streaming-Portale?
Meist höre ich Musik jetzt über mein Handy. Mit Kopfhörern und genügend Speicherplatz ist das einfach praktisch. Bis ich zu Hause ausgezogen bin (also so vor 8 Jahren) hatte ich eine Minianlage, die ich unter anderem dann voll aufgedreht habe, wenn ich (in der Oberstufe) eine neue Musikexpress etc. mein Eigen nannte, da klebte vorne nämlich immer eine CD mit Indie-Neuerscheinungen drauf. Das war toll. Getriggert wurde diese Indieliebe sicher auch von meinem damaligen Lieblingsbuch: Soloalbum. Der weibliche Hauptcharakter trug meinen Namen und das Musikredakteursleben klang wild und funkelnd.
Wo hörst du Musik? Vor allem unterwegs, nur daheim, zum Einschlafen?
Ich höre Musik: Unterwegs, dann aber gemixt mit Podcasts, auf der Arbeit, denn nur dann kann ich mich konzentrieren - interessanterweise oft sogar laut, so eine Filterbubble scheint nicht nur ähnliche Ansichten zu produzieren, sondern auch konsensfähigen Musikgeschmack - zum Sport, denn nur dann halte ich nicht an beim Joggen. Und ansonsten ziemlich viel zu allen Gelegenheiten, zu denen man sich ohne weitere Tätigkeit - oder zumindest fast - in seiner Wohnung aufhält.
Hast du eine Lieblingsband oder Musiker, von denen du alles hörst?
Dieses Phänomen hat sich bei mir schon mit dem Ende der Boyband-Ära eingestellt. Klar, ich mag Beirut und klar, ich mag Mumford&Sons und eh viel Singersongwriter-Kram, aber diese ganzen Bands funktionieren auch oft nach so einem vorhersehbaren Melodieprinzip, dass es schon fast wieder langweilig ist. Auch bei Konzerten ist mir schnell fad - da spielt ja immer nur eine Band.
Welche Musik magst du gar nicht und warum?
Ich mag eine ganze Menge Musik nicht, aber generell kann man das vielleicht am Phänomen Frank Farian oder so festmachen. Oft ist genau die Musik am schrecklichsten, die die Produzenten sich nach harter Analyse des Marktes ausgedacht haben, und nicht die Band. Kann man immer noch sagen „Aber das ist doch schöner POP!", aber ich finds nicht. Das hat ja dann gar nichts mit Gefühlen zu tun oder allem,was Musik sonst besonders macht.
Was war deine erste eigene Platte - und wohin ging dein Musikgeschmack von da aus?
An meine erste Platte kann ich mich gar nicht erinnern, wohl aber an mein erstes Konzert. Das war Gentleman in einem rauchschwadigen Club in Bremen. Ich durfte allein mit einer älteren Freundin hingehen und wankte beseelt im bekifften Publikum zu Dem Gone usw., wie eine Palme auf Jamaica im karibischen Wind.
Dann - wie schon angedeutet - folgte relativ nahtlos die Indiemädchenphase, flankiert von Konzertbesuchen bei südamerikanischen Skabands. In meinem Gesicht ploppten an unterschiedlichen Stellen Piercings auf, ich färbte mir die Haare türkis (meine liberalen Eltern fanden nur, das schmeichele meinen grünen Augen) und mein erster Freund lieferte den Soundtrack zur Rebellion - oder das, was wir dafür hielten: Die gesammelten Werke von Metallica. Und System of a Down.
Gehst du gern auf Konzerte, und auf welche zuletzt?
Ich geh nicht besonders oft auf Konzerte und es gibt auch selten welche, die mir im Gedächtnis bleiben. Zuletzt zum Beispiel von der höchsten Eisenbahn. Das ist sowas wie eine deutsche Supergroup aus lauter Indiehelden die schöne Sachen mit ihren Stimmen und Gitarren machen. Wenn, dann auch eher kleiner Club als großes Stadion. Sehr gerne mag ich auch Festivals. Man kann wie ein Goldschürfer de Spreu vom Weizen trennen. Und wenn man keine Lust mehr hat, verkriecht man sich ins Zelt oder spielt Trinkspiele.
Wie entdeckst du neue Musik und was ist deine neueste Entdeckung?
Zu meiner eigenen Schande muss ich gestehen, dass ich gerade tatsächlich vor allem mit dem „Stöbern"-Button meines Streamingdienstes arbeite, also vollkommen dazu übergegangen bin, mich mit der Analogie-Decke einzumummeln „Wenn dir das Lied gefallen hat, könnte dir auch das gefallen" usw. Stimmt meistens auch, ist aber gelebte Monotonie. Ich habe mir vorgenommen, jetzt wieder mehr in Musikblogs etc. zu stöbern. Und klar, Freunde sind auch ein großer Einfluss. Egal wo ich was Gutes höre (auch in Cafés), ich frage, wie die Band heißt und notier es mir. Und habe es im Zweifel zu Hause schon wieder vergessen.