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„Da ist mein Weltbild als Frau auseinander gefallen“

Foto: Apostelos Tsolakidis

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Julia wäre nie freiwillig in die Sauna gegangen. Nicht mal zur Massage. Sie vermied es, ihren Körper bewusst zu spüren. Für sie war er nicht mehr als die Hülle, in der sie lebte. Julius hingegen zeigt auf Instagram seine beiden u-förmigen Narben unterhalb der Brust. Und auf Youtube freut sich der 26-Jährige über jedes neue Haar an seinem Körper.

Julia und Julius sind ein und dieselbe Person – und gleichzeitig auch nicht. Julius ist Transmann. Zwischen ihm und Julia liegen 17 Monate Testosteronbehandlung, eine offizielle Namensänderung und eine Brust-OP, Mastektomie genannt. Über all diese Veränderungen schreibt er seit eineinhalb Jahren auf seinem Blog ftm Julius und veröffentlicht Videos darüber auf seinem Youtube-Kanal.

„ftm“ steht für „female to male“, also „von weiblich zu männlich“. Gibt man die Abkürzung bei Youtube ein, findet man tausende Videos, die dokumentieren, wie junge Transmänner ihr Äußeres an ihr Geschlecht angleichen. Der erste Haarschnitt, die tiefere Stimme, die ersten Muskeln. In seinem meistgeklickten Video fasst Julius sein erstes Jahr „auf Testosteron“ zusammen. Am Anfang des Videos sieht man Julius am ersten Tag seiner Testosteronbehandlung: rundliches Gesicht, kurzgeschorene Haare und eine Stimme, die er selbst nicht gerne zu hören scheint. Wie alles in seinem Leben war es eine wohlüberlegte Entscheidung, seine Transition öffentlich zu machen. „Selbst meine Psychologin hat mir schon mal gesagt, dass ich mir zu viele Gedanken mache“, sagt Julius und lacht. Dabei sammeln sich kleine Falten neben seinen grünen Augen. Dichte, dunkle Haare und eine eckige Brille rahmen sein inzwischen kantiges Gesicht.

Dass irgendetwas nicht stimmte, war Julius schon als Teenager klar. Was es war, erst mit 23, als er im Sprachkurs an der Uni eine Transfrau kennenlernte. „Ich dachte mir: Krass, dass das so geht – dass man dann einfach ganz normal weiter studiert“, erzählt Julius. Er begann zu recherchieren und fand online Menschen, die trans sind und nichts mit seinen stereotypen Vorstellungen von schrillen Transvestiten zu tun hatten. „Die Leute in den Vorher-Nachher-Videos redeten wie ich. Und hinterher sahen sie so viel zufriedener aus“, sagt Julius. „Da ist mein Weltbild als Frau auseinander gefallen.“

Auf den ersten Blick sind die sozialen Medien ein feindseliger Ort für Menschen, die nicht dem Mainstream entsprechen. Fitness-Hashtags, Model-Selfies und Beauty-Youtuber bauen Druck auf. Wer nicht schön, schlank und makellos ist, bekommt seltener Bestätigung. Aber: Soziale Netzwerke bieten Menschen auch die Chance, ihre Nische zu finden. Andere zu sehen, die ähnliche Wünsche und Probleme haben wie sie. Und mit ihrer Präsenz zu helfen, dass schädliche Tabus abgebaut werden.

„Mein Trans-Sein für mich selbst anzunehmen, war härter, als es nach außen zu tragen“, sagt Julius. Durch die Psychotherapie, die er machen musste, um die Hormone für die Angleichung zu bekommen, wurde ihm bewusst, dass seine Bedenken und Zukunftsängste unbegründet waren.  Er sagt, es hätte ihm auch geholfen, wenn er schon früher etwas über Transsexualität gesehen oder gelesen hätte – nicht erst, als er mit 23 Jahren im Netz recherchierte und in Foren, Facebook-Gruppen und auf Youtube fündig wurde. Und auch das, was er dort fand, betrachtet Julius im Nachhinein kritisch. Viele Erfahrungsberichte waren oberflächlich und verbreiteten scheinbar einfache Lösungen. „Zum Beispiel empfehlen da einige, sich die stärkste Testo-Dosis ‘reinzuballern’. Dabei brauchen viele Zeit, um sich an die Veränderungen zu gewöhnen.“

Julius fehlte der Raum für Zweifel – vor allem, bevor er selbst anfing, Testosteron zu nehmen. „Ich hatte Angst vor der Phase, in der ich nicht eindeutig als weiblich oder männlich wahrgenommen werde“, sagt Julius. Er fragte sich, wie es ist, plötzlich mit typisch männlichen Rollenbildern konfrontiert zu werden. Auch die möglichen Nebenwirkungen beunruhigten ihn. Genauso wie die Frage, ob er sich durch die körperlichen Veränderungen automatisch besser fühlen würde. „Niemand hat darüber gesprochen, wie das ist, jeden Tag ein neues Haar zu entdecken oder plötzlich pubertäre Anwandlungen zu haben, obwohl man Mitte 20 ist“, erzählt Julius. Also startete er den Blog, den er gerne gelesen, und den Youtube-Kanal, den er gerne gesehen hätte.

Julius kann minutenlang über seine wachsenden Geheimratsecken sprechen

Seine Videos nimmt Julius meistens in seinem WG-Zimmer mit der Webcam auf. Fast jede Woche erzählt er seinen rund 300 Abonnenten, wie das Testosteron seinen Körper verändert, mit welchen Nebenwirkungen er zu kämpfen hat oder wie er sich auf seine Brust-OP vorbereitet. Julius kann minutenlang über seine wachsenden Geheimratsecken und seine Hemmungen, ins Fitness-Studio zu gehen, sprechen. Auch wenn man solche Sorgen selbst nicht kennt, hört man ihm gerne zu. Denn Julius verstellt sich nicht. Wenn er lacht, klingt das ehrlich, und wenn er krank und niedergeschlagen ist, leidet man mit ihm.

Damit, dass er im Netz als Transmann auftritt, habe er nie negative Erfahrungen gemacht. Mit dem Austausch in der Trans-Community dagegen schon. Immer wieder würden Sorgen und Probleme von anderen Nutzern mit einem knappen ‘War bei mir auch so, ist nicht so schlimm’ abgetan. “Es macht alles nur schlimmer, wenn man in so einer Situation nicht ernst genommen wird”, sagt Julius. Einigen sei nicht klar, welchen Einfluss sie in den sozialen Netzwerken auf andere haben.

Auch Kommentare, die nur auf Äußerlichkeiten abzielen, ärgern Julius. „Wenn jemand unter mein Instagram-Bild schreibt ‘Oh, du schöner Mann’, zeigt mir das, dass der- oder diejenige nicht verstanden hat, worum es mir geht, wenn ich unter dem Bild über meine Beschwerden nach der Brust-OP schreibe.“ Viele Kommentare zeichnen ein klares Idealbild unter Transmännern: möglichst breites Kreuz, möglichst schmale Hüften, möglichst kantiges Kinn, noch ein bisschen Sport, dann siehst du super aus. So sehr die sozialen Medien Julius geholfen haben, seinen eigenen Weg zu finden, so kritisch sieht er es, wie wenig Platz sie für Vielfalt lassen.

 

„Zufrieden mit dem eigenen Körper zu sein, muss nicht heißen, ihn in all seinen Facetten zu lieben. Es geht darum, sich auf den Boden zu holen und sich zu sagen, dass jede Person schön ist, so wie sie ist.“ Noch sei er da nicht ganz angekommen, sagt Julius. „Dafür habe ich ja aber auch noch ein paar Jahrzehnte Zeit.“ Jetzt will er sich erst mal auf andere Dinge als seinen Körper konzentrieren. Er ist vor Kurzem für seinen Master nach Bamberg gezogen. Für das nächste Semester hat er sich vorgenommen, einen Yoga-Kurs zu besuchen, um sich noch wohler in seinem Körper zu fühlen. Julia hätte sowas niemals freiwillig getan.

 

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