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"Einer unserer Redner hat wegen Sicherheitsbedenken abgesagt"

Foto: Guido Kirchner / dpa

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30.000 Menschen erwartete die Stadt Köln am Sonntag. Acht Wasserwerfer und 2700 Polizisten warteten auf die Demonstranten. Als Reaktion auf den Putsch in der Türkei fand eine große Pro-Erdoğan-Demo statt. Die Unterstützer des türkischen Präsidenten versammelten sich auf dem Platz an der alten Deutzer Werft. Auf der anderen Seite der Deutzer Brücke gab es einen Flickenteppich aus Gegendemonstrationen. Angekündigt hatte sich die rechte Bürgerbewegung "Pro NRW", gegen die sich wiederum "Köln gegen Rechts" positionierte. Ein Bündnis der JuSos, JuLis, der Linksjugend und der Grünen Jugend Köln bildeten ebenfalls einen Teil der Opposition auf der anderen Seite des Rheins. Sie verstanden sich als Gegenpol zur Pro-Erdoğan-Versammlung und den Pro-NRW-Teilnehmern. Den vielen Polizeibeamten sei es zu verdanken, dass nichts passiert sei, sagt Julia Pesch (25), Sprecherin von Grüne Jugend Köln und Mitorganisatorin von "Erdowahn stoppen – Demonstration für Demokratie und Menschenrechte" im Interview.

jetzt: Ihr seid gestern unter dem Motto "Stoppt Erdowahn" auf die Straße gegangen. Hattet ihr Angst auf der Demo?

Julia Pesch: Bei uns auf der Demo war es sehr entspannt. Ich kann aber verstehen, dass die Menschen Angst hatten. Wir haben im Vorfeld mit der Polizei in Kontakt gestanden, weil eine Eskalation schon möglich gewesen wäre.

Seid ihr mit den anderen Demos, mit Pro NRW oder der Pro-Erdoğan-Demo, in Berührung gekommen?

Nein, das wurde von der Polizei verhindert. Die Deutzer Brücke, auf deren anderer Seite die Pro-Erdoğan-Demo stattfand, war gesperrt. Wir wurden abgeschirmt und ständig über aktuelle Entwicklungen informiert.

Hattet ihr die Möglichkeit, mit Erdoğan-Befürwortern zu diskutieren?

Das ist nur über die Sozialen Medien passiert, wo wir teilweise mit extremen Hasskommentaren konfrontiert wurden. Einige verstehen nicht, dass das Demonstrationsrecht für alle gilt. Wenn sie demonstrieren dürfen, dürfen wir ja auch auf die Straße gehen. Da gab es sehr viel Unverständnis.

Was wurde euch denn vorgeworfen?

Dass wir uns mit den Geschehnissen in der Türkei nicht auskennen würden und uns da raushalten sollten. Da kamen dann so Nachrichten wie "Scheiß Nazis", "Verpisst euch, ihr Hurensöhne". Und uns wurde gesagt, wir sollten uns hinter der Polizei verstecken, sonst könne es Tote geben.

"Stoppt Erdowahn" – diesen Spruch könnte man ohne weiteres Vorwissen ja auch der rechten Seite zuordnen. Wer hat sich diesen Titel für eure Gegendemo ausgedacht?

Der ganze Titel der Demo heißt ja: "Erdowahn stoppen – Demonstration für Demokratie und Menschenrechte". Die Idee dazu ist in einer Zusammenarbeit mit der JuLi Köln, den JuSos und der jungen Linken entstanden. Bei unserem ersten Treffen hatte ein Mitorganisator das Lied "Erdo-wie, Erdo-wo, Erdo-wahn" im Kopf – und wir fanden die Idee gut, mit diesem Spruch die Demo ein bisschen satirisch anzuhauchen.

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Foto: dpa / Henning Kaiser

Hast du das Gefühl, dass eure Demo etwas gebracht hat?

Sie war zumindest ein erster Schritt. Viele Menschen haben sich nicht getraut, ihre Meinung zu äußern, weil sie Repressionen in der Türkei, von Verwandten und so weiter fürchten. Einer unserer Redner hat wegen Sicherheitsbedenken abgesagt.

Wieso das?

Ein kurdischer Redner von uns hat seinen Auftritt kurz vorher abgesagt, weil die "kurdische Jugend" als gewalttätig bekannte Anhänger der AKP in der Menge der Demonstranten entdeckt hatte. Die "kurdische Jugend" hat da so ein Sicherheitskonzept und hatte Bedenken, dass dem Redner etwas passieren könnte. Deswegen hatten sie ihm abgeraten, aufzutreten. Wenn man so etwas hört, weiß man: Da liegt noch viel Arbeit vor uns, eben allen Menschen klar zu machen, dass die Meinungsfreiheit für alle gilt.

Denkst du, dass mit der Pro-Erdoğan-Demo aggressive Stimmungen gegenüber Deutsch-Türken oder Ausländern in Köln wieder zunehmen?

Wenn man sieht, wie wenige Leute bei Pro NRW gekommen sind, denke ich: nein. Ich glaube jedoch, dass generell schon eine Tendenz in Deutschland zu sehen ist, dass Rassismus und Diskriminierung wieder zunehmen. Ich hoffe, dass es nicht zu weiterem Rassismus und Hass gegen Menschen aus anderen Ländern kommt. Und speziell für Köln hoffe ich, dass wir es als Stadtgemeinschaft schaffen, unsere Vielfältigkeit zu bewahren. Durch unsere Gegenkundgebung bekamen wir auch aus der rechten Ecke viele Hasskommentare. Und gegen diese, gegen Rassismus, antidemokratische Vereine, Verbände und Aussagen gehen wir auf die Straße.

Lesestoff zur Türkei gibt's hier:

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