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Warum es nicht hilft, nett zu Rassisten zu sein
„Heißen Sie Nancy?“, fragt mich der Gast, nachdem ich ihn im Restaurant begrüßt und einen Aperitif angeboten habe. Er ist um die 60 und in Begleitung einer Frau und eines Mannes im gleichen Alter. Der andere Mann sagt nichts, ignoriert seine Begleiter, genauso wie mich und liest stattdessen demonstrativ Zeitung. Die Frau schielt derweil auf meinen Rock und ich kann in ihrem Blick lesen, dass sie ihn zu kurz findet. Zu kurz für eine Kellnerin, die in einem gehobenem Restaurant arbeitet. So schießen von Sekunde eins dieser Begegnung kleine Aggressionen auf mich ein. Ich werde nicht ernst genommen und ich werde bewertet. Das passiert in diesem Job leider relativ häufig, eine Kellnerin muss das aushalten, denke ich. Und wenn mich eins zu einer guten Kellnerin macht, dann das. Egal wie dreist die Gäste, wie schlecht gelaunt oder gestresst, ich schaffe es, ihnen mit Geduld und Höflichkeit gegenüberzutreten. Wer die Nerven behält, gewinnt. Das habe ich immer gedacht – bis zu der Begegnung mit diesen Gästen.
Als der Gast mir die Frage stellt, denke ich noch, er verwechselt mich. Auch wenn der Ton weniger neugierig, sondern fordernd ist, als ob er selbst die Antwort kennt. „Nein“, sage ich und lächle pflichtbewusst. Der Gast nickt zum zeitungslesenden Mann und sagt: „Weil seine Braut heißt Nancy und die kommt aus Kenia.“ Mein Lächeln verschwindet.
Binnen Sekunden passiert innerlich sehr viel. Im Nachhinein kann ich es nur als Orchester der Abwehrmechanismen bezeichnen. Einerseits weiß ich genau, was das für eine Bemerkung war. Er wertet diese mir unbekannte Frau namens Nancy ab, indem er sie als „Braut“ bezeichnet. Er wertet seinen Begleiter ab, weil er dessen Freundin auf ihr Herkunftsland reduziert. Und er wertet mich ab, weil er mir meine Individualität abspricht, wenn er mich mit Nancy gleichsetzt, einzig, weil ich auch eine Schwarze Frau bin.
Ich weiß, dass es sich hier um unverblümten Rassismus handelt. Aber mit welchem Selbstbewusstsein und welcher Selbstverständlichkeit dieser daherkommt, ist ungewöhnlich für mich. Auf der anderen Seite habe ich mich darauf eingestellt, freundlich zu sein, weil ich gerade bediene und das mein Job ist. Ich, damals 23, kellnere schon seitdem ich 19 Jahre alt bin. Ich bin stolz darauf, dass man mich nur schwer aus der Ruhe bringen kann, und gerade diesen Menschen möchte ich nicht gönnen, dass ich wegen ihnen meine Nerven verliere. Mein Gehirn sucht blitzschnell nach Lösungsansätzen für diese Situation, die ich wie einen Tritt in meiner Magengrube spüre. Es ist, als ob ich vor einem verbalen Waffenschrank stehe und mir aussuchen muss, wie ich mich verteidigen möchte.
„Kill them with kindness“, sagt man in den USA. Meine Waffe: Freundlichkeit
Ich bin kein aggressiver Mensch und ich hasse Konflikte. Fast genauso sehr wie rassistische Sprüche. Der Spruch des Gastes ist passiert. Ich kann nur noch entscheiden, ob ich in den Konflikt gehen möchte oder nicht. Auf einmal drehen sich meine Gedanken. So schlimm, war der Spruch jetzt auch wieder nicht – und wahrscheinlich wissen sie es nicht besser, denke ich. Und wenn ich sie jetzt zurechtweise, werden sie am Ende auch nichts daraus gelernt haben, sondern nur in ihren Klischees weiterdenken. Also setze ich auf den Überraschungseffekt. Ich werde das tun, was sie nicht von mir erwarten: einfach weiterhin freundlich sein. So freundlich, dass sie sich am Ende nur schlecht fühlen können, denn dann stehen sie mit ihren Aggressionen alleine da. „Kill them with kindness“, sagt man in den USA. Meine Waffe: Freundlichkeit. Mein Lächeln kehrt zurück.
„Ich heiße nicht Nancy und ich komme nicht aus Kenia“, sage ich in möglichst gelassenem Ton. Jetzt schaut der andere Mann, der offensichtlich mit Nancy liiert ist, von seiner Zeitung hoch: „Offensichtlich kommt sie nicht aus Kenia. Sie kommt aus Nord-Ost-Afrika, aus Äthiopien oder Eritrea, das sieht man doch“, sagt er.
Nicht, dass ich erwartet hätte, dass er weniger rassistisch ist, weil er mit einer Schwarzen Frau zusammen ist. Aber nach dieser Bemerkung habe ich den Beweis. Ich bin mir nicht zu schade, ihnen tatsächlich zu erklären, dass ich nicht aus Afrika bin und das meine Mutter aus den USA kommt. Informationen, die diese Menschen überhaupt nichts angehen. „Sie sprechen aber gut deutsch“, sagt die Frau mit anerkennender Stimme und schaut mit hochgezogenen Augenbrauen in die Runde. „Das kommt daher, dass ich in Deutschland geboren bin“, antworte ich. Eine Tatsache, die sich diese Runde aufgrund meiner Hautfarbe bisher offenbar nicht vorstellen konnte. Endlich gehen wir zur Bestellung über, die ich mir aufschreibe und dann endlich gehen darf.
Ich gehe zu meinen Kolleg_innen an der Bar und erzähle ihnen, was passiert ist. Sie schauen mich ungläubig an und lachen. Das tut erst einmal gut, denn lachen nimmt dem Ärger die Macht. Meine Schwester arbeitet an dem Abend als Köchin im gleichen Restaurant. In der Küche erzähle ich ihr, was passiert ist. Doch sie reagiert anders als meine weißen Kolleg_innen. Bis heute kann ich mich an ihren Blick erinnern und an ihre Sprachlosigkeit. In dem Moment halte ich das kaum aus. Denn sie ist die einzige, die sich traut, die ganze Sache ernst zu nehmen. Sie will das nicht so stehen lassen. Fragt, ob wie unsere Chefs rufen sollen. Wie gesagt, ich hasse Konflikte. Deshalb winke ich ab, sage dass es nicht so schlimm ist, und mache weiter.
Ich hätte die Gäste einfach sofort rauswerfen sollen. Sie hätten nichts anderes verdient gehabt
Meine Kolleg_innen sehen überhaupt keinen Grund, das ganze ernst zu nehmen und gehen dazu über, mich scherzhaft „Nancy“ zu nennen. Ich mache den Scherz mit. Vielleicht ist es ist ein Versuch des Reclamings, also Wörter, die andere nutzen, um einen zu unterdrücken, selbst zu nutzen, um Machtstrukturen auf den Kopf zu stellen. Es funktioniert aber nicht. Ich merke, wie das Anlachen gegen diese Situation mich nur noch mehr anstrengt.
Auf einmal befinde ich mich in der Situation, dass niemand weiß, was in mir vorgeht, nicht mal ich selbst. Alles wird zum Kampf. Jeder Gang zum Tisch dieser Gäste, die sich weiterhin angeregt über Nancy unterhalten und genau wissen wollen, ob sich der eine Mann wirklich eine Zukunft mit einer Afrikanerin vorstellen kann. („Wollt ihr dann tatsächlich Kinder haben?“). Vor meinen Kolleg_innen so zu tun, als ob ich ihre Scherze witzig fände, um ihnen kein schlechtes Gefühl zu geben. Und meiner Schwester den Eindruck zu vermitteln, alles sei in Ordnung, weil ich nicht möchte, dass sie sich aufregt.
Aus irgendeinem Grund habe ich mich zu Beginn der Begegnung mit den Gästen dazu entschlossen, diese Situation allein auszutragen, obwohl sie mir ungefragt vor die Füße geschmissen wurde.
Im Moment des Geschehens denke ich: Es ist meine Pflicht, das alleine auszutragen. Denn niemand wird gerne mit Rassismus konfrontiert. Und gefühlt jeden zweiten Tag liest man irgendeinen Kommentar oder hört Menschen in einer Talkshow, die sagen, dass das Thema Rassismus hochgekocht sei, die Menschen hysterisch darauf reagierten, man wisse ja gar nicht, was man noch sagen dürfe. Diese, meist von Menschen, die nicht selbst von Rassismus betroffen sind, geäußerte Meinung, fruchtet anscheinend. Ich bin mir nun auch nicht sicher, ob ich etwas sagen darf.
Als ich den Hauptgang abräume und kurz an der Bar pausiere, merkt mein Kollege, dass ich gestresst bin. „Komm, ich bediene sie. Du musst da nicht mehr hingehen“, sagt er. In dem Moment fällt eine Last von mir ab. Ich bin selbst erstaunt über das Ausmaß der Erleichterung und mir dämmert, dass ich mich von Anfang an dieser Situation entziehen hätte sollen. Ich hätte die Gäste einfach sofort rauswerfen sollen, ohne wenn und aber. Denn sie hätten nichts anderes verdient gehabt. Ich setze mich hinter die Bar und bin richtig erschöpft. Die Tränen, die in dem Moment aufsteigen, schlucke ich runter.
Wenig später verlassen die Gäste das Lokal. Sie schauen zu mir hinter die Bar, verabschieden sich mit einem „Tschüss“ und schauen nur leicht irritiert, als ich mit Schweigen antworte. Sie gehen aus diesem Abend, ungestraft und genauso rassistisch wie zuvor. Meine Kolleg_innen gewinnen eine weitere Anekdote über unmögliche Gäste. Ich gehe aus dem Abend – abgekämpft und wütend.
Diese Geschichte ist nun fünf Jahre her und trotzdem beschäftigt sie mich bis heute. Mittlerweile denke ich nicht mehr, dass man Aggressionen, egal welcher Sorte, ausschließlich mit Freundlichkeit begegnen sollte. Am Ende braucht es weniger emotionale Energie, Konflikte offen auszutragen, als sie alleine mit sich rumzuschleppen. Ich werde wahrscheinlich nie ein impulsiver oder aggressiver Mensch werden. Muss ich auch nicht, um mich zu Wehr setzen zu können. Das, was man braucht, ist Mut. Mut, sich verletzlich zu zeigen und anderen zuzumuten, sich in solchen Situationen genauso unwohl zu fühlen wie man selbst.
Dieser Text von Alice Hasters erschien zuerst auf kleinerdrei.org . Kleinerdrei ist ein Gemeinschaftsblog, das 2013 von Anne Wizorek gegründet wurde. Zehn feste Autor_innen und sieben Kolumnist_innen schreiben hier regelmäßig über alles, was ihnen am Herzen liegt. Daher auch der Name kleinerdrei, der im Netzjargon für ein Herz steht: eben ein <3. Die Themen reichen dabei von Politik bis Popkultur und werden stets aus einer feministischen Perspektive betrachtet. Im Jahr 2014 wurde kleinerdrei in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung” für den Grimme Online Award nominiert.