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Warum Afros immer auch politisch sind

Foto: Keletso Rabalao/Unsplash; Bearbeitung: jetzt

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Eigentlich lernen wir das schon als Kinder: Witze übers Aussehen anderer Menschen macht man nicht. Ich scheine da eine Ausnahme zu sein. Zumindest, wenn es um meine Haare geht.

Die platteste und häufigste Frage ist die, ob ich in eine Steckdose gepackt hätte. Auch meine Haare mit etwas zu vergleichen, ist sehr beliebt. Die Top drei: Schaf, Clown, Wischmop. Oder mein Gegenüber macht mit den Händen die Ausdehnung eines Atompilzes nach. Das soll mir mitteilen, dass meine Haare sehr voluminös sind. „Ach was!“, denke ich dann, „Das ist mir selbst ja noch gar nicht aufgefallen!“ Immer wieder bin ich erstaunt, wenn andere Menschen nicht begreifen, dass meine Haare für mich nichts Außergewöhnliches sind und deshalb auch nichts Witziges.

Meine Haare sind kraus und schwarz. Sie sind das buchstäbliche Gegenteil vom westlichen Schönheitsideal blond und glatt. Und deswegen stehen meine Haare genau am anderen Ende der Schönheitshierarchie: unten.

Das ist vielen Menschen nicht bewusst – wahrscheinlich würden sie sonst nicht solche Witze machen. Vermutlich gehen sie sogar vom Gegenteil aus. Denn die meisten Komplimente, die ich bekomme, drehen sich ebenfalls um meine Haare. Menschen finden sie „cool“, „krass“ oder „megageil“. Viele wollen sie anfassen, selbst völlig Fremde. Viele tun es einfach, ohne mich vorher zu fragen. Das passiert vielen Schwarzen Menschen – nicht ohne Grund gibt es einen Song von Solange namens “Don’t touch my hair”.

Und viele weiße Menschen haben zu mir gesagt: „Ich hätte auch gerne so Haare wie du.“

Bis heute verstehe ich nicht genau, was sie damit meinen. Stellen sie sich dann vor, dass sie statt ihrer glatten, feinen Haare einen schwarzen Afro hätten? Bin ich die einzige, die glaubt, dass das eventuell merkwürdig aussehen würde? Oder ist das eine dezente Art mir zu sagen, dass sie gerne Schwarz wären? Und wenn ja, warum?

Meine Haare sind ein politisches Statement – ob ich es will oder nicht

Ob Witz oder Kompliment – mir zeigen diese Aussagen zu meinen Haaren eigentlich immer das Gleiche: Die Menschen, die sie machen, haben keine Ahnung, dass meine Haare politisch sind. Weil unsere Gesellschaft voll ist mit strukturellem Rassismus.

Es ist für Weiße vielleicht unvorstellbar, aber an vielen Orten, an denen Schwarze Menschen leben, gibt es staatliche Organisationen, Schulen und Unternehmen, die ihnen verbieten, ihre Haare kraus oder in Schwarzen Hairstyles wie Braids oder Dreadlocks zu tragen. Die Begründung: Das sei nachlässig oder eine “Ablenkung”. Bis 2015 war es der US-amerikanischen Behörde TSA erlaubt, Schwarzen Menschen, die ihre Haare natürlich trugen, bei Grenzkontrollen in die Haare zu fassen – aus angeblichen Sicherheitsgründen. Nichts anderes als Rassismus steckte aber in der Praxis, hinter den krausen schwarzen Haaren Schwarzer Menschen mehr Gefahr zu wittern, als unter blonden Dauerwellen oder brünetten Dutts.

Wie es um die Anerkennung von Afrohaaren steht, zeigt sich außerdem offensichtlich in den Drogerien dieser Welt: In einer konventionellen Drogerie sind Produkte für Afrohaare nicht zu finden.

 

Und in einem Afroshop dominiert das Angebot an falschen Haaren und chemischen Glättungsmitteln, auch als Relaxer bekannt. Natürliche im Sinne krauser, schwarzer Haare, die so wachsen dürfen, wie sie eben wachsen, werden also in der westlichen Mehrheitsgesellschaft ignoriert. Innerhalb der Schwarzen Community – sei es in Amerika, Afrika, Asien oder Europa – werden sie selten akzeptiert.

 

Das ist das Ergebnis jahrhundertelanger Unterdrückung Schwarzer Kultur. In Amerika zum Beispiel wurde es Schwarzen Sklaven verboten, traditionelle Frisuren zu tragen, die oft etwas über Stammeszugehörigkeit und sozialen Status aussagten. Das bedeutete einen immensen Identitätsverlust. Schwarze fingen an ihre Haare am westlichen Schönheitsideal zu orientieren, auch weil sie sich mehr Akzeptanz in der Gesellschaft erhofften. Das zieht sich bis heute.

 

Beyoncé hat große Erfolge ihrer Karriere als Blondine gefeiert

 

Das gilt auch für berühmte Schwarze Frauen der Gegenwart. Beyoncé, Michelle Obama, Oprah Winfrey oder Rihanna. Potenzielle Idole, vor allem für Schwarze Frauen und Mädchen. Keine von ihnen trägt ihre Haare üblicherweise natürlich. Sie sind geglättet, gefärbt, unter Perücken versteckt oder mit Extensions versehen. Das ist kein Zufall.

 

Die berühmteste von allen, Beyoncé, hat große Erfolge ihrer Karriere als Blondine gefeiert. Und wahrscheinlich haben sich die wenigsten Nicht-Schwarzen Menschen jemals darüber Gedanken gemacht, dass das nicht ihre echten Haare sind. Doch noch wichtiger ist zu verstehen, dass Beyoncé mit natürlichen Afrohaaren nie einer der mächtigsten Frauen im Musikgeschäft geworden wäre. Sie würde bis heute ohne ihre europäisch aussehenden Haare nicht als so schön, so sexy, so nett, so mainstream wahrgenommen werden. Von vielen weißen Menschen nicht, aber – und das ist die Tragik an der Sache – vor allem von vielen Schwarzen auch nicht.

 

Lange war mir die Tiefe dieser Problematik nicht bewusst. Das ist vor allen Dingen meiner Mutter zu verdanken. Eine Frau mit dunkler Haut, die in meiner Kindheit und Jugend ihre Haare in Braids oder als Afro trug und heute lange Dreadlocks bis zu den Hüften hat. Dank ihr habe ich nicht daran gezweifelt, dass Afrohaare schön sind.

 

Das änderte sich kurzzeitig, als ich mit 16 für ein Jahr auf eine High School in Philadelphia ging. Hier war ich nicht mehr „die Schwarze“, sondern „die Deutsche“.

 

Doch eine Sache wurde schnell klar: Trotz vieler Schwarzer Mitschüler_innen waren meine Haare dort nicht weniger ungewöhnlich als in Deutschland. Die meisten Schwarzen Mädchen trugen ihre Haare geglättet. Oder zumindest im Zopf oder strengem Dutt. Alles andere galt als alternativ, nerdig oder ungepflegt. „Warum sind deine Haare so lockig? Benutzt du keinen Relaxer?“, fragte mich eine Schwarze Friseurin in Philadelphia. Wenn ich meine Locken offen trug, nannten mich viele “mutig” oder “stark”, weil ich mich über Schönheitskonventionen hinwegsetzte – dabei wusste ich zu dem Zeitpunkt ja noch nicht einmal, dass es sie gab. Ich fing also auch an, meine Haare immer öfter zu glätten, denn ich wollte diese Art von Aufmerksamkeit nicht.

 

Es gibt zaghafte Zeichen des Wandels, zum Beispiel das „Natural Hair Movement“

 

Meine Highschool-Erfahrung in Philadelphia ist mittlerweile zwölf Jahre her. Seither hat sich vieles getan. In den 2000ern begann mit dem Natural Hair Movement in den USA eine Bewegung Schwarzer Frauen, die sich für den Wandel des Schönheitsideals zu Gunsten natürlicher Haare Schwarzer auf der ganzen Welt engagiert, unter anderem mit Styling-Tipps auf Blogs und Social Media.

 

Der Comedian Chris Rock thematisierte die Stigmata um natürliche Afrohaare in seiner Doku „Good Hair“. Das Schwarze Model Tyra Banks trat 2009 in ihrer Fernsehshow ohne falsches Haar auf – damals eine kleine Revolution. Heute zeigen Schwarze Stars wie Brandy oder Gabrielle Union auf ihren Instagram-Accounts, wie sie mit natürlichen Haaren aussehen. Auch Beyoncé verkündet, dass sie ihre Tochter Blue Ivy am liebsten mit natürlichem Haar mag.

 

Außerdem befassen sich zahlreiche Künstler_innen und Journalist_innen mit dem Thema. Langsam finden sich auch im Afroshop mehr und mehr Produkte, auf denen draufsteht for Natural Hair – und in vereinzelnden Filialen von Rossmann und dm finden sich mittlerweile Produkte speziell für Afrohaare. Für immer mehr Schwarze sind glatte oder anderweitig behandelte Haare nicht mehr Schönheitsdiktat, sondern eine Alternative unter vielen.

 

Trotzdem ist der Kampf, sich von Schönheitsidealen zu lösen, für die man nicht gemacht ist, noch lange nicht vorbei. Auch wenn man immer öfter Schwarze Models mit Locken sieht, scheint es immer noch eine unsichtbare Grenze zu geben: Die Schwarzen Models, Sänger_innen und Schauspieler_innen, die ihre Haare natürlich tragen, sind meist immer noch eher hellhäutig und haben große, weich fallende Korkenzieherlocken. Es gilt immer noch: Je krauser, je weiter weg vom weißen Schönheitsideal, desto weniger Akzeptanz gibt es. Desto weniger wird es als schön wahrgenommen.

 

Noch ist Afrohaar nicht von seinem Stigma befreit. Ich merke es auch bei mir persönlich. Zum Beispiel bei Vorstellungsgesprächen. Da trage ich meine Haare lieber nicht offen – das könnte ja unseriös wirken.

 

Dieser Text von Alice Hasters erschien zuerst auf kleinerdrei.org . Kleinerdrei ist ein Gemeinschaftsblog, das 2013 von Anne Wizorek gegründet wurde. Zehn feste Autor_innen und sieben Kolumnist_innen schreiben hier regelmäßig über alles, was ihnen am Herzen liegt. Daher auch der Name kleinerdrei, der im Netzjargon für ein Herz steht: eben ein <3. Die Themen reichen dabei von Politik bis Popkultur und werden stets aus einer feministischen Perspektive betrachtet. Im Jahr 2014 wurde kleinerdrei in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung” für den Grimme Online Award nominiert.

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