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Nora Tschirner spricht über ihren Film "Embrace-Du bist schön", mediale Schönheitsideale und Fatshaming
„Embrace- Du bist schön“ ist eine australische Dokumentation und läuft am 11. Mai einmalig auf ausgewählten deutschen Kinoleinwänden. Sie handelt von medialen Schönheitsidealen, dem Schlankheitswahn und Body Shaming. Taryn Brumfitt , die Filmemacherin, ist für ihre sehr persönlich gehaltene Dokumentation um die ganze Welt gereist und hat Frauen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten gefragt, wie sie sich in ihrem Körper eigentlich fühlen. Das Schockierende: Viele hassen ihr Aussehen. Sie fühlen sich nicht schön, schlank oder groß genug. Durch den massiven Druck perfekt zu sein, haben sie das Gefühl dafür verloren, wie ein gesunder und normaler Körper überhaupt aussieht.
Als die Filmemacherin im deutschsprachigen Raum nach Unterstützung sucht, meldet sich Nora Tschirner, 35, sofort und greift ihr als Mitproduzentin unter die Arme. In einem Interview spricht sie mit uns über ihr neues Herzensprojekt, warum niemand so richtig von medialen Schönheitsidealen gefeit ist und wie man den inneren Kritiker ab und zu "zum Chillen" bringt:
jetzt: Was hat dich daran gereizt, den Film "Embrace- Du bist schön" mitzuproduzieren?
Nora Tschirner: "Bodyshaming" und "mediale Schönheitsideale" sind Themen, die alle Menschen überall auf der Welt betreffen. Es sind Probleme, die uns gesellschaftlich lähmen. Deswegen ist es längst überfällig geworden, sich über diese bewusst zu werden. Ich finde es wichtig, diesen Bewusstwerdungsprozess anzukurbeln. Als ich von Taryns Projekt erfahren habe, wollte ich unbedingt, dass der Film in Deutschland erscheint und auch wirklich ankommt.
Spürst du den Druck "schön und perfekt zu sein" auch persönlich oder in deinem Freundeskreis?
Ich habe mich eine Zeit lang mal bei Fotoshootings gefreut, wenn mir gesagt wurde, dass man sogar die Mustergröße noch abstecken muss. Es lag aber daran, dass ich ein stressiges Leben hatte: Kette geraucht habe, wenig schlief und mich schlecht ernährte. Ich war nicht essgestört, ich hatte aber eine komische Einstellung zu "gesundem Leben". In dieser Zeit habe ich gelernt, Menschen zu meiden, die mir dann sagten, dass ich besonders schön aussehe — obwohl es mir gerade schlecht ging. Besonders gegruselt hat mich auch, dass Frauen, die ich lange und gut kenne und nie für narzisstisch oder unsicher hielt, irgendwann unter die Räder gekommen sind. Wie sie plötzlich anfingen sich massiv in Frage zu stellen, völlig unzufrieden mit sich selbst waren. Oft wurde daraus sogar Selbsthass, der dann wiederum zu Gelähmtheit führte.
Wie ist das, wenn man viel vor der Kamera oder auf dem roten Teppich steht. Ist man diesem Druck dann nicht noch stärker ausgesetzt?
Bei Filmarbeiten habe ich diese Oberflächlichkeit nie bemerkt. Es kommen keine Kostümbildner oder Kameraleute auf dich zu und sagen dir, dass du zu fett bist. Auch bei Fotoshootings wird dir nicht gesagt, dass du schlecht aussiehst. Ich glaube, das passiert eher in dir selbst. Du bist umgeben von Vorbildern, die scheinbar perfekt aussehen. Dieses konstante Umfeld hat inzwischen aber jeder. Dafür braucht man kein Schauspieler sein.
Denkst du also, dass man der Falle "Schönheitswahn" gar nicht entkommen kann?
Wir werden mit Bildern von perfekten Menschen regelrecht zugeballert. Ob es die Werbung im Fernseher, an Werbetafeln oder die Beautytipps in Frauenmagazinen sind, oft steckt in dieser Werbung eine Giftspritze. Eine Mini-Injektion die dir vorsingt: Du bist nicht gut genug. Deswegen habe ich irgendwann aufgehört, mir das alles anzuschauen. Darüber lachen kann ich heute trotzdem nicht. Denn es gibt genug Menschen, die das unbewusst mitmachen und sich davon beeinflussen lassen. Es gibt schließlich genug Menschen, die unter Depressionen oder Essstörungen leiden.
Kann man gegen den Druck perfekt aussehen zu müssen, überhaupt immun werden?
Um immun zu werden, muss man seine innere Stimme stärken, die dir sagt: "Ich fühl mich wohl". Es geht nicht darum, seinen Körper zu vernachlässigen. Es spricht also gar nichts dagegen, seinem Bewegungsdrang nachzugehen und Sport zu treiben. Der Grund dafür sollte aber nicht sein, dass man vorher das Maßband angelegt hat und unzufrieden ist, weil man nicht die 90-60-90 erfüllt. Und wenn einem auf dem Sparziergang durch sein Stadtviertel dann wieder die scheinbar perfekten Menschen auf den Werbetafeln begegnen, schaut man sich einfach um und sieht die Wirklichkeit. Menschen in unterschiedlicher Form, Farbe, Größe, mit ruhigem oder hastigem Charakter. Wenn ich diesen Blick entwickeln kann, können mir auch Botschaften unter dem Motto "du kannst dich ja noch optimieren" nichts anhaben. Mit etwas Geduld kann man Gewohnheiten also umlernen.
Hat dich die Zahl in eurem Trailer "91 Prozent aller Frauen sind unzufrieden mit ihrem Körper" geschockt?
Natürlich war ich von dem Ausmaß geschockt. Dass die Zahl realistisch ist, habe ich aber nicht angezweifelt. Mir ist noch nie ein Mensch begegnet, der sagte, ich bin voll zufrieden mit meinem Körper. An dem funktioniert alles und ich bin gesund. Jeder findet kleine Mängel an sich. Jeder hat etwas an sich auszusetzen.
Gab es denn etwas während der Dreharbeiten, das dich geschockt hat?
Jede einzelne Geschichte hat mich natürlich irgendwie geschockt. Über die Szene beim Schönheitschirurgen habe ich aber lange noch nachgedacht. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie eine Sitzung dort abläuft. Das da jemand steht, dessen Job es ist, ganz klar und freundlich deinen Körper zu scannen und dir Optimierungsvorschläge macht. Auch die Reaktionen auf den Film haben mich geschockt. Betroffene, die von dem Projekt gehört haben und uns in Briefen von ihren Geschichten erzählten. Darüber, dass sie sich seit Jahren nicht mehr ins Schwimmbad trauen oder nicht mehr mit ihrem Partner intim werden können, weil sie sich schämen. Das Ausmaß dieser Betroffenheit hat mich ins Mark getroffen. Das es so viele Menschen gibt, die deswegen ihre Lebensfreude verlieren.
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Wie denkst du — nach dieser Filmproduktion — über Formate wie "Germanys next Topmodel"?
Die Zuschauer schalten ja freiwillig ein. Sie schauen sich die Sendung sogar gerne an. Und ich verstehe auch, wenn man die Sendung gucken will, weil sie alle gucken. Trotzdem empfinde ich diese Formate als Problem. Sie verursachen den Schönheitswahn zwar nicht, machen es aber auch nicht besser. Und ich finde das Konzept der Sendung schwierig. Dass auf so einer großen Plattform, in so einem großen Stil, eine unhinterfragte Jury optische Vorgaben verbreitet. Dort werden außerdem Werte vermittelt wie "so wie du bist, bist du noch nicht genug" oder "du hast dich an das anzupassen, was der Kunde will". Diese Botschaften würden wir in anderen Situationen wahrscheinlich nicht akzeptieren.
Wann ist für dich denn jemand schön?
Ich finde, Schönheit muss ganzheitlich betrachtet werden. Schönheit ist für mich analog zu Attraktivität. Es ist nichts, das an Körpermaße gekoppelt ist. Natürlich spielt der Charakter, also das, was da aus einem herausleuchtet, eine große Rolle. Das kann man ja gar nicht unbeachtet lassen. Wenn ein Mensch unglücklich ist, sind seine perfekten Körpermaße, die perfekte Haut oder das glänzende Haar egal. Jemand, der nicht gesund oder traurig ist, dem es also nicht gut geht, der kann in diesem Sinne nicht schön sein. Zufriedenheit macht schön. Und in die lebendigen Schablonen aus der Werbung würde ich mich auch niemals verknallen.
Gut, Zufriedenheit macht uns schön. Hast du für Zufriedenheit einen Tipp?
Den Kritiker in einem selbst, der da mit der Peitsche steht, mal ganz genau zu beobachten. Und ihm ab und zu mal zu sagen, dass man weiß, dass er es nur gut mit einem meint und dass er das ja auch die vergangenen Jahre toll gemacht hat. Dass er aber auch mal chillen soll. Ein gesundes Selbstbild führt zu Zufriedenheit.