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Kinderlieder neu gehört. Heute: Sailing
Darum geht’s: Kurzinterpretation: Segeln. Lieben. Segeln. Lieben. Freisein. Tralala. Das Leben ist wunderbar. Romantisches Lagerfeuerlied. Erschöpfende Deutung aus der Perspektive feministischer Musikpädagogik: "Das erzählende Ich segelt. Dazu bedient es sich des Mediums Wasser, das sich zum Segeln als hochgradig geeignet erweist - insbesondere im Zusammenspiel mit dem Wind. Es segelt um "Dir" nah und frei zu sein. Wer ist nun "Dir"? Der herkömmlich männliche Interpretationsansatz würde davon ausgehen, dass es sich bei "Dir" um eine Frau handelt, um eine Angebete des Erzählers. Dieser Ansatz ist diskrimierend und nicht im freiheitlichen Sinn des Liedes. Die Unterstellung, das erzählende Ich sei ein Mann, geht davon aus, nur ein solcher könne die Anstrengungen einer großen Segelfahrt allein bewältigen. Doch Wind und Wasser sind für alle da: auch für die Frauen. Gerade in einem modernen Musikunterricht sollte nie der Eindruck entstehen, nur die Jungen könnten als Abenteuerer die Welt erobern. Denn im Lied sind die geschlechtlichen Identitäten bewusst offen gelassen: Sowohl "Ich" als auch "Dir" könnten ausgeprägt weibliche Persönlichkeiten sein, die auf männliche Gegenparts überhaupt nicht angewiesen sind.
Warum wir dieses Lied gesungen haben: Romantische Lagerfeuerlieder wurden nur zu einem einzigen Zweck erfunden: Damit der Jens, der Chrissie und ich in knisternder Halbdunkelheit verstohlen an die Sandra, die Claudia und die Nadine heranrücken konnten. Um uns mit ihnen am Lagerfeuer zu wärmen. Und um davon zu träumen, wie es wäre, sich aneinander zu wärmen. Sailing hat den Vorteil musikalischer und textlicher Anspruchslosigkeit. Selbst Jungs im Stimmbruch treffen jeden Ton. Auch mit einer Fünf in Englisch versteht jeder den Text. Außerdem war das Lagerfeuer immer ein guter Vorwand, um bereits in jungen Jahren ein paar Bier zu trinken. So gesehen versammeln sich Jungs aus dem selben Grund am Lagerfeuer, aus dem sie als Erwachsene mit ihrer Ehefrau kegeln gehen: Zum einen versuchen sie die Frau gewogen zu machen. Die möchte nämlich auch etwas anderes vom Leben haben als abends nur Jauch und den Millionären zuzuschauen. Kegeln ist da immer noch hundert Mal erträglicher als ein gemeinsamer Tango-Tanzkurs. Zum anderen darf hemmungslos getrunken werden. Heute wissen wir: Segeln. Lieben. Segeln. Lieben. Freisein. Tralala. Das Leben ist wunderbar Doch dann dreht der Wind sich plötzlich. Jemandem nah zu sein, bedeutet nicht zwangsläufig, frei zu sein. Nähe kann einem jede Freiheit rauben. Allein zu sein kann einem aber auch jede Freiheit rauben. Sailing ist wegen seiner Einfachheit auch eine tolle Chance auf Karaoke-Abenden, wenn man sich nicht blamieren möchte. Karaoke-Abende, auf denen sich niemand blamieren möchte, sind langweilig. Lagerfeuerabende meistens auch. Der Jens, der Chrissie und ich haben unsere Zeit verschwendet. Der Chrissie hatte bei der Sandra nämlich nie eine Chance, weil sie nur auf Jungs aus der Oberstufe stand. Der Jens und ich standen nicht auf Claudia und Nadine, sondern aufeinander. Das wussten wir nur noch nicht. Kegelabende machen keine Frau glücklich. Trotzdem bekommen sie keinen Tango-Tanzkurs. Auch Jungs können sich - ihrer patriarchalischen Körperhülle zum Trotz - zu beeindruckenden weiblichen Persönlichkeiten entwickeln. Sie müssen nur wollen. Ist doch gar nicht so schlimm, wenn der Wind dreht. Lassen wir das Schiff halt einfach kentern. Text, der genauso gut zur Melodie passt: Ich geh kegeln. Ich geh kegeln. Meine Kugel ist schnell wie nie. Ich geh kegeln. Kenn keine Regeln. Schmeiß die Kugel an dein Knie.