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Wie es ist, ein Kind für andere zu bekommen

Illustration: Julia Schubert

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Vater + Mutter = Kind – das war einmal. Heute ist die Frage nach der Familienplanung hochpolitisch. Will man überhaupt welche? Was bedeutet das für die Beziehung? Und wenn man sich dafür entscheidet – geht das dann so einfach? In dieser Kolumne erzählen Menschen von ihrer Entscheidung für und gegen Kinder. 

Heather, 30, lebt in Boston (USA) und war bereits zweimal Leihmutter bei der Agentur „Circle Surrogacy“.

Als ich das erste Mal Leihmutter wurde, war ich 24 Jahre alt. Das klingt vielleicht jung, aber zu dem Zeitpunkt war ich bereits verheiratet, arbeitete in Teilzeit als Rezeptionistin und hatte zwei eigene Kinder zur Welt gebracht. Mein Mann und ich waren uns einig, dass unsere eigene Familie komplett ist. Außerdem standen keine großen Veränderungen für die kommenden Jahre an. Mein Leben war also stabil und so sollte es im Idealfall auch sein, wenn man eine Leihmutter werden möchte. Denn der gesamte Prozess dauert insgesamt zwei Jahre: vom Ausfüllen der Formulare, dem Kennenlernen der Eltern über medizinische Untersuchungen, die künstliche Befruchtung, die Schwangerschaft bis hin zur Geburt.

kinderkriegen leihmutter

Heather, 30, arbeitet als Leihmutter

Foto: Circle Surrogacy

Von der Möglichkeit zur Leihmutterschaft hatte ich zunächst durch eine Freundin gehört, die den Prozess selbst durchlaufen und gute Erfahrungen damit gemacht hatte. Das überraschte mich zunächst. Denn am Anfang dachte ich, das Kind von völlig Fremden auszutragen sei unorthodox. Es wird häufig von einer großen emotionalen Last gesprochen, wenn man das Kind, mit dem man selbst schwanger war, nach der Geburt weggeben muss. Davor hatte auch ich ein wenig Angst und fragte mich: „Was ist, wenn ich eine starke emotionale Bindung zu dem Baby aufbaue?“ Dabei bin ich als Leihmutter biologisch gesehen nicht mit dem Kind verwandt. In die Gebärmutter der Leihmutter wird nämlich eine fremde befruchtete Eizelle eingepflanzt. 

Je mehr ich mich über Leihmutterschaft informierte, desto mehr interessierte ich mich dafür. Also fing ich an, nach Agenturen zu suchen und stieß auf „Circle Surrogacy“, für die ich mittlerweile im „Intake-Department“, also der Erstbetreuung angehender Leihmütter arbeite. Meine Motivation, selbst Leihmutter zu werden, war in erster Linie meine Tante, zu der ich immer ein sehr gutes Verhältnis hatte. Sie konnte sehr liebevoll mit Kindern umgehen, war aber leider unfruchtbar und hatte deshalb selbst keine bekommen. Darunter, dass sie ihren Kinderwunsch nie verwirklichen konnte, hat sie sehr gelitten. Die Leihmutterschaft sehe ich als eine Möglichkeit, Menschen zu helfen, die in ähnlichen Situationen sind. Toll ist auch, dass man Personen kennenlernt, denen man sonst vermutlich niemals begegnen würde. Man bekommt intime Einblicke in deren Welt und entdeckt, wie sie zu dem Punkt gelangt sind, Eltern werden zu wollen. Meine letzte Leihmutterschaft war zum Beispiel für ein internationales, schwules Paar und meine erste war für einen alleinerziehenden Vater aus New York.

Nachdem die Agentur „Circle Surrogacy“ mich auf Grundlage persönlicher Angaben mit dem angehenden Vater aus New York gematched hatte, stand ein Treffen an. Es war wie ein erstes Date: der typische Cocktail aus Freude und Nervosität. Ich war gespannt darauf, mich mit jemandem über all die Dinge auszutauschen, die mich bewegen, Fragen zu stellen und über gemeinsame Hoffnungen zu sprechen. Währenddessen sagte ich irgendwann: „Ich war den ganzen Tag so nervös und wenn ich nervös bin, putze ich immer.“ Da haben wir festgestellt, dass er die gleiche Angewohnheit hat und das hat alles irgendwie aufgelockert. Noch vor dem Ende des Gesprächs war mir klar, dass ich ihm dabei helfen möchte, Vater zu werden.

Wir sind über den gesamten Prozess der Leihmutterschaft hinweg in Kontakt geblieben, haben wöchentlich, manchmal täglich miteinander geschrieben. Mal haben wir einfach über das Leben im Allgemeinen gesprochen, mal über Arztbesuche und das Baby. Er hat mich und meine Familie auch einmal besucht. Während der Schwangerschaft haben wir dem Baby außerdem regelmäßig Tonaufnahmen von seinem Vater vorgespielt, damit es sich an dessen Stimme gewöhnt. Als er nach der Geburt ins Krankenhaus kam, um seinen Sohn das erste Mal zu sehen, waren bereits Krankenschwestern, Ärzte und meine Familie da. Aber durch alle diese Stimmen hindurch hat das Baby die seines Vaters erkannt und sich sofort zu ihm gedreht. Das war so ein besonderer Moment. Allein dafür hatte sich das alles gelohnt. 

Natürlich habe ich mich mit dem Baby in meiner Gebärmutter verbunden gefühlt

Eine Leihmutterschaft läuft etwas anders ab als gängige Schwangerschaften, weil man dafür einen In-vitro-Fertilisations-Prozess durchläuft: eine Form der künstlichen Befruchtung, bei der man sich regelmäßig Spritzen verabreichen muss. Auch meine Gefühle waren anders als zuvor. Ich wusste ja, dass ich keine eigenen Kinder mehr haben möchte und das Baby nicht mein biologisches Kind ist. Deshalb habe ich keine solche Bindung zu dem Kind aufgebaut wie zu meinen eigenen Kindern. Ich glaube zwar schon, dass eine Schwangerschaft mit so etwas wie Mutterinstinkten verbunden ist. Allerdings müssen diese ja nicht zwangsläufig bedeuten, tatsächlich die Mutter des Kindes sein zu wollen. Mutterinstinkte habe ich in meinem Leben gegenüber vielen Personen, deren Mutter ich nicht bin und auch nicht sein will: wenn meine Kinder mit Freundinnen und Freunden spielen zum Beispiel. Natürlich habe ich mich mit dem Baby in meiner Gebärmutter verbunden gefühlt, wollte das Beste für es. Gleichzeitig wusste ich aber, dass es andere Eltern als mich hat. Für mich ist das so ähnlich, wie wenn ich meinen Neffen babysitte. Ich habe ihn unfassbar lieb, kümmere und sorge mich um ihn, aber wenn seine Eltern ihn abholen, dann ist es Zeit für ihn zu gehen. Dann würde ich ihn niemals bei mir festhalten wollen. 

Weil ich mich mit beiden Familien, für die ich Leihmutter war, so gut verstanden habe, haben wir auch nach der Geburt Kontakt gehalten – besonders aber mit dem alleinerziehenden Vater aus New York. Vor ein paar Tagen erst bekam ich einen süßen Brief mit einem Bild seines Sohnes. Der Kleine geht jetzt in den Kindergarten und hat seinen Freunden stolz davon erzählt, wie er zur Welt gekommen ist. Wir alle gehen total offen mit der Leihmutterschaft um. Auch in meinem Umfeld merke ich, dass es mittlerweile von viel mehr Personen akzeptiert wird. Klar, die Meinungen sind immer noch unterschiedlich und durch Religion oder Politik geprägt. Menschen sagen mir oft, dass sie die Leihmutterschaft für eine schöne und selbstlose Handlung halten. Ab und an gibt es natürlich trotzdem kritische Stimmen. Besonders, als ich für das homosexuelle Paar Leihmutter war, fanden es manche Bekannte verwerflich. Aber wie es so oft ist im Leben: Nicht jeder wird mit allem, was du machst, übereinstimmen und meist sagt man es dir auch nicht direkt ins Gesicht, wenn man etwas nicht gut findet.

Für den zweijährigen Prozess der Leihmutterschaft bekommt man durchschnittlich 60 000 Euro Kompensationsgehalt

In vielen Ländern – so auch in Deutschland – ist die Leihmutterschaft aus ethischen Gründen immer noch verboten. Neben vermuteten Identitätskonflikten der Kinder möchte man mit dem Verbot verhindern, dass Frauen ihren Körper aus finanzieller Not heraus zur Verfügung stellen. Ich finde auch, dass es ethisch nicht vertretbar ist, dass eine Frau Leihmutter wird, die obdachlos ist und kein Einkommen hat. Laut den Richtlinien der „American Society for Reproductive Medicine“ ist dieser Fall aber auch nicht vorgesehen.  Die meisten Frauen, die zu „Circle Surrogacy“ kommen, arbeiten Vollzeit: als Lehrerinnen, Krankenschwestern, Anwältinnen. Sie entscheiden sich bewusst für die Leihmutterschaft. Das Jahresdurchschnittsgehalt der angehenden Leihmütter liegt bei circa 70 000, für den zweijährigen Prozess der Leihmutterschaft bekommt man durchschnittlich 60 000 Euro Kompensationsgehalt. Es ist außerdem eine Voraussetzung, dass die angehende Leihmutter bereits ein eigenes Kind zur Welt gebracht hat und es bei ihr aufwächst. Mit den richtigen Regelungen kann eine Leihmutterschaft also ethisch nicht nur vertretbar, sondern auch erfreulich sein. Denn es ist letztlich nur eine sehr spezielle Möglichkeit, anderen Menschen einen großen Wunsch zu erfüllen. 

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