Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Du warst nicht in meinem Bauch, aber ich hab’ dich genauso lieb“

Illustration: Julia Schubert

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Vater + Mutter = Kind – das war einmal. Heute ist die Frage nach der Familienplanung hochpolitisch. Will man überhaupt welche? Was bedeutet das für die Beziehung? Und wenn man sich dafür entscheidet – geht das dann so einfach? In dieser Kolumne erzählen Menschen von ihrer Entscheidung für und gegen Kinder. 

Gemeinsam mit ihrem Mann hat Leah*, 36, vor drei Jahren ihre Tochter adoptiert. Kurz danach bekamen die beiden überraschend noch eine leibliche Tochter.

„Unsere Adoptionsgeschichte beginnt mit einem Kinderwunsch und drei Rückschlägen. Als mein Partner und ich uns mit Anfang 30 dazu entschieden, Eltern zu werden, bin ich recht schnell schwanger geworden. In der zwölften Schwangerschaftswoche stand ein Arztbesuch an, danach wollten wir allen sagen: ‚Hey, wir bekommen ein Baby!‘ Beim Arzt hieß es dann aber: ‚Ihr Baby hat keinen Herzschlag mehr.‘ Da stand für uns die Welt still. Trotzdem haben wir uns wenig später wieder besonnen und es nochmal versucht. Siehe da: Ich war zum zweiten Mal schwanger. Aber kurz darauf hörte ich erneut: ‚Kein Herzschlag mehr.‘ Dennoch war unser Kinderwunsch so stark, dass wir es weiter versuchten. Doch auch das ging schief. 

Noch während ich im OP war, hat er beim Jugendamt angerufen

Psychisch und körperlich angeknackst saß ich vor der dritten Ausschabung auf dem Krankenhausbett. Ich wollte einfach nicht mehr schwanger werden, aber ich wollte Mutter werden. Da schlug mein Mann vor, ein Kind zu adoptieren. Wir beide waren uns sofort sicher, dass wir das möchten. Es war eine spontane Entscheidung, aber eine der besten, die wir je getroffen haben. Noch während ich im OP war, hat er beim Jugendamt angerufen. 

Wir sind dann recht bald zum ersten Infoabend gegangen, der sich wie ein Härtetest anfühlte. Dort hieß es, dass es in den meisten Fällen von vornherein nicht klappt und wenn, dann dauert der Prozess sehr lange. In der Regel kommt ein Kind auf acht Bewerberpaare. Aber wir haben uns nicht abschrecken lassen und mussten bald darauf eine Bewerbungsmappe vorbereiten – so, wie man das von anderen Bewerbungen kennt: mit Motivationsschreiben, ausführlichen Lebensberichten, Führungszeugnissen, Eheurkunden, Fragebögen. Wir sollten über die Beziehung zum eigenen Partner berichten und darüber, wie man sich die Erziehung des Kindes vorstellt. Im Anschluss haben wir ein Weiterbildungsseminar besucht und das Jugendamt kam zu uns nach Hause.

Die Emotionen, die man bei einer Schwangerschaft langsam aufbaut, waren auf einen Schlag alle da

Dann ging alles ganz schnell – was eine riesengroße Ausnahme ist. Der erste Kontakt mit dem Jugendamt hat im Juli stattgefunden, Anfang März wurde unsere Adoptivtochter geboren. Dass es aber tatsächlich ‚unsere‘ Tochter werden könnte, haben wir erst eine Woche vor der Geburt erfahren. Trotzdem war zu dem Zeitpunkt noch alles offen. Morgens um acht, als mein Mann und ich bei der Arbeit waren, kam der Anruf vom Jugendamt: Sie wurde geboren! Wir sollten um zwölf Uhr im Krankenhaus sein. Da haben wir natürlich sofort alles stehen und liegen lassen und sind nach Hause gefahren, um eine Kliniktasche zu packen. Dabei waren wir gar nicht richtig vorbereitet, hatten lediglich ein paar Bodys gekauft. Wir hatten ja nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Im Krankenhaus angekommen wurden wir dann zu einem Babybett geführt. Ich hielt sie im Arm und am Anfang standen alle anderen um uns herum. Da habe ich mich schon ziemlich beobachtet gefühlt und war unsicher, etwas falsch zu machen. Trotzdem: Die Emotionen, die man bei einer Schwangerschaft langsam aufbaut, waren auf einen Schlag alle da. Meine Adoptivtochter sah mir gar nicht ähnlich, aber sie war einfach wunderschön. Sie war von Anfang an unser Kind. 

Kurz nach der Adoption bin ich wieder schwanger geworden. Als ich von der Schwangerschaft erfahren habe, war ich zunächst wenig emotional. Ich dachte mir eher: „Jetzt geht das Ganze wieder von vorne los“. Ich habe dem keine besonders große Bedeutung beigemessen. Immerhin war es bisher ja kein Problem gewesen schwanger zu werden, sondern schwanger zu bleiben. Aber dieses Mal war es anders: Das Baby wuchs, das Herz schlug. 

Nach der Geburt unserer leiblichen Tochter war die Freude am Anfang viel unbeschwerter

Wenn ich vergleiche, wie unsere beiden Töchter zu uns gekommen sind, dann besteht der Unterschied vor allem in der psychischen und körperlichen Belastung: In der ersten Zeit mit unserer Adoptivtochter waren wir überglücklich, aber trotzdem noch vorsichtig mit unserer Freude. Es war ein Wechselbad der Gefühle: Man könnte die Welt umarmen, aber sollte es doch nicht klappen, wäre man richtig tief unten. Bei den meisten Formen der Adoption leistet nämlich die Mutter frühestens acht Wochen nach der Geburt die Unterschrift, dass sie auf die Rückholung des Kindes verzichtet. Bei uns handelte es sich aber um eine sogenannte „vertrauliche Geburt“, bei der die Mutter ein Jahr lang das Recht auf Rückholung des Kindes hat. Wir haben ein Jahr lang zittern müssen, dass die Kleine vielleicht doch nicht bei uns bleiben kann. Das war heftig. Bei mir war fast ein bisschen wie bei einer manischen Depression: Im Umgang mit meiner Tochter war ich tagsüber überschwänglich glücklich und nachts, wenn sie geschlafen hat, kamen dann die belastenden Fragen: „Was ist, wenn sie genauso schnell wieder weg ist, wie sie zu uns gekommen ist?“ und so weiter. Nach der Geburt unserer leiblichen Tochter war die Freude am Anfang viel unbeschwerter. Wir konnten ja sicher sein, dass sie bei uns bleiben wird. Dafür hatte ich dann durch die Wochenbett-Situation mit körperlichen Einschränkungen zu kämpfen. Bei der Bindung und Liebe zu unseren beiden Kindern gab es aber von Anfang an keine Unterschiede. 

„Hach, ich hätte auch gerne zwei Mamas“

Schon als sie noch ganz klein war, habe ich unserer Adoptivtochter erklärt: ‚Du warst nicht in meinem Bauch, aber ich hab’ dich genauso lieb‘ und: ‚Ich hoffe, dass deine leibliche Mama auch an dich denkt! Ich denke ganz viel an sie, weil sie dich auf die Welt gebracht hat und mir gegeben hat. Deswegen ist sie auch mir ganz wichtig.‘ Es stimmt: Ich bin dieser Frau unendlich dankbar! Leider weiß ich nicht viel über sie. Nur, dass sie wohl noch sehr jung war, zur Schule ging und das zu Ende machen wollte. Es wird bestimmt für meine Tochter im Laufe ihres Lebens nochmal schwierig damit. Jetzt ist sie drei und weiß – genauso wie unsere leibliche Tochter – ganz genau über die Adoption Bescheid und dass das gar nicht schlimm ist. Unsere leibliche Tochter sagt manchmal: ‚Hach, ich hätte auch gerne zwei Mamas‘. Wir haben unsere Kinder also von Anfang an darüber aufgeklärt, wie sie zu uns gekommen sind und ihnen beigebracht, dass beides gleichwertig ist. Dabei hilft natürlich auch, sich mit Familien und Kindern zu umgeben, die in ähnlichen Situationen sind. Wir sind dafür zum Beispiel dem Verein ‚Adoption – unser Weg‘ beigetreten. 

Unser Umfeld reagiert auf die Adoption manchmal mit der Aussage: ‚Ich könnte mir ja nicht vorstellen, ein fremdes Kind zu adoptieren.‘ ‚Fremd’: dieses Wort passt überhaupt nicht. Aber das können sich manche Menschen nicht vorstellen, weil sie sich selbst in ihrem Kind sehen möchten. Das finde ich etwas fragwürdig. Außerdem wird die Ähnlichkeit von einem Kind und seinen Eltern ja auch nicht nur durch die Gene beeinflusst: Unsere Adoptivtochter teilt unsere Mimik, unsere Gestik: Sie IST uns ähnlich! Außenstehende spielen manchmal ein indiskretes Ratespiel und spekulieren, wer von den beiden wohl adoptiert sei. Wir nehmen das nicht persönlich, lösen das ‚Spiel‚ aber auch nicht auf. Wir hoffen, dass wir die entspannte Haltung auch an unsere Kinder weitergeben können. 

*Name geändert.

  • teilen
  • schließen