Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Ständig schwebt über uns die Option der Trennung“

Illustration: Julia Schubert

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Vater + Mutter = Kind – das war einmal. Heute ist die Frage nach der Familienplanung hochpolitisch. Will man überhaupt welche? Was bedeutet das für die Beziehung? Und wenn man sich dafür entscheidet – geht das dann so einfach? In dieser Kolumne erzählen Menschen von ihrer Entscheidung für und gegen Kinder. 

Sina, 39, hat Endometriose und wünscht sich ein Kind – die glückliche Beziehung zu ihrem Freund, 25, muss sie dafür vielleicht aufgeben. Denn er möchte noch nicht Vater werden.

Ich weiß, dass ich Kinder möchte, seit ich sieben Jahre alt bin. Damals wurde meine Cousine geboren und der Moment, in dem ich dieses kleine Baby in meinen Armen halten durfte, hat mich bis heute geprägt. Ich bin auch neugierig darauf, wie sich eine Schwangerschaft anfühlt. Trotzdem muss ich die Frage, ob ich unbedingt biologisch selber Kinder bekommen will, noch für mich beantworten.

Bis jetzt gab es dafür nie den richtigen Zeitpunkt. Ich habe mich drei Mal beruflich umorientiert, hatte keine Partnerschaft, in der ich mich sicher genug gefühlt habe. Jetzt ist seit langer Zeit alles wieder stabil: Ich habe meinen Traumjob, einen tollen Mann an meiner Seite und bin finanziell abgesichert. Meine biologische Uhr höre ich trotzdem erst ticken, seit ich von meiner Krankheit weiß.

Dass ich Endometriose habe, weiß ich erst seit wenigen Monaten. Es ist eine chronische Krankheit, die häufig mit starken Schmerzen, insbesondere Unterbauchschmerzen, einhergeht. Endometriose wirkt sich auf den Hormonhaushalt und das Immunsystem aus. Dabei treten gutartige Zysten und Tumore im Unterleib auf, die sich zum Beispiel an Eierstöcken, Darm oder Bauchfell ansiedeln. Die Folge sind chronische Entzündungen, starke Unterleibsschmerzen, Blutungen in der Bauchhöhle und oftmals auch Infertilität, also Unfruchtbarkeit.

Die Krankheit wirkt sich auch auf meine Beziehung aus. Mein Freund und ich sind seit anderthalb Jahren zusammen. Er ist 25, ich 39. Wir sind glücklich, können uns vorstellen, zusammen alt zu werden. Irgendwann möchte er Kinder, aber nicht aktuell – er hat gerade erst seinen Master fertig gemacht. Ich auf der anderen Seite weiß, dass ich es jetzt probieren sollte. Ich kann die Zweifel meines Freundes total nachvollziehen. Gäbe es die Krankheit nicht, würde ich auch lieber noch ein paar Jahre warten. Innerlich bin ich total zerrissen. Ich glaube nicht daran, dass es nur einen Partner fürs Leben gibt. Aber keine Ahnung, wann ich jemanden kennenlernen würde. Es ist so ein Glück, wenn eine Person einen Menschen trifft, mit dem es passt.

„Super, dass er jung ist, das heißt, er hat gutes Sperma“

Deshalb stehe ich unter enormem Druck. Ärzt*innen sagen mir immer wieder: „Na, wenn Sie noch Kinder wollen, dann müssen Sie aber jetzt loslegen!“ Mein Freund war auch bei einigen Terminen dabei. Meine Ärztin meinte im Hinblick auf sein Alter nur: „Super, dass er jung ist, das heißt, er hat gutes Sperma.“ Als ich ihr erzählte, dass er sich noch nicht reif für eine Vaterschaft fühlt, meinte sie: „Sagen Sie ihm einfach, dass Sie nur sein Sperma wollen.“ Solche Kommentare sind heftig.

Tatsächlich bin ich vor der Diagnose die vergangenen sieben Jahre von Frauenarzt zu Frauenarzt gezogen, aber keiner konnte mir erklären, was eigentlich mit mir los ist. Während der Periode habe ich starke Schmerzen, die auch in meinen Rücken ausstrahlen, und Probleme mit der Verdauung. Vor einem halben Jahr waren meine Schmerzen so schlimm, dass ich nicht mehr gehen konnte. Wenn ich meine Tage habe, bin ich manchmal die ganze Woche krankgeschrieben. Mein Bauchgefühl hat mir immer gesagt: Irgendwas stimmt nicht. Aber die Ärzt*innen fanden immer harmlose Erklärungen. Vor ein paar Jahren war ich so genervt davon, dass ich aufhörte, zu Gynäkolog*innen zu gehen.

Eine Kollegin hat mich dann irgendwann, als ich völlig fertig bei der Arbeit saß, darauf angesprochen: „Du musst rausfinden, was du hast.“ Über sie fand ich eine Ärztin, die meine Endometriose schon beim ersten Ultraschall vermutete. Zu dem Zeitpunkt wusste ich gar nicht, was Endometriose ist. Die Ärztin empfahl mir, dass ich keinen Sport mehr machen sollte, dabei tanze ich leidenschaftlich gern und mache regelmäßig Yoga. Sie sagte auch, dass ich eine Zyste am Eierstock habe, die man operativ entfernen könne – aber dann könne es schwieriger werden mit dem Kinderwunsch. Zu dem Zeitpunkt war nicht klar, ob die Zyste bösartig oder gutartig ist.

Es gibt mir viel Halt, mit Frauen zu sprechen, die in einer ähnlichen Situation sind

Die Ursachen von Endometriose sind immer noch ungeklärt, die Behandlung ist schwierig. Meistens wird eine hormonelle Therapie empfohlen. Ich möchte aber keine Hormone einnehmen. Von der Pille habe ich depressive Verstimmungen bekommen – außerdem löst sich damit das Problem nicht, die Krankheit wird nur unterdrückt. Mithilfe einer Bauchspiegelung können Endometrioseherde erkannt und entfernt werden, es gibt auch medikamentöse Schmerztherapien. Das ist aber natürlich auch mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Um zu wissen, welche Behandlung für einen geeignet ist, muss man sich umfassend informieren. Bei vielen wird die Endometriose erst spät entdeckt. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass für Studien mit Frauen zu wenig Geld ausgegeben wird, oder auch daran, dass wir Frauen nicht über solche Probleme reden – auf jeden Fall finde ich es ein Unding, wie wenig Informationen es zu dieser Krankheit gibt, die in Deutschland jede zehnte Frau bekommt.

Ich selbst habe mittlerweile einen ziemlich ganzheitlichen Ansatz. Ich frage mich: Was möchte mir diese Krankheit sagen? Eine Umstellung auf vegane Ernährung hat bei mir total gut angeschlagen: Viel weniger Schmerzen, weniger starke Blutungen. Ich gehe zur Schmerzlinderung zur Osteopathie und habe die Option, bei einer Studie mitzumachen. Außerdem besuche ich seit kurzem eine Selbsthilfegruppe für Endometriose-Patientinnen. Es gibt mir viel Halt, mit Frauen zu sprechen, die in einer ähnlichen Situation sind.  

Bei Endometriosepatientinnen wird oft der so genannte AMH-Wert gemessen. Das Anti-Müller-Hormon ist ein Indikator, wie viele Eizellen eine geschlechtsreife Frau produziert. Einige Frauen in meiner Selbsthilfegruppe lassen sich von diesem Wert total fertig machen. Ich versuche ihnen klarzumachen, dass es ein quantitativer und kein qualitativer Wert ist. Wie verlässlich diese Einschätzung ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit ich spontan schwanger werden kann, ist fraglich. Man denkt immer: Schwangerwerden ist easy. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es klappt, ist auch ohne Krankheit nicht hoch. Wenn man verkrampft ist, klappt es erst recht nicht. Trotzdem ist es schwer, sich von dem ganzen Druck nicht beeinflussen zu lassen. Bei meiner letzten Messung vor zwei Monaten war der AMH-Wert niedrig.

Mein Freund und ich reden jetzt sehr oft über das Thema, ständig schwebt über uns die Option der Trennung. Obwohl wir uns lieben und eine funktionierende Beziehung haben – eigentlich total absurd! Er will mir nicht im Weg stehen und ermutigt mich, meinen Wunsch nicht zu ignorieren. Wir wissen beide, dass ich es bereuen würde, nicht zu versuchen, auf biologischem Weg Kinder zu kriegen. Ich habe mich gefragt: Ist das Egoismus? Oder bin ich familiär so geprägt? Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen und habe meine leiblichen Eltern nicht vermisst. Aber ich habe bei ihnen ein traditionelles Familienmodell kennengelernt: Verheiratetes Paar mit Kindern. Ich hatte auch schon immer einen Draht zu Kindern. Ich weiß, dass ich den Job gut machen würde, bin mir aber auch der großen Verantwortung bewusst. Ich möchte nicht alleinerziehend sein, sondern diese Verantwortung gerne mit jemandem teilen.

Ich habe nicht nur einen Kinderwunsch, sondern auch einen Familienwunsch

Als ich noch Single war, habe ich auch über andere Optionen nachgedacht. Aber um ein Kind zu adoptieren, bin ich eigentlich zu alt, unverheiratet und ab 40 ist das in Deutschland nicht mehr möglich. Ich könnte meine Eizellen einfrieren lassen, aber das ist wieder mit einer Hormonbehandlung verbunden, hat geringe Erfolgschancen und ist außerdem teuer. Es gibt trotzdem vieles, was ich mir grundsätzlich vorstellen kann: Pflegemutter zu werden, mit einem schwulen Freund ein Kind zu zeugen – oder auch über eine Plattform online eine Konstellation zu finden – the more, the merrier! Auf Plattformen wie familyship.org gibt es mittlerweile viele Möglichkeiten: Mutter-Mutter-Vater-Kind, zwei Mamas und zwei Papas. Aber jetzt, wo ich eine liebevolle Partnerschaft habe, möchte ich den romantischen Aspekt nicht so gern aufgeben. Ich habe nicht nur einen Kinderwunsch, sondern auch einen Familienwunsch: Was ich mir wirklich wünsche, ist eine funktionierende Beziehung mit Kind.

Manche Freunde sagen mir: „Mach auf jeden Fall Schluss!“ Aber wenn man jemanden liebt und selbst in der Situation steckt, ist das nicht so einfach. Niemand kann einem diese Entscheidung abnehmen. Ich weiß, dass ich und mein Freund uns wahrscheinlich trennen müssen. Aber wir machen das dann, wenn wir bereit dazu sind.

  • teilen
  • schließen