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„Muttersein ist für mich wie eine Gefangenschaft“

Illustration: Julia Schubert

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Vater + Mutter = Kind – das war einmal. Heute ist die Frage nach der Familienplanung hochpolitisch. Will man überhaupt welche? Was bedeutet das für die Beziehung? Und wenn man sich dafür entscheidet – geht das dann so einfach? In dieser Kolumne erzählen Menschen von ihrer Entscheidung für und gegen Kinder. 

Diesmal erzählt Julia, 26, die bereut, Mutter geworden zu sein:

Meine Tochter war kein wirkliches Wunschkind. Heute würde ich sagen: Ich war blind vor Liebe. Ich dachte, mein damaliger Freund sei der Richtige. Er sagte, dass er mit mir alt werden und eine Familie gründen wolle. Ich dachte: Das will ich auch. Dabei wollte ich nie Kinder. Er hat mich manipuliert und programmiert, bis ich eingewilligt habe, dass wir es probieren – viel früher, als ich eigentlich wollte. Dann ging alles ganz schnell: Wir haben nicht mehr verhütet und schon war es passiert. Als ich rausgefunden habe, dass ich schwanger bin, dachte ich: „Scheiße, ich brauch erst mal ‘ne Zigarette.“ Denn ich wusste: ab jetzt kann ich mich nur falsch entscheiden. Eine Abtreibung würde mich hundertprozentig irgendwann psychisch einholen. Bekäme ich das Kind, wäre ich früher oder später alleinerziehend. Mittlerweile war für mich schon absehbar, dass unsere Beziehung nicht halten wird. Sie war im Grunde nicht stabil. Es gab sehr oft Streit und glücklich war ich auch nicht.  

Ich war mir allerdings sicher, dass meine Familie hundert Prozent hinter mir stehen würde. Also entschied ich mich für das Kind. Mein Freund und ich lebten zwar nach der Geburt unserer Tochter noch zusammen, aber schon da fühlte es sich mehr an wie mit einem Mitbewohner. Er kümmerte sich kaum um unser Kind. Obwohl ich einen Kaiserschnitt hatte und durch die OP anfangs sehr geschwächt war, musste ich von Anfang an eigentlich alles alleine machen. Ein Dreivierteljahr nach der Geburt trennte ich mich von ihm und zog aus, seitdem bin ich alleinerziehend.

„In depressiven Phasen muss ich mich zwingen, für sie da zu sein“

Muttersein ist für mich wie eine Gefangenschaft. Ich bin bei allem fremdbestimmt. Ich kann nicht selbst entscheiden, ob ich im Bett liegen bleiben oder ob ich mich mit einer Freundin treffen möchte. Ich kann nicht entscheiden: Will ich jetzt essen oder später? Ich kann mich morgens nicht einmal in Ruhe für die Arbeit fertig machen. Auch was die Partnersuche und sexuelle Erfahrungen mit anderen Männern angeht, bin ich durch meine Tochter sehr eingeschränkt. Dazu kommt, dass sie ein sehr anhängliches Kind ist, das viel Aufmerksamkeit von mir möchte. Auch wenn wir gemeinsam bei meiner Mutter sind, verlangt sie zum Beispiel nach mir. Meine Mutter sagt dann immer: „Jetzt kannst du dich doch entspannen“, aber das stimmt nicht. Mit ihr habe ich keinen Raum für mich und mein Leben.

Ich hatte bereits vor der Geburt Depressionen, seitdem hat sich das noch verstärkt. Wenn ich in einer depressiven Phase bin, ist Muttersein besonders schwer. Die Grundversorgung meiner Tochter ist dabei natürlich immer gesichert: Sie bekommt Essen, Trinken und saubere Kleidung. Aber ich nehme sie in solchen Phasen oft nicht richtig wahr und muss mich zwingen, für sie da zu sein. Gerade mit ihr zu spielen, fällt mir dann schwer. Bevor ich Mutter wurde, habe ich oft gedacht: Ich komme schon mit meinem Leben und meiner Katze nicht klar, wie soll das mit einem Kind funktionieren?

Über Orna Donaths Buch „Wenn Mütter bereuen“ bin ich auf „Regretting Motherhood“ aufmerksam geworden und habe mich darin oft wiedererkannt. Das war eine große Erleichterung, weil vieles für mich genau so ist, wie sie es beschreibt: Wir Frauen müssen Kinder kriegen, um die Menschheit aufrecht zu erhalten, egal auf welchem Fleck dieser Welt. Männer können das aus biologischer Sicht nicht. Darüber, was uns diese „natürliche“ Rolle abverlangt, spricht kaum jemand. Es gibt da dieses gesellschaftliche Bild: Wir Frauen müssen unsere Kinder lieben. Männer haben es einfacher. Sie können ihren Samen verstreuen und dann abhauen. Wir Frauen nicht, wir tragen das Kind ja in uns.

„Am liebsten würde ich ohne sie leben, ohne zu wissen, dass es sie gibt“

Das größte Missverständnis im Zusammenhang mit „Regretting Motherhood“ ist, dass die Frauen ihre Kinder nicht lieben würden. Ich hasse meine Tochter nicht. Ich liebe sie über alles. Deshalb tut es mir in den Momenten selbst sehr weh, in denen ich nicht Mutter sein kann oder will. Manchmal denke ich: „Ich sollte meine Tochter lieber abgeben.“ Dann hätte ich ein freies Leben. Ich könnte sie theoretisch zu meiner Mutter geben und nur dann besuchen kommen, wenn ich will. Aber ich würde sie nach ein paar Tagen vermissen. Jetzt, wo es sie gibt, kann ich mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Es ist mein Kind, mein Baby und mein Leben. Ich bin für sie verantwortlich. Das klingt vielleicht paradox: Am liebsten würde ich ohne sie leben, ohne zu wissen, dass es sie gibt.

Diese Gedanken zur Mutterschaft spreche ich offen aus. Meine Mutter kann das überhaupt nicht verstehen. Mit ihrer Schwangerschaft hat sich bei ihr der Schalter automatisch auf 300-Prozent-Muttersein umgestellt. Gerade die älteren Generationen denken oft: „Sowas darf eine Frau doch nicht sagen!“ Einer Freundin von mir, die mit Zwillingen alleinerziehend ist, geht es genauso wie mir. Sie sagt: „Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückspulen.“

Auf Väter, die ihre Kinder verlassen, wird natürlich geschimpft. Aber wenn eine Mutter das tut, ist es noch ein ganzes Stück schlimmer. Irgendwer muss ja beim Kind bleiben, meistens sind das die Mütter. Der Satz, den ich dazu am häufigsten höre, ist: „Da musst du jetzt durch.“  

Viele Frauen sagen „Alles ist toll!“ und schreien hinter verschlossener Tür

Muttersein wird definitiv romantisiert. Es gibt bestimmt Frauen, die es toll finden, aber auch viele, die ihre Kinder zwar lieben, aber dieses Leben als Mutter nicht wollen. Viele trauen sich nicht, das nach außen zu tragen. Aus Scham und weil es gesellschaftlich nicht erlaubt ist. Stattdessen sagen viele Frauen lieber „Alles ist toll, ich bin so glücklich!“ und schreien hinter verschlossener Tür. Ich wünsche mir, dass wir Mütter offen über unsere Gefühle sprechen können. Dass auch andere Frauen mitkriegen, dass sie nicht alleine sind.

Ich höre immer, dass Kinder selbstständiger werden, wenn sie älter sind. Ich hoffe sehr, dass das stimmt, kann es aber noch nicht richtig glauben. Ich bleibe ja die Mutter meiner Tochter, auch wenn sie älter wird. Ich bin für immer an sie gebunden und muss für sie da sein, auch wenn ich nicht will. So habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt.

Paare, bei denen das Leben auch mit Kindern funktioniert, finde ich wirklich bemerkenswert. Bei meinen Nachbarn ist das zum Beispiel so. Eine glückliche Schwangerschaft und dann gemeinsam das Kind aufwachsen sehen: Dieses romantische Bild von einer Familie habe ich immer noch. Mit einem Partner, der mich komplett unterstützt und mir Freiräume gibt, würde ich das auch gern erleben. Ich hätte gerne jemanden, der sagt: „Leg dich mal auf die Couch und mach gar nichts, ich bring sie ins Bett.“ Mein Grundgefühl, eigentlich nicht Mutter sein zu wollen, würde zwar bleiben, aber so wäre es akzeptabler. Dann könnte ich mir auch vorstellen, noch ein Kind zu bekommen. Aber dafür bräuchte ich sehr viel Vertrauen zu meinem Partner.

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