- • Startseite
- • Kettentext
-
•
Die jetzt.de-Kettengeschichte, Teil 9
Was bisher geschah: Die Tankstellen-Angestellte Anna flieht vor ihrem öden Job. Ihr Ziel: Das Mensch-ärgere-dich-nicht-Turnier, bei dem Annas großer Schwarm Gerwin Gewinner antritt. Doch dort wird Anna in eine seltsame Märchenwelt entführt und gefangengenommen - Gerwin Gewinner und eine Fee namens Tinkerbell führen etwas gegen sie im Schilde, doch sie weiß nicht was. Ihre letzte Hoffnung: Ihr Chef Paul aka "Preußen-Paule". Sie ruft ihn an, kann aber ihm aber nur mitteilen, dass sie sich in der Turnier-Villa befindet. Dort wurde sie auf dem Dachboden eingesperrt.
Alle vorigen Teile der Kettengeschichte kannst du hier nachlesen. Und hier kommt Teil 9 von jetzt-User rasenmaeherkaputtmacher:
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die durch kleine, schmutzige Fenster und Löcher und Lücken in den Dachboden eindringenden Sonnenstrahlen lassen Anna langsam die Umrisse ihres Gefängnisses erkennen. Ein großer Raum, sehr groß, riesig, staubig und muffig. An den Wänden alte Bilder. "Tete d'Arlequin"von Picasso, Rembrandts "Der Sturm auf dem See von Genezareth"und "Landschaft mit Regenbogen"vom alten C.D. Friedrich – kaputt, zerkratzt und mit Loch in der Mitte. Sie betrachtet den Rembrandt und findet, dass er gut malen konnte. Und noch viel, viel mehr geklaute Bilder hängen herum. Aus der Zeitung weiß sie, dass die Werke gestohlen sind. An der Tanke hatte Anna viel Zeit, in der Zeitung zu lesen. "Augenscheinlich bin ich Opfer einer gemeinen Diebesbande geworden“, denkt sie und fasst im Kopf den Gedanken weiter: "Werde ich in einhundert Jahren vergessen werden, wie diese Bilder hier? Bin ich überhaupt Mensch oder ein ausgedachtes Werk?"
Annas Blick wandert weiter und verliert sich in dunklen Ecken, in denen sie nichts erkennen kann. Sie fühlt sich benommen und müde. So wie sie daliegt, in diesem festlichen Kleid, eng wie eine Zwangsjacke. Und dann der Gestank dieser Klamotte. Es stinkt jämmerlich nach böser Fee. Gute Feen riechen, böse Feen stinken nach alten Socken. Das wird Anna in diesem Moment bewusst. Sie zerrt, möchte strampeln, aufstehen, das Kleid zerreißen, doch es hält sie gefangen. Und dann denkt sie an Gerwin und Liebe und dann wird ihr kurz schlecht. "DU ARSCHLOOOCH!"schreit Anna ihre überaus gerechtfertigte Enttäuschung über dieses Arschloch in die dunkle Leere des Dachbodens hinein. Die Größe des Raums entwirft ein imposantes Echo.
"Selber Arschloch!“, schreit jemand zurück. Es klingt sehr weit entfernt und Anna erschrickt. Sie glaubt, die Stimme schon ein Mal gehört zu haben.
"Wer ist da?“, ruft Anna ängstlich. Der Geruch alter Socken breitet sich aus.
"Wer ist da?"äfft die Stimme sie nach.
"Die böse Fee Tinkerbell“, denkt Anna. Ihr wird kalt. "Na, hast doch bestimmt schön geschlafen, was?"fragt die Fee aus unbekannter Ferne. Anna schweigt und erkennt ein diffuses Leuchten hinter einem altem, verrosteten Kühlschrank. Am Kühlschrank hängt ein alter Pin-Up-Kalender. Der zeigt Gerwin halbnackt in sexy Pose inmitten anderer halbnackter Männer.
"Schöne Bilder, was?"sagt die Fee nach einer kurzen Pause. "Gefallen sie dir? Schade, dass jemand dem Friedrich ein Loch reingeschossen hat. Wie kann man nur so ein Idiot sein, was? Du fragst dich bestimmt, wieso die Bilder hier hängen, was? Ganz einfach. Geklauter Wetteinsatz. Gerwin hat die Bilder spielsüchtigen Museumsdirektoren im Mensch-Ärgere-Dich-Nicht abgeluchst, dieser Fuchs, was? Irgendwann waren die Schulden der Leute so unvorstellbar hoch, dass sie nur mit unvorstellbar wertvollem Zeug beglichen werden konnten. Da hat er sich dann bedient, der Gerwin. Geiler Typ, was?"
Doch Anna hört gar nicht zu. In Gedanken versunken überlegt sie, wie sie es schafft, hier wegzukommen. Sie hofft, dass Paul kapiert hat, was sie ihm am Telefon noch sagen konnte, bevor man ihr einen Sack über den Kopf zog.
"Paul ist tot“, sagt die Fee.
"Was? Paul?!"wimmert Anna erschrocken. Dann hört sie zum ersten Mal das schmutzige Lachen der Fee. Ab einem gewissen Punkt klingt Lachen beim Luftholen wie Weinen.
"'Paul ist tot', kennst du nicht?"fragt die Fee. "Is von Fehlfarben. Geiles Lied. Wohl noch vor deiner Zeit, was? Hast du zufällig was zum Kiffen dabei? Wenn ich mir einen drehen darf, dann lass ich dich frei. Guter Deal, was?"sagt die Fee.
"Äh...ja. Hab ich."antwortet Anna überrascht. "Ja, also, wenn das so ist..."
Ein langsames Knarren unterbricht Annas Worte. Wie versteinert sucht sie den Raum ab, wo sich etwas bewegen könnte. Und immer lauter wird das Geräusch und plötzlich hält die Fee Anna im Arm. Der Gestank dieses komischen Wesens treibt Anna Tränen in die Augen. "Pauli, bitte Paul. Komm und rette mich“, flüstert Anna.
"Psssssst. Du musst mir vertrauen, mein Kind. Sag, wo ist das Tütchen mit dem grünen Zaubertabak?“, fragt flüsternd die Fee. Sie riecht auf einmal nicht mehr nach Socke. Sondern nach Blume.
Und durch den Dachboden weht ein Windhauch. Das Knarren ist verstummt. Irgendwo bewegt sich etwas.
Du willst wissen, wie es weitergeht? Teil 10 der Kettengeschichte erscheint am Donnerstag, den 26.06.
Text: jetzt-redaktion - Ilustration: Yinfinity