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Judith Rakers im Interview: "Gutes Aussehen ist Fluch und Segen zugleich"

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In Stellenanzeigen wird von Bewerbern so einiges verlangt: Teamfähig sollen sie sein, flexibel und zuverlässig. Doch wie wichtig sind Schlüsselqualifikationen im Job wirklich? Wir haben bekannte Persönlichkeiten gefragt. Folge 2: Tagesschausprecherin Judith Rakers über Flexibilität.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Judith Rakers, 33, moderierte bereits mit 29 Jahren das erste Mal die Tagesschau. Seit genau einem Jahr spricht sie auch die Hauptausgabe um 20 Uhr. Außerdem moderiert Rakers das „Hamburg Journal“ im NDR jetzt.de: Frau Rakers, Sie haben sich den Begriff Flexibilität selbst ausgesucht. Warum? Judith Rakers: Weil ich glaube, dass dieses Stichwort sehr gut zu meinem Berufsbild passt. Das fängt schon bei den Arbeitszeiten an. Bei der Tagesschau muss ich bereit sein, zu jeder Tageszeit, an Wochenenden und an Feiertagen zu arbeiten. Es sind täglich wechselnde Schichten. Heute spreche ich die Frühsendungen im Morgenmagazin zwischen 5.30 und 10 Uhr und morgen arbeite ich in der Nachtschicht, die etwa um 23 Uhr beginnt und um 6.30 Uhr endet. Tagesschau bedeutet Jetlag. Müssen Sie auch während der Sendung flexibel sein? Klar. Neulich kam vierzig Sekunden vor Sendebeginn die Nachricht von der Einigung in einem Tarifkonflikt. Während ich die ersten Sätze vom Teleprompter abgelesen habe, hat das Team parallel dazu die letzten Sätze geändert. Auch damals bei der Entführung von Susanne Osthoff musste ich flexibel sein. Wir hatten ein Entführervideo zugestellt bekommen. Als ich um 2:20 Uhr ins Studio ging, hieß es, dass es noch nicht gesendet wird. Als ich dann im Studio stand, habe ich über mein Ohrwürmchen gehört: Wir bringen es doch! Mir wurden dann kurzfristig geänderte Sätze diktiert, die ich gar nicht richtig verstehen konnte. Das erfordert höchste Flexibilität. Auch in Pannensituationen. Ist Ihnen eine bestimmte Panne noch besonders in Erinnerung? Legendär ist ja die Panne, als während der Sendung plötzlich der Teleprompter rückwärts lief. Das Video finden Sie bestimmt bei Youtube. Ich gucke da unter den Tisch und versuche das Pedal des Teleprompters umzustellen, was aber nicht auf Anhieb funktionieren will. Diese Panne wurde dann natürlich bei Stefan Raab gezeigt. Mit Kommentaren wie: Drückt sie da unterm Tisch eine Zigarette aus? Oder: Leckt Jens Riewa ihr die Schuhe? Stefan Raab hatte gut lachen. Aber ich wäre auch ganz unter den Tisch gekrochen, wenn es hätte sein müssen. In Bewerbungen soll die eigene Flexibilität herausgestellt werden, im Lebenslauf wird dagegen eine klare Linie erwartet. Wie sieht Ihr Lebenslauf aus? Sehr flexibel. Ich habe alle Stationen durchlaufen: Tageszeitung, Zeitschriften, sechs Jahre Hörfunk und beim Fernsehen habe ich erst hinter und dann vor der Kamera gearbeitet. Außerdem ist Flexibilität für mich als Journalistin sehr wichtig, weil ich mich sowohl mit Wirtschaft als auch mit Gesellschaft, Kultur und Sport auskennen sollte. Ich muss mich auch mal in Themen einarbeiten, mit denen ich nicht so vertraut bin. Seit ich das Hamburg Journal im NDR moderiere, bin ich zum Beispiel großer Fußballfan. Welcher ist Ihr Lieblingsverein: HSV oder St. Pauli? Ich finde beide Mannschaften ganz klasse. Sie sind da flexibel, stimmt’s? Na ja, im Zweifel bevorzuge ich schon den HSV. Das hat einfach damit zu tun, dass mein Freund aus München kommt und Bayern-Fan ist. Weil sich der HSV eben öfter als St. Pauli mit Bayern München misst, ist eine kleine Privatfehde zwischen mir und meinem Freund entstanden. Das macht zurzeit großen Spaß, weil der HSV ja in der Tabelle vor den Bayern steht. Das ist doch noch so, oder? Leider nicht, Bayern hat den HSV kürzlich wieder überholt. Wirklich? Warten Sie mal einen Moment (eine Tastatur klimpert). Jetzt sehe ich es auch: Bayern ist Zweiter, der HSV nur noch Vierter. Das ist ja schrecklich. Mein Freund hat mir das noch gar nicht aufs Brot geschmiert. Auf der nächsten Seite erzählt Judith Rakers, ob sie auch im Privatleben flexibel ist und welche Rolle ihr Aussehen auf dem Karriereweg gespielt hat.


Im Fußball wie in der gesamten Jobwelt ist der Begriff Flexibilität eher positiv besetzt, Anpassungsfähigkeit gilt dagegen oft als negative Eigenschaft. Warum ist das so? Weil Anpassungsfähigkeit heißt, dass man sich wie ein Chamäleon in die jeweilige Situation fügt und konturlos mit ihr verschmilzt. Dabei ist es im Beruf wichtig, seine Persönlichkeit nicht zu verlieren. Das gilt auch für mich: Die Zuschauer haben ein gewisses Bild von mir, also kann ich nicht plötzlich fachsimpeln, wenn ich mit einem Wirtschaftsexperten spreche oder oberflächlich werden, wenn es um Boulevardthemen geht. Dieses Lemminge-Prinzip mag ich nicht. Und trotzdem können Sie sich die Nachrichten nicht aussuchen. Das stimmt. Dennoch passt das Wort „anpassen“ nicht in mein bisheriges Leben. Als ich noch bei Focus TV war, sollte ich zum Beispiel Angehörige von Opfern eines aktuellen Flugzeugabsturzes für ein Interview ausfindig machen. Da habe ich gesagt: Das möchte ich nicht! Vielleicht war das auch der Moment, als ich gemerkt habe, dass Boulevardjournalismus nichts für mich ist. Jedenfalls habe ich mich nicht angepasst, sondern improvisiert: Ich habe schließlich einen Gesprächspartner gefunden, der einen früheren Flugzeugabsturz überlebt hatte. Dieser Mensch befand sich nicht mehr in tiefer Trauer und war bereit, freiwillig zu erzählen. Am Ende war auch die Redaktion damit sehr glücklich. An das dialektfreie Tagesschau-Deutsch haben Sie sich aber schon angepasst. Das ist vielleicht der einzige Bereich, in dem ich mich tatsächlich anpassen musste. Ich komme aus Paderborn, da gibt es schon eine leichte Sprachfärbung. Die Vokale sind sehr lang und wir sagen zum Beispiel Firsich statt Pfirsich. Die Umstellung war nicht leicht. Wie flexibel und spontan sind Sie abseits des Berufs? Gute Frage. Ich glaube, dass im Moment tatsächlich wenig Zeit für Spontaneität bleibt. Wobei ich finde, dass Spontaneität nicht mit Flexibilität gleichzusetzen ist. Trotzdem: Da ich viel arbeite und in Dienstpläne eingespannt bin, kann ich nicht einfach mal so die Nacht zum Tag machen oder spontan nach Paris fliegen. Ich muss viel planen. Aber wenn ich dann mal Urlaub mache, bin ich sehr flexibel. Mal mache ich Wellness, ein anderes Mal mache ich Zelturlaub in Afrika oder schlafe in Polen auf Dachböden von Forsthöfen. Beim Essen bin ich dagegen total unflexibel. Meistens bestelle ich mir im Restaurant wieder das gleiche, was mir beim letzten Mal schon geschmeckt hat. Wer im Beruf flexibel sein muss, sucht im Privatleben oft nach Konstanz. Sie auch? Ich habe in meinem Freundeskreis viele Menschen, die mich schon seit Jahren begleiten. Meine beste Freundin kenne ich, seit ich zwei Jahre alt war. Und ich bin in einer festen Beziehung, das ist natürlich eine schöne Konstante. Sagen wir mal so: Ich bin ganz froh, dass ich in Sachen Männer nicht mehr flexibel sein muss. Mal von der Flexibilität abgesehen: Welche Eigenschaften sollte man im Job noch mitbringen? Wichtig ist, dass man sich selbst treu und authentisch bleibt. Man darf nie versuchen, jemand anderes zu sein. Aber der Kern von allem ist die Leistungsfähigkeit. Man kann nicht immer darauf warten, dass das Glück von alleine kommt, man muss selbst aktiv werden. Schon während meines Studiums habe ich viele Praktika gemacht und nebenher gearbeitet. Um Ihr Studium zu finanzieren? Ich war nicht auf das Geld angewiesen, aber durch die Arbeit habe ich mir letztlich mein Studium finanziert, ja. Meine Eltern haben mir das so vorgelebt. Mit Sechzehn habe ich also als Bademeisterin in der Therme nebenan gearbeitet und später, als ich dann endlich einen Führerschein hatte, für die Lokalzeitung geschrieben. Auch während meiner Praktika habe ich immer Initiative gezeigt und versucht, mich einzubringen. Ich wollte den anderen zeigen: Ihr könnt von mir profitieren. Im Grunde kennzeichnet die Leistungsbereitschaft mein ganzes Leben. Ich weiß, dass Sie diese Frage nicht gerne hören, aber: Welche Rolle hat Ihr Aussehen auf Ihrem Karriereweg gespielt? Natürlich spielt das Aussehen beim Fernsehen eine große Rolle, aber nicht alle Moderatoren in Deutschland waren vorher Kandidaten bei Germany’s Next Topmodel. Primär haben mir schon meine Leistungsbereitschaft und die Flexibilität geholfen. Fällt in der Bild-Zeitung Ihr Name, dann ist stets von der „schönen“ Tagesschausprecherin die Rede. Mal ehrlich: Gutaussehende Menschen haben es doch im Job leichter, oder? Ich glaube, es kommt immer darauf an, wie sehr man selbst auf den äußeren Faktor setzt. Man kann ein noch so hübsches Mädchen sein, wenn wichtige Schlüsselqualifikationen fehlen. Außerdem ist das Aussehen Fluch und Segen zugleich. Es gab Menschen, die mich gefördert haben, weil sie dachten ich sei telegen. Aber genau wegen meines Aussehens gab es auch immer Menschen, die Vorurteile hatten und dachten: Die kann ja nix. Es hält sich immer die Waage. Fotos: dpa; AP

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