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Drehbuchautor Bora Dagtekin: "Meine Serien sind wie eine Tütensuppe"

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In Stellenanzeigen wird von Bewerbern einiges verlangt: Teamfähig sollen sie sein, flexibel und zuverlässig. Doch wie wichtig sind Schlüsselqualifikationen im Job wirklich? Wir fragen bekannte Persönlichkeiten. Folge 24: Drehbuchautor Bora Dagtekin über Idealismus. jetzt.de: Bora, du gibst zu, manchmal in den Drehbüchern amerikanischer Erfolgsserien nach Inspiration zu suchen. Sehr idealistisch klingt das nicht. Bora Dagtekin: Ich schaue mir US-Serien in erster Linie wegen des Handwerks der Drehbuchautoren an, nicht wegen des Inhalts. In Deutschland gibt es ja nicht so viele Vorbilder. Die TV-Serie gilt aus Sicht der Zuschauer als brachliegendes Genre, in der Idealismus nicht unbedingt die treibende Kraft der Macher ist. In amerikanischen und britischen Serien erkennt man sehr viel stärker eine Handschrift des Autors - für mich ist das eine gute Orientierung, um herauszufinden, was ich will. Und um herauszufinden, was der Zuschauer will, oder? Ja, auch. Widerspricht es nicht deiner Vorstellung von Idealismus, unter Quotendruck zu arbeiten? Leider herrscht in Deutschland das Vorurteil, dass anspruchsvolle Arbeit tendenziell eher nicht massentauglich sein darf. Wer die Masse bedient, kriegt hier selten künstlerische Anerkennung oder wird als Intellektueller wahrgenommen. Die amerikanische Idee ist es dagegen, Anspruch und Massentauglichkeit zu vereinen. Diese Idee gefällt mir. Für mich ist die Quote also keine Einschränkung, sondern eine Bewertung, der ich mich gerne stelle. Wie viel darf man von anderen Serien kopieren, um später noch von einer kreativen Eigenleistung sprechen zu dürfen? Es ist ein bisschen wie beim Kochen: Man kann die Kartoffel und das Fleisch nicht neu erfinden, man kann den Dingen aber Gewürze hinzufügen, um ihnen eine neue Geschmacksnote zu geben. In meinem Job habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sinnvoll ist, mit einer Grundidee zu arbeiten, die vielen Leuten zugänglich ist - bei "Doctor's Diary" lautet diese Grundidee "Bridget Jones als Ärztin". Das klingt zwar erstmal so, als wäre es schon oft da gewesen, wenn man diese Grundidee nun aber mit Originalität anreichert, dann kann es ein Erfolgsrezept werden. "Stromberg" ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Dabei war die erste "Stromberg"-Staffel doch ein Quotenflop. Genau deswegen ist die Serie ja ein so gutes Beispiel: "Stromberg" war anfangs eine Adaption von "The Office", dem britischen Vorbild. Im Laufe der Zeit hat sich "Stromberg" dann von diesem Vorbild befreit und hat inzwischen richtig gute Quoten. Für die deutsche Serie ist das ein gutes Zeichen. Ist es nicht eher ein Armutszeugnis für die deutsche Serie, dass es außer "Stromberg" und deinen Formaten kaum Serien gibt, die gute Kritiken ernten? Das ist schade, klar. Angesichts der guten "Stromberg"-Quote würde ich in einem anderen Land womöglich eher den Konkurrenzkampf schüren, als mich zu freuen. In Deutschland ist es fast so, dass man als Drehbuchautor über den Erfolg der Konkurrenz froh sein muss, damit die eigene Arbeit gesichert ist (lacht). Ein bisschen armselig ist das irgendwie schon, ja.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bora Dagtekin, 31, studierte Drehbuch an der Filmakademie Baden-Württemberg, wo er seinen Abschluss mit einer Action-Version des Schiller-Klassikers "Die Räuber" machte. Internationale Bekanntheit erreichte er als Drehbuchautor der TV-Serien "Türkisch für Anfänger" (ARD) und "Doctor's Diary" (RTL), die mehrere nationale und internationale Fernsehpreise erhielten. Im Jahr 2006 erschien sein erster Kinofilm "Wo ist Fred?" - mit Jürgen Vogel und Til Schweiger in den Hauptrollen. Du hast deine Ausbildung als Werbetexter begonnen. Die Werbebranche ist nicht gerade ein Symbol für Idealismus und Freigeist. Was hast du in dieser Zeit gelernt? Ich habe gelernt, wie man gute Ideen entwickelt und verkauft. Wenn ich heute ein Serienkonzept für einen Fernsehsender schreibe, benutze ich immer noch die Stilmittel, die ich damals gelernt habe. Es ist mit einer Serie ja nicht anders wie mit einer Tütensuppe: Du musst erstmal dafür sorgen, dass der Konsument die Suppe aus dem Regal des Supermarkts nimmt, das ist die Basis. Wenn es dir dann noch gelingt, dass der Käufer die Suppe zuhause heiß macht und sagt: "Scheiße, die schmeckt ja noch viel besser, als es auf der Verpackung aussah", dann hast du einen guten Job gemacht. Gerade was den Inhalt meiner Drehbücher angeht, habe ich also sehr wohl hohe Ansprüche daran, dass er originell und einzigartig ist. Da bin ich sehr idealistisch. Vor der Uni hast du unter anderem an den Drehbüchern zu "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" mitgewirkt. Auch das klingt nicht unbedingt nach Selbstverwirklichung. GZSZ ist in der Öffentlichkeit verhasst und verpönt, aber von allen Serien, die im deutschen Fernsehen laufen, ist es eines der wenigen Formate, in dem man einen gewissen Mut der Drehbuchautoren entdecken kann. Erst kürzlich hat meine Produzentin festgestellt, dass eine GZSZ-Geschichte eins zu eins aus einem Lars-von-Trier-Film abgeleitet wurde. Kaum jemand weiß, dass RTL dafür hochintellektuelle Leute beschäftigt: Mathematiker, Germanisten, Theaterwissenschaftler. Diese bunte Mischung ist ein super Ansatz, um zeitgemäße Themen zu entwickeln. Davor habe ich Respekt, aber ein echtes Vorbild ist GZSZ für mich nicht, das sind vor allem die amerikanischen Serien. Hat es dich überrascht, dass ein quotenabhängiger Sender wie RTL auf dein Drehbuch zu "Doctor's Diary" gesetzt hat? Immerhin hat dein Seriendebüt "Türkisch für Anfänger" (ARD) zwar viele Preise, aber nur mäßige Quoten eingefahren. Nein, es hat mich nicht überrascht, denn die Quote für "Türkisch für Anfänger" war durchaus erfolgreich. Wir hatten in der Zielgruppe so acht bis zehn Prozent, alles was danach auf unserem Sendeplatz lief, hatte deutlich weniger Quote. Das waren aber auch eher peinliche TV-Formate wie Bruce Darnells Coaching-Show "Bruce". Trotzdem war unsere Quote in Ordnung. Auch wenn wir im Nachhinein an den DVD-Verkäufen gemerkt haben, dass die Serie viele Fans in der arbeitenden Bevölkerung hatte, die um 18:50 Uhr noch nicht zuhause waren, um die Serie im Fernsehen zu sehen. So gesehen war es nicht unbedingt das optimale Produkt, das nach "Marienhof" und "Verbotene Liebe" läuft. "Doctor's Diary" läuft um 20:15 Uhr, da ist das natürlich ganz anders. Ist es eigentlich auch der Quotenorientierung geschuldet, dass die Hauptfiguren deiner Serien bisher immer weiblich waren? Das ist unter anderem vom Sender abhängig. Bei "Türkisch für Anfänger" war es ja mein Ursprungskonzept, dass Cem die Hauptfigur ist. Weil die ARD ihren letzten großen Serienerfolg aber mit "Berlin, Berlin" und Lolle als weiblicher Hauptrolle hatte, haben wir in Absprache mit dem Sender Lena zur Hauptfigur gemacht. Du hast dich also angepasst. Quatsch, ich breche mir doch keinen Ast ab, wenn ich auch mal ein paar Wünsche des Senders erfülle. Außerdem fällt mir die Arbeit viel leichter, wenn man mir ein paar Parameter vorgibt. Muss man manchmal Zugeständnisse machen, um beim nächsten Drehbuch idealistischer sein zu dürfen? Natürlich war es erst einmal wichtig, dass ich durch meine bisherige Arbeit zeigen konnte, dass ich ein Serienprojekt nicht völlig versaue. Wenn ich jetzt zu RTL gehen würde, um dem Sender das Drehbuch für ein Kriegsdrama vorzulegen, würden sie es zumindest lesen. Man wird mir nur dann mehr Freiheiten einräumen, wenn ich schon mal erfolgreich bewiesen habe, dass ich die Basics beherrsche. Ich merke inzwischen, dass ich im Gegensatz zu früher viel eher das machen darf, was ich will. Du planst also ein Kriegsdrama. (lacht) Es steht so einiges auf meiner Projektliste, aber nicht das Kriegsdrama. Wobei, wenn Frau Schäferkordt (RTL-Geschäftsführerin, Anm. d. Red.) einen Slot für "Band of Brothers" meets "Alarm für Cobra 11" freiräumen würde... Wie wäre es mit einer Familienserie, die trotz männlichem Protagonisten erfolgreich ist? Ich habe schon vor, ein Buch mit männlichem Hauptdarsteller zu schreiben. Das wird aber sicher keine Familienserie sein, sondern eher was im Bereich Action, Comedy oder Genre-Mix. Aber es ist auch hier so: Es sind die Sender, die nach Drehbüchern zu einem bestimmten Genre suchen. Und das typisch deutsche Genre ist nun mal der Krimi, den ich persönlich eher langweilig finde. Du findest den "Tatort" langweilig? Nein, aber ich finde den immer gleichen Aufbau von Krimis öde: In Minute X gibt es den ersten Toten, in Minute Y taucht der erste Verdächtige auf und so weiter - das ist auch im "Tatort" so. Ich finde, menschliche Abgründe und Milieu-Beobachtungen muss es auch in Familienserien oder Komödien geben dürfen. Du hast mal gesagt, dass es in Deutschland nicht zu wenig gute Drehbuchautoren gebe, sondern zu wenige Macher unter ihnen. Was zeichnet denn einen Macher aus? Einen Macher zeichnet aus, dass er seine Visionen auch umsetzen und gegen Widerstände verteidigen kann. Es ist ja nicht damit getan, ein Drehbuch nur zu schreiben. Um die Idee hinter dem Drehbuch umsetzen zu können, muss ich mich als Autor auch in der Vorbereitung, im Schnitt und beim Casting beteiligen. Ich möchte dabei sein, wenn am Ende das letzte Wort darüber gesprochen wird, welcher Schauspieler die Rolle in meiner Geschichte spielt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Für "Türkisch für Anfänger" hatte Bora eigentlich eine männliche Hauptrolle im Kopf. Doch der Sender wollte eine Frau. Als Drehbuchautor braucht man also möglichst alle Macht in der eigenen Hand? Nicht alle. Und nicht jeder. Aber Entscheidungsmacht in kreativen Angelegenheiten ist mir wichtig und Teil meiner Verträge, ja. Das klingt sehr autoritär. Wie steht es denn um deine Teamplayer-Qualitäten? Die Seele eines Produktes wird immer im Team mit Produktion und Redaktion entschieden. Deshalb habe ich ja auch nicht gesagt, dass ich allein das letzte Wort haben will, sondern die endgültigen Entscheidungen mitbestimmen möchte. Wenn am Ende drei von vier Leuten sagen, dass ein Handlungsstrang für den Arsch ist, dann beuge ich mich und schreibe neu. Das Casting will ich aber mitbestimmen, da geht es um das Gesicht der Serie. Inwiefern bestätigen dich jene Preise, die du für deine Serien abgeräumt hast: Bayerischer Fernsehpreis, Deutscher Fernsehpreis, Adolf-Grimme-Preis. Einige Preise bedeuten mir sehr viel. Dabei wusste ich früher gar nicht, dass es Jurys gibt, die diese Preise vergeben. Ich dachte immer, dass das Zuschauerabstimmungen sind. Was bedeutet dir denn mehr: Das Urteil einer Fachjury oder das Urteil des Zuschauers? Ich finde, dass die Preise einen immer wieder daran erinnern, dass man gegenüber dem Zuschauer die Verantwortung hat, keinen Müll zu produzieren und das Fernsehen besser machen zu wollen. Sonst kommt irgendwann die Grimme-Jury und sagt: “Gib die Preise wieder her, du angepasstes Kommerzschwein!”. Demnächst wirst du dein Glück in den USA versuchen. Ist dein Idealismus in Deutschland an eine Grenze gestoßen? Manche Genres funktionieren in Deutschland eben nicht. Wir haben gute Ideen und werden versuchen, in den USA Konzepte zu verkaufen, die hier nicht funktionieren oder zu teuer sind. Abgesehen vom Idealismus: Welche Eigenschaften braucht man, um im Job erfolgreich zu sein? Ich werde jetzt bestimmt nicht sagen: "Man sollte seinen Job lieben, dann wird man auch erfolgreich sein". Daran glaube ich nicht. Im Gegenteil: 80 Prozent meines Jobs hasse ich, auch wenn ich das schnell vergesse, wenn die Arbeit erst mal vorbei ist. Ich würde also eher sagen, dass es wichtig ist, an sich zu glauben. Dass man nicht verzweifelt, wenn man mal eine Blockade hat. Und dass man Deadlines nicht so ernst nimmt. Überhaupt: Dass man den ganzen Job nicht zu Ernst nimmt. Außer man ist Arzt. *** Alle bisher veröffentlichten Folgen der Jobkolumne findest du hier.

Text: andreas-glas - Foto: oh

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