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Charlotte Roche: "Manchmal kotze ich über mein eigenes Klischee"

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In Stellenanzeigen wird von Bewerbern einiges verlangt: Teamfähig sollen sie sein, flexibel und zuverlässig. Doch wie wichtig sind Schlüsselqualifikationen im Job wirklich? Wir fragen bekannte Persönlichkeiten. jetzt.de: Von Herbst an wirst du zusammen mit Giovanni di Lorenzo die Sendung 3nach9 moderieren. Wirst du deinen Moderationsstil nun an den Umgangston einer seriösen Talkshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehen anpassen? Charlotte Roche: Bis jetzt hat noch keiner aus dem Redaktionsteam zu mir gesagt, dass ich meinen Stil ändern muss. Ich bin ja gerade deswegen angefragt worden, weil ich so bin wie ich eben bin. Bei 3nach9 weiß man, dass ich im Grunde ein spießiger Arbeiter bin, der sich akribisch vorbereitet. Und der Redaktionsleiter weiß auch, dass ich es nicht darauf anlege, dem Gast die Show zu stehlen oder die Sendung zu sprengen. Du wirst also weiter so unangepasst bleiben wie bisher? Nein, denn als Fernsehmoderator ist man sowieso immer angepasst. Man passt sich wie ein Psychiater oder wie eine Prostituierte an den Interviewpartner an. Schon während meiner Zeit bei Viva war ich ja eine Superdienstleisterin, die sehr darauf bedacht war, dem Gast ein gutes Gefühl zu geben und zu zeigen, dass ich gut vorbereitet bin. Als du bei Viva "Fast Forward" moderiert hast, waren deine Gäste allerdings Musiker und in der Regel kaum älter als du selbst. Bei 3nach9 wird das anders sein. Ich bin selbst gespannt, ob ich es kann, zum Beispiel mit Politikern zu sprechen. Man hat ja oft den Eindruck, dass die so aalglatt sind und gar nicht selbst denken, sondern nur das sagen, was von der Partei erwartet wird. Ein Musiker oder ein Schauspieler kann schon mal etwas Peinliches erzählen, ein Politiker würde das wohl nie tun. Aber man wird sehen, vielleicht schaffe ich das ja. Es klingt, als hättest du etwas Angst vor der ersten Sendung. Ja, aber ich hatte schon immer eine gewisse Versagensangst vor Interviews und schon immer mehr Angst als Respekt vor meinen Gästen. Der Gesprächspartner könnte ja schlecht drauf sein oder ich könnte mich mit einer dummen Frage voll in die Nesseln setzen. Ich habe da so meine Horrorvorstellung, dass ich einen Gast frage: Wie ist das Verhältnis zu Ihrer Mutter? Und er sagt: Meine Mutter ist gestorben als ich zwei war. Ich würde mich umbringen, wenn mir so etwas passieren würde.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Charlotte Roche, 31, wurde in England geboren und kam mit acht Jahren nach Deutschland. Bekannt wurde Roche, als sie nach erfolgreichem Casting, von 1998 bis 2004 die mehrfach ausgezeichnete Musiksendung "Fast Forward" auf Viva 2 und später auf Viva moderierte. Danach war Charlotte Roche unter anderem für Arte, 3Sat und das ZDF tätig. Im Februar 2008 erschien ihr umstrittener Roman "Feuchtgebiete", der zum Bestseller wurde. Von September an wird Charlotte Roche an der Seite von Zeit-Chefredakteur Giovanni die Lorenzo die Talkshow 3nach9 moderieren. Vor welchem Interviewgast hattest du besonders große Angst? Bei Mick Jagger hatte ich große Versagensangst. Da sitzt jemand, der schon jahrzehntelang erfolgreich ist und dann komme ich kleiner Pups daher. Er hat ja sofort gesehen, wie jung ich war und hätte denken können, dass ich allein deshalb überhaupt keine Ahnung von seiner Musik habe. Ich hatte einfach Angst, dass Mick Jagger ein Arschloch sein würde und fragt: Hey, wie heißen denn alle meine Platten aus den Siebzigern? Natürlich würde kein Gast so etwas fragen, weil er dabei vor der Kamera ja selbst schlecht rüberkommen würde. Aber die Angst ist immer da. Du sagst selbst, die 3nach9-Moderation sei ein sehr seriöser Job. Ist Charlotte Roche gerade dabei, seriös zu werden? Ich habe eine Tochter und nehme seit Jahren keine Drogen mehr. Da ist es doch normal, dass ich mich weiterentwickle und mit dem Alter auch spießiger werde. Wenn ich mich heute daran erinnere, dass ich bei Viva vor der Kamera Alkohol getrunken und Kette geraucht habe, denke ich mir: Oh Gott, so will ich heute nicht mehr sein! Die Leute denken zwar immer noch, dass ich wilde Sexorgien feiere, aber im Grunde lebe ich gesund, passe auf meine Familie auf und mache jetzt so Sachen wie Rechnungen bezahlen. Ganz ehrlich: Ich werde gerne älter und erwachsener. Hat deine Entscheidung für ein seriöses Talkformat auch damit zu tun, dass du endlich aus der Analverkehr-Ecke raus willst, in der du seit deinem Buch "Feuchtgebiete" stehst? Klar hatte ich die Schnauze voll davon, mich mit Journalisten nur noch exzessiv über Analverkehr zu unterhalten. Ich wollte das natürlich eine Zeit lang so, aber insgesamt war es zu viel. Manchmal kotze ich über mein eigenes Klischee, das ich lange mit großem Spaß und bis zum Erbrechen bedient habe. Ist 3nach9 also eine Art Therapie für dich? Bei mir ist ja alles irgendwie Therapie. Aber ich empfinde vor allem Dankbarkeit für das Jobangebot und freue mich wirklich sehr darüber, dass das Redaktionsteam an all dem Monströsen vorbeigucken kann. Durch mein Buch bin ich ja irgendwie selbst zum Monster geworden. Aber jetzt ist der monströse Tumor weg. Manche bezweifeln das. CDU-Politikerin Elisabeth Motschmann findet es "beschämend", dass du den Job bei 3nach9 übernimmst. Schließlich sei dein Buch "obszön" und "pervers". Es gibt natürlich Zuschauer, die so über mich denken. Aber ich weiß ja, dass ich so nicht bin. Spätestens nach drei Sendungen werden sie feststellen, dass ich eigentlich sehr spießig bin und es ist alles wieder gut. Dieses konservative Korsett der Sendung mag ich auch persönlich sehr viel lieber, als wenn ein Sender sagt: Jetzt machen wir mit Charlotte Roche so eine richtig flippige Sendung! Hasst du etwa mittlerweile, dass du ständig als so wahnsinnig unangepasst bezeichnet wirst? Eigentlich nicht, weil ich es sehr schade finde, wenn Menschen zu angepasst sind. Viele glauben, dass man es im Job nur auf diese Art weit bringen kann. Ich persönlich denke nicht über Karriere und Image nach und benehme mich daher oft schwierig. Das ist zwar unangepasst, aber andererseits auch nicht immer klug. Du spielst darauf an, dass du dich schon mehrfach im Streit von deinen bisherigen Arbeitgebern getrennt hast. Diese Art habe ich von meinem Vater gelernt, der immer zu mir gesagt hat: Wenn man in der Arbeit mit Kündigung droht, dann muss man auch so konsequent sein und es durchziehen. Vielleicht ist es aber auch einfach nur geistesgestört, dass ich oft so große Angst davor hatte, das Fernsehen könnte mich verbiegen. Auf der nächsten Seite erzählt Charlotte Roche von ihrem "Blind Date" mit Giovanni di Lorenzo und erklärt, warum Authentizität im Fernsehen nur unter Alkoholeinfluss möglich ist.


Hast du es nie bereut, im Job so kompromisslos zu sein? Nein, denn für mich ist es nur wichtig, privat nicht kompromisslos zu sein. Da muss man großzügiger sein, mal beide Augen zu drücken können. Im Beruf bin ich dagegen gerne konsequent. Sehr konsequent war es allerdings nicht, das Angebot von 3nach9 anzunehmen. Schließlich hattest du ja schon deinen Abschied vom Fernsehen angekündigt. Es war blöd und unüberlegt von mir, dass ich das in einem Interview so dahin gesagt habe. Ich habe damals eben gedacht, dass mir nach "Feuchtgebiete" sowieso niemand mehr einen Job anbieten würde - außer vielleicht als Moderatorin von "Peep". Außerdem war ich sehr froh darüber, dass ich nach dem Erfolg des Buches finanziell nie wieder darauf angewiesen gewesen wäre, mich mit den Fernseh-Arschlöchern rumzuschlagen. Und plötzlich kam der Anruf von 3nach9? Ja, der Produktionsleiter hat mich am Telefon direkt gefragt, ob ich nicht die Co-Moderation von Giovanni di Lorenzo machen möchte. Ich habe einen roten Kopf und Schweißausbrüche gekriegt. Ich hatte plötzlich riesige Angst vor der Herausforderung, aber wie hätte ich dieses Angebot absagen sollen? Das geht doch gar nicht. So ein Platz in einer Talkrunde wird ja lange nicht so oft frei wie die Trainerjobs in der Bundesliga. Giovanni di Lorenzo sagt, du hättest sein Herz erobert, als du Hubertus-Meyer Burckhardt in der NDR Talk Show dein Buch "Feuchtgebiete" als Wichsvorlage empfohlen hast. Passen Roche und di Lorenzo besser zusammen, als viele denken? Giovanni hat mir gleich bei unserem ersten Treffen gesagt, dass ich mich gerne so benehmen darf, wie ich es bisher immer getan habe. Wir hatten ja sozusagen eine Art Casting bei einem Italiener in Hamburg. Es war total ungewohnt, denn wir kannten ja bis dahin nur das professionelle Bild voneinander. Es war wie bei einem Blind Date, so dass ich beinahe das Gefühl hatte, ich betrüge meinen Mann.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zusammen mit Giovanni di Lorenzo, 50, wird Charlotte Roche demnächst die Talkrunde 3nach9 moderieren. Di Lorenzo ist Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit" und führt seit 20 Jahren durch die Sendung Du wolltest den Job ja unbedingt. Hast du dich beim "Blind Date" ein bisschen bei Giovanni di Lorenzo eingeschmeichelt? Klar dachte ich mir: Er darf jetzt bloß nicht denken, dass ich eine blöde Kuh bin! Und natürlich habe ich zu verhindern versucht, dass die Sache noch kippen könnte. Gibt es, außer in solchen Bewerbungsgesprächen, weitere Situationen, in denen du dich deinem Gegenüber anpasst? In Interviews. Bei "Fast Forward" haben wir früher ja nur Leute eingeladen, deren Musik wir toll fanden. Da habe ich nur positive Interviews geführt, das war fast schon schleimig und natürlich unfassbar unkritisch. Aber irgendwie fand ich das auch ganz toll. Es gab aber auch sehr freche Interviews. Du hast Robbie Williams mal gefragt, ob seine eigene Musik zu hören so ist, wie sein eigenes Sperma zu trinken. Im Grunde war das eher eine Notreaktion, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, er langweilt sich gerade. In solchen Situationen setzt mein Gehirn aus und ich kann gar nicht erklären, warum ich dann so etwas sage. Aber ich bin schon sehr froh, dass ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen kann. Immerhin war Robbie Williams plötzlich hellwach und konnte nicht glauben, dass ich so etwas gerade gesagt habe. Ich hoffe, das klappt bei 3nach9 auch so gut. Allerdings werde ich das Wort "Sperma" nur dann in den Mund nehmen, wenn das Gegenüber das wirklich will. Wenn er das will? Wie muss man das verstehen? Es könnte ja ein total versauter Gast da sein, der es nötig hat. Da wäre es doch gemein, wenn ich darauf nicht eingehen würde. Gibt es Authentizität im Fernsehen überhaupt oder verhält sich dort jeder total angepasst, weil er in der Öffentlichkeit steht? Es mag desillusionierend sein, aber das Medium Fernsehen verbietet ja ein spontanes Gespräch von vorneherein schon. Eine Talksendung wirkt völlig anders als sie tatsächlich ist: Die meisten Fragen werden vorher abgesprochen und der Moderator denkt während einer Antwort des Gastes schon über die nächste Frage nach. Eine authentische Talkrunde könnte es höchstens geben, wenn alle Beteiligten zwei Promille im Blut hätten. Könntest du dir vorstellen, so eine Sendung zu moderieren? (lacht) Nein, denn jeder hat doch charakterliche Hässlichkeiten, die er niemals im Fernsehen zeigen möchte. Abgesehen von der Anpassungsfähigkeit: Welche Eigenschaften braucht man, um im Beruf erfolgreich zu sein? Wenn ich Personalchef wäre, würde ich nur Leute einstellen, die Engagement zeigen. Ob das Engagement authentisch ist oder nicht, ist egal - es gibt schließlich solche Tage, an denen man mal keine große Lust hat. Aber man sollte wenigstens so tun, als hätte man Bock auf den Job. Erfolg im Beruf hat letztlich nämlich immer etwas mit Engagement zu tun. *** Alle bisher veröffentlichten Folgen der Jobkolumne findest du hier.

Text: andreas-glas - Fotos: Radio Bremen/Thorsten Jander

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