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Kommentare über „ausländisches“ Essen können verletzend und rassistisch sein

Essen ist politisch, das hat unser Autor früh gelernt.
Illustration: FDE

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Weil sie sich in der Medienlandschaft nicht repräsentiert fühlten, haben Malcolm Ohanwe und Marcel Aburakia einen eigenen Podcast gestartet: die „Kanackische Welle“. In der Kolumne dazu schreiben sie hier alle zwei Wochen über Identität, Popkultur, Sexualität, Rassismus, Politik, Sport und vieles mehr – aus einer post-migrantischen Perspektive.

Ich war etwa neun  Jahre alt und bei meinem Schulfreund Ferdi* eingeladen. Wir tobten ein wenig im Keller herum und hatten gerade die verbotenen Schmuddel-Videos von Ferdis Papa Heinz entdeckt, als Ferdis Mama Sybille von oben durch das mehrstöckige Haus rief: „Mein Schatz! Das Essen ist fertig!“ Ich blieb, wo ich war, aber Ferdi nahm mich mit: „Komm, Malcolm, es gibt Essen!“

Ich durfte mit? Das war ich von weißen deutschen Kids wie Ferdi, Sebi oder Thomas nicht gewohnt. Normalerweise musste ich dort immer im Zimmer bleiben, während sie mit der Familie aßen. Aber ich hatte Hunger und folgte Ferdi direkt. Als wir am Esstisch ankamen, verstand ich zum ersten Mal, warum man in der deutschen Sprache „Abendbrot“ zur dritten Mahlzeit am Tag sagt. Es gab einfach wortwörtlich Brot zu Abend. Kein Pizzabrot oder Burger oder Falafel-Sandwiches, sondern schlicht trockene, kalte, braune, geschmacklose Brotscheiben. Das Essen war nicht einfach nur nicht warm, es war frisch aus dem Kühlschrank. Heute erinnert mich das an Krankenhausaufenthalte. Damals redete ich mir aber ein, mir würde das Essen echt schmecken. Ich war stolz, dass jemand, der in meinen Augen so reich und angesehen war, jemandem wie mir erlaubte mitzuessen. Bescheuert, ich weiß.

Es geht darum, aufzuzeigen, wie politisch auch Essen sein kann, wenn es um Migration und Rassismus geht

Diesen völlig deplatzierten Minderwertigkeitskomplex gegenüber nur-deutschen Kids verspürte nicht nur ich, sondern auch viele andere migrantische Kinder, mit denen ich später sprach. Für unsere Podcast-Folge „Ausländisches Essen“ haben uns Hörer*innen ganz ähnliche Geschichten erzählt. Ein Hörer hat sich als Kind sogar eingeredet, Dosen-Ravioli seien Schmackofatz-Feinkost, während die gabunische handgemachte Küche seiner Mama irgendwie schlecht und primitiv sei. Er war auch einfach happy, mitessen zu dürfen. Er hatte über Jahre auch wegen der elterlichen Esskultur Ablehnung erfahren und sehnte sich so sehr nach Anerkennung, dass er wahrscheinlich auch freudig deutsches Hundefutter gegessen hätte. Natürlich gibt es auch kulinarisch anspruchsvolle deutsche Küche. Als stolzer Bayer möchte ich die nicht missen, aber darum geht es in diesem Text nicht. Es geht darum, aufzuzeigen, wie politisch auch Essen sein kann, wenn es um Migration und Rassismus geht, und wie früh migrantische Kinder das erleben müssen.

Ein anderer Hörer hat erzählt, wie seine kamerunische Mutter Innereien kochte und er sich für den Geruch schämte, weil andere Kids ihn dafür fertigmachten. Und auch viele Hörer*innen mit tamilischen, bengalischen oder pakistanischen Eltern berichteten davon, wie sie für ihren Curry-Geruch hämisch ausgelacht wurden. Für mich ist das Äquivalent zum Curry-Geruch die Knoblauch-Fahne, die mir die palästinensische Küche meiner Mutter verschaffte. Es wirkt vielleicht unproblematisch, dafür ausgelacht zu werden. So sind Kinder nun mal, könnte man sagen. Für arabische, aramäische, kurdische, armenische oder türkische Menschen sind Sprüche in Verbindung mit Knoblauch oft aber mit viel Schmerz und Gewalt verbunden. Denn für manche von ihnen gingen solche Sprüche mit Ausgrenzung oder sogar Prügel einher. Beleidigungen wie Kümmel-Türke sind deshalb mehr als nur infantile Witze, sondern rassistisch und oft sehr verletzend.

Ein weiteres Beispiel: In vielen Kulturen wird mit der Hand gegessen. Wenn meine kleinen braunen Finger im Tagesheim mal auf Besteck verzichteten und direkt zur Kartoffel oder zum Rührei griffen, folgten fast immer Kommentare über meine Herkunft. Egal ob von anderen Kindern („Der weiß nicht mal, wie man Besteck benutzt, wie ein Affe isst der!“) oder von Erzieherinnen („Uuuuh, das ist das Afrikanische in dir, bei euch macht man das sicher so, das kenne ich von meiner Reise in den Senegal!“). Tatsächlich habe ich zu Hause oft mit den bloßen Händen gegessen. Ich habe aber sehr früh auch gelernt, Gabel und Messer zu nutzen, und natürlich gibt es Tausende Schwarze deutsche Kids, die nicht wie ich zu Hause viel mit den Händen gegessen haben, sondern ausschließlich mit Besteck. Und dann gibt es auch Leute, die zu Hause mit etwas anderem als Messer und Gabel essen. Menschen mit vietnamesischen oder koreanischen Wurzeln erzählten uns in unserem Podcast „Kanackische Welle“ etwa, dass sie von zu Hause nur Stäbchen gewohnt waren und Gabel und Messer erst später kennenlernten. Auch das ist vollkommen okay. Was nicht okay ist: Jemanden abzuwerten wegen seiner Esskultur, da beginnt das Problem. Auch wenn Betroffene oder Leute, die solche Sprüche ablassen, es oft nicht merken.

Diese Bereitschaft, den Horizont zu erweitern, haben viele migrantische Kids wie ich von klein auf intus

Wenn mal meine nicht-afrikanischen Freund*innen bei uns zu Besuch waren und mein Vater nigerianisch gekocht hatte, etwa Egusi-Soup mit Gari (eine würzige Blattgemüße-Soße mit einem stärkehaltigen Brei) oder Kochbananen, und ich ganz normal mit meiner rechten gewaschenen Hand zugriff, erntete ich direkt komische Blicke. Spätestens nachdem sie aber probiert hatten, schmeckte es fast allen und ihnen gefiel es auch, das Essen haptisch auf den Händen zu spüren. Andere machten aber ganz plakativ Würgegeräusche oder riefen „iiiih“. Das war für mich schon als Kind verletzend und respektlos, ich habe ja auch dankbar und freundlich die trockenen Brotschreiben von Ferdi gegessen. Diese Bereitschaft, den Horizont zu erweitern, haben viele migrantische Kids wie ich von klein auf intus. Denn wir leben in einem System, das uns dazu ermutigt und manche Leute leider auch immer wieder schmerzhaft dazu nötigt, sich an mehrheitsdeutsche kulinarische Normen anzupassen. Sei es das Essen von Schweinefleisch oder das Trinken von Alkohol, um zu beweisen, wie integriert jüdische oder muslimische Menschen sind, oder das Verwenden von Messer und Gabel. Deutsch-deutsche Menschen haben diesen Anpassungsdruck nicht.

Ich habe sehr gerne bei Ferdi mitgegessen. Dem Abendbrot konnte ich zwar geschmacklich leider kaum etwas abgewinnen, aber ich habe Ferdi und seine Familie – und auch mein Heimatland Deutschland – dadurch besser verstehen gelernt. Diese Bereitschaft wünsche ich mir von allen Menschen und Familien. Leider habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass viele herkunftsdeutsche Familien für Kinder, die zu Besuch sind – ob mit Migrationsgeschichte oder ohne – nicht mitkochen und sie auch nicht an den Tisch beten. In vielen, natürlich nicht allen, bosnischen oder togolesischen Haushalten dagegen konnte ich mich vor Einladungen zu Snacks, Abendessen und Tee gar nicht retten.

Solltet ihr so eine weiße deutsche Familie sein und bei der Tochter Paula ist die syrische Zeinab zu Besuch, lasst sie nicht wie mich und die anderen schwarzhaarigen Deutschen, mit denen ich gesprochen habe, im Zimmer nebenan Däumchen drehen, wenn es Essen gibt. Traumatisiert sie nicht, sondern ladet sie ein, und irgendwann seid ihr vielleicht auch bei Zeinabs Familie zum Essen eingeladen und gemeinsam könnt ihr kulinarisch die Vielfalt von Deutschland erkennen. Das schmeckt dann auch wesentlich besser als die komische, unauthentische Pseudo-Ethno-Küche aus den Asia-, Afrika- oder Nahost-Wochen vom Discounter um die Ecke.

 *Alle Namen in diesem Text sind anonymisiert.

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