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Was stört euch an Ursula von der Leyen?

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Die Jungsfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der letzte Wochenendbesuch bei meiner Mutter geriet zu einem Engagement als Hilfskellner - ich hatte ihre Kaffeerunde zu bewirten und mit galanten Scherzworten zu versehen. Nahezu ein Dutzend Damen gutbürgerlichsten Alters saßen auf unserer Terrasse, annektierten den Erdbeerkuchen und ereiferten sich über Ursula von der Leyen. Die! Wenn sie Die! schon sähen, mit ihrem verkniffenen Stil, mit ihrem ach so perfekten Familienleben, ihren biederen Kostümen und diesem affektierten Namen. „Der ihr“ Familienleben, so mutmaßte das aufgebrachte (und keineswegs sozialdemokratisch geprägte) Kränzchen, „der ihr“ Familienleben könnte man sich ja wohl bitteschön sehr genau vorstellen, als Ministerin hat Die! doch für ihre sieben, sieben! Kinder bestimmt nicht mehr als eine Viertelstunde pro Woche Zeit. Und der Herr Traumgatte wird da auch noch seinen Tribut einfordern, nicht wahr, da wäre er der erste Mann, der sich das auf Dauer gefallen ließe, quietsch! Es muss im Hause von der Leyen, so der Kuchen-Konsens, ein Heer von Chauffeuren und Kindermädchen geben, das Der! die Arbeit abnimmt. Und das wiederum wäre ja weder fortschrittlich noch gerecht, gegenüber allen anderen, zumindest allen anwesenden, Müttern ohne Chauffeur. Als ich abends nach dem Auftragen der Sherry-Gläser mit klingenden Ohren entlassen wurde, traf ich mich im Dorfkrug noch mit der hervorragenden Anna von früher. Ich erzählte ihr vom Damengeschrei auf unserer Terrasse und Anna lächelte, sagte dann aber gleich: „Die ist aber auch wirklich schrecklich, die von der Leyen, ich kann die überhaupt nicht sehen. Die ist irgendwie so überehrgeizig und tut immer so, als hätte sie alles im Griff und alles wäre ganz easy.“ Sonst ist die Anna eigentlich sehr schlau. Aber sie wollte an diesem Abend partout nicht eingestehen, dass sie und ganz viele anderen Frauen sich reflexartig auf Ursula von der Leyen einschießen. Weil die scheinbar mühelos sehr viele Kinder mit sehr viel Karriere verbindet, dabei immer noch ganz ordentlich aussieht und weder verbittert noch besonders ideologisch verbrämt ist. Warum fällt euch zu schwer, mal jenseits aller Parteienzuneigung und Tagespolitik zu sagen: irgendwie doch eine tolle Frau? fabian-fuchs Die Mädchenantwort

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Irgendwie musste ich bei dieser Frage auch an meine eigene Mutter denken. Als kleines Schulmädchen pflegte ich es nämlich, nach der Schule nach Hause zu kommen und erst mal ordentlich über die kreuzbraven Strebermädchen in meiner Klasse vom Leder zu ziehen. „So blau die Pullis! So leblos die Zöpfe! So ordentlich die Schrift! Und immer nur Einser!“ Meine Mutter in ihrem ehrenwerten Bestreben, mich zu Liebenswürdigkeit und Toleranz zu erziehen, bremste mich dann gerne mit einem „Jetzt mach mal langsam. Es ist doch toll, wenn sich jemand so in der Schule rein hängt. Sie hat bestimmt ganz interessante Hobbys, und höflich ist sie auch. Erwartet doch niemand von dir, dass du auch eine Eins in Schönschrift bekommst.“ Was sie mir damit sagen wollte, war: Hack doch nicht so auf dieser armen Superperson herum, es ist nämlich kleinlich, sich von der Exzellenz der Anderen gefährdet zu fühlen, anstatt sie zu loben. Genau derselbe Erziehungsauftrag schlummert in dieser Frage. Und genauso wie meine Mutter damals, habt ihr scheinbar überhaupt nichts verstanden, wenn es um Ursula von der Leyen geht, und die intensive Abneigung, die einige von uns gegen sie kultivieren. Frau von der Leyen ist die Klassenstreberin des Politbetriebes. Schon richtig: Sie führt ihr Leben auf ganz tolle Art und Weise. Sie ist gebildet, erfolgreich, glücklich verheiratet und hat eine Horde Kinder, die im Gegensatz zur Meinung der Kaffeekranztanten wahrscheinlich insgesamt ganz zufrieden sind. Aber genau das tun Tausende von anderen Frauen in Deutschland auch. Gut, die haben vielleicht zwei statt sieben Kinder – aber wer zum Teufel sollte sich in Zeiten der explodieren Weltbevölkerungswachstums schon herausnehmen sieben Kinder zu zeugen? Jedenfalls arbeiten sie, haben Beziehungen und erziehen ihre Kinder. Nur gehen sie mit all diesen Leistungen nicht hausieren. In der Schule haben wir ja auch nicht pauschal alle Klassenkameraden gehasst, die brav waren oder Einser schrieben. Da gab es schon auch sehr nette. Unsere Abneigung richtete sich immer auf die, die das offensiv machten. Die bei jeder einzigen Lehrerfrage mit dem Finger nach Aufmerksamkeit für ihr Wissen schnipsten und extralaut erzählten, dass sie die ganzen Sommerferien die Vokabeln der letzten drei Jahre in ihr neues Karteikartensystem übertragen hatten. Es geht gar nicht darum, dass Ursula von der Leyen nun mal tatsächlich die Tochter eines Adeligen ist und damit ganz andere Voraussetzungen hat, als die deutsche Durchschnittsakademikerin, die mit 27 eigentlich ihr zweites Kind kriegen müsste, aber gerade erst anfängt, ihr Bafög zurück zu zahlen. Man will ja niemanden wegen seiner Herkunft diskriminieren. Es geht einfach darum, dass alle Errungenschaften der Frau von der Leyen begleitet werden von diesem selbstzufriedenen Bewusstsein, jetzt mal ein echtes Vorbild für die bundesdeutsche Weiblichkeit zu sein. Ganz abgesehen von den teilweise extrem fragwürdigen politischen Positionen, die sie vertritt. Ursula von der Leyen löst keinen weiblichen Minderwertigkeitskomplex in uns aus – denn wir wissen, dass auch wir die Trias Kind- Kerl- Karriere bewältigen werden, wenn unsere Zeit gekommen ist. Als wir zur Schule gingen, waren nicht die guten Noten daran Schuld, dass wir nicht mit den Strebermädchen spielen wollten. Nicht die Einser stießen uns an ihnen ab. Dass wir die nicht mochten, lag auch nicht daran, dass wir Angst hatten, nicht genau so gute Noten zu schreiben. Sondern, dass keiner Angeber mit doofen Ansichten mag. Und wenn sie zwischendurch mal ehrlich sind, können Mütter, Lehrer und Jungs das eigentlich auch ganz gut verstehen.

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