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Sexismus und Nötigung im Nachtleben
Liebe Mädchen,
dass ihr im Nachtleben leider oft ziemlich unentspannten Situationen ausgesetzt seid, ist uns bewusst. Abgesehen von der traurigen Gemeinsamkeit, dass es meist "wir Jungs" sind, die diese Situationen hervorrufen, können selbige völlig unterschiedlich sein: Einer versteht eine direkte Absage als Ansporn für weitere Anmachversuche, ein anderer kommt beim Tanzen unerwünschterweise zu nahe, wieder ein anderer belästigt euch auf widerlich direkte Art in Form von Händen oder Beleidigungen unter der Gürtellinie.
Für all diese Situationen, haben wir gelesen, gibt es in Münster nun einen Code, der euch helfen soll: "Ist Luisa hier?" Der Plan: Sprecht ihr diesen Satz gegenüber einem vorab geschulten Barkeeper aus, hilft er euch aus eurer Notlage, bringt euch in einen geschützten Raum und berät mit euch über das weitere Vorgehen. Den Rat dazu erhaltet ihr über Poster auf dem Damentoiletten.
Das klingt erst einmal ziemlich gut. Die Worte der Initiatorin haben uns allerdings etwas stutzig gemacht: Im gerade erwähnten geschützten Raum könntet ihr nämlich entscheiden, ob ihr "die Disco verlassen möchtet", "man ein Taxi ruft" oder eure "Freunde sucht." Oder ob ihr "bleiben möchtet" und wie ihr euch dann "wieder sicherer fühlen" könntet.
Was daran irgendwie schräg klingt: Wäre nicht der naheliegendste Gedanke, den jeweiligen Typen direkt aus dem Laden zu schmeißen? Warum solltet gerade ihr heimfahren müssen? Und, noch weiter gedacht: Wäre es nicht besser, wenn man euch nicht zu Codes wie "Ist Luisa hier?" ermuntern würde, sondern zu einem direkten "Das Arschloch hier belästigt mich und soll bitte rausfliegen"? Oder, wenn man mit seinen gutgemeinten Initiativen eben nicht bei euch, sondern uns ansetzt: Bräuchte es nicht eher eine "Belästige keine Frauen, Depp!"-Plakatinitiative auf Herrentoiletten?
Gut, vielleicht bleibt aber eben immer ein Bodensatz unbelehrbarer männlicher Arschlöcher übrig, Plakate hin oder her. Vielleicht helfen Codes wie "Luisa" auch, nicht direkt zur Eskalation überzugehen, sondern sich erst einmal mit einem neutralen Dritten zu beraten. Und, in den weniger ekligen Fällen: Vielleicht gibt es ja auch belehrbare Männer, die sich in Anwesenheit eines vermittelnden Barkeepers bei euch für ihre misslungenen Anmachversuche entschuldigen können? Vielleicht sind die Situationen und Menschen aber auch viel zu unterschiedlich, um eine einheitliche Lösungsformel für Belästigungen im Nachtleben zu finden.
Ohje, nun sind wir wieder ganz am Anfang und haben euch einen Stapel Mutmaßungen auf den Schreibtisch geknallt. Lasst uns also das Ganze lieber mal auf eine schlichte Frage eindampfen: Findet ihr diese Luisa-Sache sinnvoll?
Eure Jungs
Die Mädchenantwort:
Liebe Jungs,
der Anfang unserer Antwort ist das Ende eurer Frage: Ja, wahrscheinlich sind die Situationen und Menschen viel zu unterschiedlich, um eine einheitliche Lösungsformel für Belästigungen im Nachtleben zu finden. Darum auch ganz gut, dass ihr das Ganze noch mal auf die sehr eindeutige Frage eingedampft habt, ob wir diese Luisa-Sache sinnvoll finden. Darauf würden wir antworten: Ja. Finden wir. Aus verschiedenen Gründen. Und um die der Reihe nach abzuklappern, wollen wir uns an einigen der kleinen Fragen entlang hangeln, die ihr in eurer Vorrede gestellt habt.
1. „Wäre nicht der naheliegendste Gedanke, den jeweiligen Typen direkt aus dem Laden zu schmeißen? Warum solltet gerade ihr heimfahren müssen?“
Gute Frage! Wir finden nämlich eigentlich auch, dass immer der fiese Typ und nicht die von ihm angefieste Frau abhauen soll. Aber erstens sorgt die Begegnung mit einem sehr aufdringlichen fiesen Typ dafür, dass man in 90 Prozent der Fälle keine Lust mehr hat, zu bleiben, sondern bloß noch nach Hause will. Und zweitens beweist der sehr aufdringliche fiese Typ mit seiner Aufdringlichkeit und Fiesheit ja schon, dass er sich nicht von dem abbringen lassen wird, was er vorhat. Vermutlich hat er auch nicht vor, die Bar oder den Club zu verlassen. Und glaubt uns, jede Frau, die zum Barpersonal geht, um sich Hilfe zu suchen, wird dem jeweiligen Typen vorher sowieso schon sehr klar signalisiert oder gesagt haben, dass er sie bitte in Ruhe lassen soll. Jede.
Da ist also Eskalationspotenzial vorhanden. Und wenn eine Frau in einer blöden Situation ist und dann noch eine Eskalation verursacht, in dem sie den Typen rausschmeißen lässt, kann das Ganze für sie noch unangenehmer und belastender werden. Kurz gesagt: Der Typ hätte es verdient, mit Tamtam aus dem Laden gekickt zu werden – die Frau hat es aber nicht unbedingt verdient, daneben zu stehen. Sie hat es verdient, dass es für sie einen sicheren Weg raus aus der Situation gibt. Das steht über allem. Den Typen kann das Bar-Personal danach ja immer noch rauswerfen.
Wäre es nicht besser, wenn man euch nicht zu Codes wie "ist Luisa hier?" ermuntern würde, sondern zu einem direkten "das Arschloch hier belästigt mich und soll bitte rausfliegen"?
Ein Teil der Antwort steckt oben schon mit drin: dass er ein Arschloch ist, wird der Typ schon wissen. Irgendwas ist ja vorgefallen und die Frau wird ihm ihren Unmut darüber sehr sicher mitgeteilt haben. Wenn das aber nicht wirkt und sie sich Hilfe suchen muss, dann kann ein Code wie „Ist Luisa hier?“ sehr nützlich sein. Dabei, den Typen vorm Barkeeper nicht „Arschloch“ nennen oder anderweitig anschwärzen zu müssen, weil es noch unangenehmer werden kann, wenn der Typ das mitkriegt. Es kann sogar unangenehm werden, wenn die Menschen, die rechts und links der Frau an der Bar stehen, das mitkriegen, weil sie sich gleich mal nach dem Typen umdrehen werden. Weil sie auch die Frau anschauen werden, um die Situation einzuschätzen. Meinen die dann sicher nicht böse, das macht jeder so. Es kann aber extrem anstrengend sein, wenn eh schon alles anstrengend ist.
Um das alles zu vermeiden, müsste die Frau also eine subtile, aber nicht zu subtile Formulierung finden. Um den Ernst der Lage deutlich zu machen, müssten da wohl mindestens die Begriffe „Hilfe“ oder „Belästigung“ drin vorkommen, was auch wieder Aufmerksamkeit erregt. Und dann ist es eventuell auch noch sehr spät und sehr laut und der Mensch hinter der Bar versteht erstmal nix und sie muss es noch mal wiederholen oder eine andere Formulierung finden, von der sie glaubt, dass sie besser verdeutlicht, was ihr Problem ist. Eigentlich also die beste Lösung, wenn es einen Code gibt, den sie kennt und von dem sie weiß, dass der Mensch, an den sie sich wendet, ihn auch kennt und darum sofort schalten wird. „Ist Luisa hier?“ könnte, wenn es sich durchsetzt, so etwas Ähnliches sein wie „Herzliches Beileid“ – eine feste Phrase eben, an der man sich in einer unangenehmen Situation, in der einem schnell mal die richtigen Worte fehlen, festhalten kann. Und bei der das Gegenüber versteht, wie sie gemeint ist. Man muss gar nicht darüber nachdenken, die Worte sind einfach da.
Darüber hinaus kann so ein Code bewirken, dass sogar im eigenen Kopf eine kleine Alarmanlage installiert wird. Wenn man auf „Irgendwie ist das hier unangenehm“, „Ist das unangenehm genug, um Hilfe zu suchen?“ oder auch „Das soll aufhören!“ rumdenkt, dauert es unter Umständen sehr lange, bis man etwas unternimmt. Wenn es einen Warn-Begriff wie „Luisa“ gibt, ploppt der einfach auf und man weiß, was zu tun ist. Etwas schiefer Vergleich, aber: Ein bisschen funktioniert das wohl wie ein Safeword beim BDSM. Wenn es einem in den Sinn kommt, weiß man, dass es wirklich genug ist.
Ein besonders schönes und wichtiges Detail der ganzen Luisa-Kampagne ist übrigens der Ort: Die Plakate hängen auf den Damentoiletten. Damentoiletten sind gute Orte für so was. Da hängen oft Poster oder kleben Aufkleber, zum Beispiel mit Notrufnummern oder dem Kontakt zu Hilfsorganisationen, die sich um Opfer sexueller oder häuslicher Gewalt kümmern. Das ist toll und irgendwie auch sehr rührend und beruhigend. Sich die Hände zu waschen und dabei zu lesen „Wenn du ein Problem hast, sind wir für dich da“, das macht ein gutes Gefühl.
Genau dafür ist die Luisa-Kamapagne wohl vor allem erst mal da: fürs gute Gefühl. Die Plakate signalisieren den Mädchen und Frauen: Die Menschen, die diese Bar oder diesen Club betreiben, möchten, dass du dich hier wohl fühlst. Und falls du dich nicht wohl fühlst, sind die Menschen, die hier arbeiten, darauf vorbereitet und helfen dir. Dieses Signal ist so unendlich gut, dass man einfach nichts dagegen sagen kann.
Und apropos Toilette, das führt uns noch zu dieser einen Frage von eurer Seite:
Bräuchte es nicht eher eine "Belästige keine Frauen, Depp!"-Plakatinitiative auf Herrentoiletten?
Ja, eh!
Eure Luisas