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Mädchen, wie viel Gentleman sollen wir noch sein?

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Die Jungsfrage:

Fallen wir also gleich mit der Tür ins Haus: Halten wir euch die jetzt noch auf oder nicht? Und wenn ja: reflexartig immer? Oder nur, wenn wir euch kennen und mögen? Oder hält inzwischen einfach immer der auf, der gerade als erstes die Hand am Griff hat? Also unisex. Gilt damit dieselbe Logik, die wir Männern gegenüber anwenden würden?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Und wo wir jetzt schon mal drinnen sind: Wie ist’s mit dem Koffer und anderen schweren Dingen? Wer trägt die? Wer hebt sie im Zug in die Gepäckablage? Weiterhin wir, weil wir ja ziemlich stark sind? Oder lieber ihr selbst, obwohl ihr ja eigentlich nicht so stark seid? Und noch etwas weiter zurück im Knigge-Kosmos: In den Mantel helfen? Den Stuhl vom Tisch weg und dann wieder ranrücken (das doch nun wirklich nicht mehr, oder?!)?

Wir bewegen uns also auf dem Feld "gute Manieren" – und zwar bei Männern. Galant hat man das früher wohl mal genannt, was man als Mann Frauen gegenüber zu sein hatte. Und wenn man das heute sagt, klingt es erstens seltsam antiquiert nach Schwalbenschwanz-Frack und Zylinder und fühlt sich zweitens etwas paternalistisch an. Ist es ja auch. Wie selbstverständlich den Koffer zu nehmen, das macht ja tatsächlich irgendwie klein und unselbständig. Und das, haben wir gelernt, habt ihr nicht gerne.

Trotzdem sind wir etwas unsicher, ob es nicht doch noch Grautöne gibt bei dem Thema. Deshalb seien ein paar Fragen gestattet, Gnä’ Frau, die unter dieses Überthema fallen: Wie viel Gentleman sollen wir noch sein?

Und: Was heißt Gentleman für euch inzwischen? Wir fragen, weil es schon mit dem Teufel zugehen müsste, wenn wir eure Reaktionen gänzlich falsch deuten. Und wenn wir sie richtig deuten, dann könnt ihr einem gewissen Maß von dem, was man einst als Kavalierstugenden bezeichnete, schon immer noch etwas abgewinnen. Ein bisschen glühen eure Bäckchen nämlich doch, manchmal jedenfalls, wenn wir zuvorkommend sind. Galant. Wenn wir euch den Vortritt lassen (ohne euch die Hand auf den Rücken zu legen dabei). Oder wenn wir gar hin und wieder Blumen mitbringen.

Oder verstehen wir das alles ganz falsch und ihr sagt: „Tür aufhalten?! Da könnt ihr uns ja auch gleich wieder das Wahlrecht entziehen, ihr Sexistenschweine!“

Wüsste ich gerne mal. Küss die Hand,
Jakob

>>> Die Mädchenantwort kommt von nadja-schlueter.



Lieber Jakob,

danke für den Handkuss. War aber ironisch gemeint, oder? Weil Handkuss, das ist ja wie ein Knicks, das macht doch heute keiner mehr. Mit dieser Geste kann man allenfalls noch ein bisschen spielen, aber ernst meinen kann man die nicht mehr.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Das ist vielleicht schon der wichtigste Punkt: Die Gesten eines angeblichen „Gentleman“ haben zwar etwas Höfliches an sich, wirken aber so wahnsinnig antiquiert. Wir verbinden sie mit einer Zeit, in der der Umgang zwischen Männern und Frauen generell noch ein ganz anderer war: die Rollen klarer verteilt, der Mann der Machthaber, die Frau das schmückende Beiwerk. Heute ist es ja im besten Falle so, dass wir uns gegenseitig schmücken, und da sind Reminiszenzen an die alten Zeiten eher fehl am Platz. Wir kriegen dann nämlich ein bisschen Angst, ihr könntet das heimlich immer noch gut finden, dieses, wie du ja richtig sagst, Paternalistische. Wenn du mir jetzt dauernd in den Mantel helfen würdest, dann würde ich glaube ich damit rechnen, dass du auch darauf stehst, wenn die Post an deine Freundin an „Frau Jakob Biazza“ adressiert ist. Brrr.

Aber ich verstehe natürlich dein Problem. Denn: Höflichkeit ist ja per se erst mal was Gutes. Und es ist dann natürlich etwas verwirrend, wenn antiquierte Gesten und höfliche Gesten zusammenfallen, wie zum Beispiel beim Türaufhalten. Dann wollt ihr vielleicht wirklich einfach nur höflich sein, habt aber Angst, wir könnten das als Bevormundung empfinden, weil an der Geste eine Symbolik dranhängt, die wir ablehnen. Darum stelle ich jetzt mal folgende Regel auf: Wenn eine Geste abzüglich ihrer Symbolkraft noch als reine Höflichkeit funktioniert, wenn sie also unisex anwendbar ist, dann nur zu, führt sie aus!

Angewandt auf die von dir gebrachten Beispiele, sähe das in etwa so aus:

Tür aufhalten: Klar! Immer der (oder die!), der (oder die!) zuerst an der Tür ist, hält sie auf. Wenn du das bist, hältst du sie auf, wenn ich das bin, halte ich sie auf. Das macht man nämlich, weil es einfacher ist, als sich die Klinke nacheinander in die Hand zu geben, und damit niemandem die Tür vor der Nase zu- oder sogar auf die Nase draufschlägt.

In den Mantel helfen: Nein. Gehört zu den sehr antiquierten Gesten und funktioniert nicht unisex ohne, dass es komisch wirkt. Ich habe noch nie eine Frau gesehen, die einem Mann in den Mantel geholfen hat. Okay, vielleicht könnten wir versuchen, das durchzusetzen, aber mal ehrlich: Ist doch auch bescheuert. In die Jacke hilft man Kindern, die sie sonst falschrum anziehen, Senioren, die sich nicht mehr so gut bewegen können, und vielleicht noch jemandem, der gerade beide Arme im Gips hat. Ansonsten ist das eine überflüssige Geste, die am Ende nur dafür sorgt, dass jemand zu viele Mäntel überm Arm hat und sich alle im Weg rumstehen. Ist also null höflich, sondern bloß krampfig.

Stuhl vom Tisch rücken: Äh, nein. Wirkt sehr bevormundend, bringt das entspannte „Wir sind hier alle zusammen und setzen uns jetzt mal hin“-Prozedere durcheinander und hat das gleiche Geht-nicht-unisex-Problem wie die Mantelsituation.

Koffer tragen oder in die Gepäckablage heben: Oh, ein Grenzfall! Ich bin ja eine Vertreterin der „Pack deinen Koffer niemals schwerer als du tragen kannst“-Devise. Ich mag es auch nicht so besonders, wenn man ihn mir abnimmt, darüber musste ich sogar schon mal streiten. Denn: Es kann bevormundend wirken. Aber: Es kann auch rein höflich sein, wenn der andere physisch nun mal tatsächlich stärker ist, es ihm also weniger Probleme macht, den Koffer zu tragen oder zu heben als mir. Superhöfliche Lösung: einfach nachfragen. Und wenn die Antwort „Nein“ lautet, dann bitte nicht drauf bestehen.

Vortritt lassen: Wenn du als erster an der Tür bist: ja (s.o.). Sonst: nein. Den Vortritt lassen ist was für Leute, die auch „Alter vor Schönheit“ sagen.

Blumen mitbringen: Ernsthaft, Jakob, jemandem etwas mitzubringen hat nichts mit Gentleman-Galanterie und Höflichkeit zu tun, auch nichts mit Bevormundung und Paternalismus – sondern mit Aufmerksamkeit. Es ist einfach schön. Und schön funktioniert besser als alles andere auf der Welt total unisex!

So, und nachdem das geklärt wäre, können wir ja noch ganz kurz über den Begriff „Gentleman“ an sich nachdenken. Vielleicht muss der gar nicht unbedingt was mit „Frauen so oder so behandeln“ zu tun haben. Vielleicht kann er einfach so etwas Gutes bedeuten. Im „Urban Dictionary“ zum Beispiel steht dazu:
„A man of calm demeanor, strong preserve, intellectual thinking, polite yet meaningful speak and a good upbringing.“

Klingt eigentlich bloß nach einem höflichen, gut geratenen Menschen. Von Frauen und In-den-Mantel-helfen steht da nix. 

Dafür aber tollerweise noch das hier: „A fighter for the cause of right with words, not guns.“

Text: jakob-biazza - Illustrationen: katharina-bitzl

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