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Mädchen, wie streitet ihr untereinander?

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Es gibt Sätze, die einen sehr langen Anlauf nehmen, bevor sie herauskommen. Eine Vorgeschichte hat sie geformt. Zugespitzt. Auf ihre radikale Essenz verdichtet. Man sollte das mitdenken, wenn man sie hört. „Wenn die Schlampe hier noch mal auftaucht, haue ich ihr eins in die Fresse", ist wohl so ein Satz. Er fiel auf einer Party. Und ich habe ihn von einer Frau gehört, die ich als besonnen beschreiben würde. Als umgänglich in einem sehr souveränen Sinn. Die Schlampe ist eine gute Freundin von ihr. Oder war. Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Und da geht es auch schon los: Wir betreten nämlich jetzt ein Feld, das für uns Jungs meistens Sperrzone ist. Vermintes Gebiet auch: den Mädchenstreit.

Ich glaube, dass ihr miteinander anders streitet als wir. Aber es fällt mir schon schwer, auf dieses „anders" den Finger genau zu legen. Weil wir selten dabei sind, wenn es passiert. Und noch seltener, während es sich anbahnt. Dazu aber gleich mehr. Ich würde sagen, das ist aber ein empirisch nur schwach unterfüttertes Gefühl, dass ein Streit bei euch oft sehr viel radikaler ausfällt: heftiger, länger, grundsätzlicher – wenn er denn ausbricht. Denn das wiederum – noch so ein eher indifferentes Gefühl – passiert seltener als bei uns. Was ich sagen will: Eskalation scheint mir bei euch eher die Ausnahme zu sein. Aber wenn sie mal da ist, dann macht ihr keine Gefangenen mehr.

Ich bin mir sehr sicher, und schaudere etwas bei der Vorstellung, dass die Frau von oben ihren Worten tatsächlich Taten hätte folgen lassen. Sie hätte ihrer Freundin eins in die Fresse gehauen. Und ich glaube einschätzen zu können, dass wir da am Ende eines sehr langen Weges standen, der an einer sehr unscheinbaren Gabelung abging. Es gibt bestimmt eine (sozial)psychologische Theorie, die die menschliche Aggression mit einem Gefäß vergleicht, das irgendwann voll ist und überläuft. Manchmal habe ich das Gefühl, bei euch steht dieses System auch noch unter hohem Druck. Es ist lange unter Kontrolle. Aber etwas gärt. Dann brodelt was. Der Druck steigt. Bis: Kawumms! Und Kawumms meint alles: Schreien, Tränen, Tiefschläge (verbal vielleicht aber sogar buchstäblich) und Grundsatzthemen. Vor allem Grundsatzthemen.

„Und das verstehe ich nicht", würde hier jetzt sonst stehen. Aber in diesem Fall geht es noch weiter: Mir fehlt schon die grundsätzliche Einsicht, aus der heraus ich eine wirklich gezielte Frage stellen könnte. Etwas wie: Mädchen, warum streitet ihr immer so krass? Wieso fällt es euch so schwer (schwerer als uns?), euch zu versöhnen? Fällt es euch überhaupt schwer, oder bilde ich mir das nur ein?

Bediene ich schon ein sexistisches Klischee, wenn ich frage, ob ihr Nerviges, Verletzendes, Respektlosigkeiten und Kränkungen sehr lange herunterschluckt und duldet, bevor die Wut umso heftiger aus euch herausbricht? Es fühlt sich etwas an, wie ein Problem im Internet zu recherchieren, ohne zu wissen, wonach genau man googeln soll. Denn wie gesagt: Wir erleben die Vorgeschichte eigentlich nie. Höchstens das letzte Kapitel. Was ich also eigentlich sagen will: Mädchen, erklärt uns mal eure Streitkultur. Gewährt uns einen Einblick. Weil, irgendwas ist da doch anders als bei uns. Oder?



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Eigentlich habe ich ein Problem damit, wenn du sagst „Hey Mädchen, ihr streitet ja immer so krass". Weil ich das nämlich überhaupt nicht tue. Im Gegenteil: Ich bin eine krampfhafte Streits-mit-Freundinnen-Vermeiderin. Ich kann zwar meinem Freund, meinen Eltern und meinen Geschwistern gegenüber so markerschütternd ausfallend werden, dass ich dabei nicht nur kurz vorm Herzinfarkt stehe, sondern im Nachhinein auch ernsthaft an meiner Vernunft und meinen Nerven zweifeln muss. Aber wenn es um Unstimmigkeiten unter Freundinnen geht, werde ich unterwürfig und kleinlaut. Und genau deshalb ist deine Frage so richtig, deshalb macht sie mich auch so ratlos und ein bisschen wütend und traurig: Weil sie irgendwo reinzielt, wo ich gar nicht so genau hingucken will.

Wie gesagt: Ich fürchte echte Streits mit Freundinnen. Ich fürchte sie in etwa so sehr, wie ich es fürchte, dass jemand meine geheimsten Tagebucheinträge liest oder meinen privatesten Mailverkehr abdruckt. Und das sind keine zufälligen Vergleiche, sondern davor habe ich wirklich Angst. Dass wildgewordene Freundinnen plötzlich jede Moral vergessen und nicht nur ausplaudern, was ich ihnen einst im Vertrauen erzählte, sondern auch Witze über all meine Geheimnisse, Schwächen, Peinlichkeiten reißen.

Was ich jetzt schreibe, nervt mich. Denn es ist ein Klischee und ich hasse Klischees und ich glaube, dass man Klischees immer umschiffen kann, wenn man versucht, genau hinzuschauen. Aber: Die meisten von uns sind eben emotionaler, feiger und scheinheiliger als die meisten von euch. Unsere sensiblen Seelchen grübeln und quatschen und mutmaßen viel mehr als eure und in der Wirrnis von unterdrückter Aggression, Gefallsucht und verletztem Stolz werden wir viel schneller zu beleidigten Schmollwürstchen als ihr.

Ich hätte wirklich gern eine originellere Antwort. Aber was soll ich denn sagen? Ich mache mir ständig streitprophylaktische Sorgen. Ich grübele ewig darüber nach, ob gerade irgendjemand meiner Freundinnen aus irgendwelchen Gründen sauer auf mich sein könnte. Weil ich mich zu selten melde, manchmal spontan absage oder lang geplante Verabredungen mal eben verschiebe. Ich verwandle mich dieser Person gegenüber dann in ein hypergewittersensibles Insekt und versuche über Kilometer hinweg nachzuspüren, ob da irgendetwas brodeln könnte. Bin vorsorglich liebend, versuche Witzchen zu machen oder Komplimente. Weil ich Angst habe vor einer Explosion, wie du sie beschreibst. Davor, dass mich jemand Schlampe nennen könnte. Verfluchen. Anschreien.

Ich fürchte Freundinnenstreits, weil ich weiß, wie ekelhaft sie sein können. Dass ich es wirklich weiß, ist vielleicht übertrieben, denn Tatsache ist, dass ich einen richtigen Zickenkrieg noch nie einem am eigenen Leib erlebt habe. Aber ich bin schon so oft Zeugin davon geworden, dass ich weiß: Sie könnten mein verletzliches Wesen restlos ruinieren und mir ein lebenslanges Trauma bereiten. Vielleicht, weil ich schon zu oft die Erfahrung gemacht habe, dass ein Mädchen einem anderen Mädchen den Tod an den Hals gewünscht hat und ebensolche Drohungen ausgesprochen hat, wie du sie zitierst, mit dem auf die Fressehauen. Und dann betritt dieses eben noch verfluchte Mädchen fünf Minuten später den Raum und die krakeelende Wutbrumme neben mir wird plötzlich zur Säuselblume. Beziehungsweise, Variante zwei: Sie ignoriert sie in einer unerträglichen und ebenso feigen Eiseskälte. Nur eines tut sie eben nicht: Das, was angemessen, ehrlich, mutig wäre. Sie zur Rede stellen. Wenn sie sie immerhin dann auch wirklich verprügeln würde, das wäre zwar strunzdumm und würde das Problem nicht lösen, aber es wäre zumindest weniger angsteinflößend als das Scheinheilige.

Und dann wird aus dieser Mädchenstreitsache eben ein ewiger Teufelskreis: Aus angestauter Wut wird Hass und aus dem hinter einem fremden Rücken geäußerten Hass wird wiederum Angst vor diesem Hass und daraus wird wieder angestaute Wut.

martina-holzapfl

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