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Mädchen, wie bewaffnet seid ihr?

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Die Jungsfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Vor zwei Tagen wurde auf der ganzen Welt demonstriert, gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Nachdem wir in der Redaktion darüber gesprochen hatten, machte ein Link die Runde durch die Email-Postfächer der jetzt.de-Redaktion. Die Seite „Wicked Clothes" verkauft einen Schlüsselanhänger in Form eines Katzenkopfes. Sieht ganz niedlich aus, das Teil, wie es da so gelb oder rosafarben daher kommt und unschuldig dreinblickt aus seinen großen Katzenaugen. Aber: In diese Katzenaugen lassen sich auch perfekt Zeige- und Mittelfinger stecken, man hat den Anhänger dann so in der Hand, dass die zwei Katzenöhrchen von der Faust weg nach vorne zeigen und plötzlich gar keine Katzenöhrchen mehr sind, sondern spitze Angriffswaffen.

Der hübsche Schlüsselanhänger wird zum Instrument der Selbstverteidigung. Die weiblichen Teile der Redaktion waren interessiert bis begeistert davon. Wir Jungs hingegen waren etwas verdutzt. Wir haben nie einen Gedanken daran verschwendet, uns selbst verteidigen zu müssen. Wir tragen im Alltag keine Waffen. Klar, wenn wir 12 sind, wollen wir alle eine Soft-Air-Pistole, und die Verwegenen unter uns haben in der sechsten Klasse verbotenerweise ein Butterfly-Messer mit in die Schule gebracht und in der vom Lehrer nicht einsehbaren Ecke des Schulhofs vorgeführt, wie behände und variantenreich sie es auf- und zuklappen können. Aber dann verfliegt diese Faszination irgendwann, die Wurfsterne und Butterflys verschwinden in einer Kinderzimmerschublade.

Ihr hingegen scheint in dem Alter, in dem wir uns von Waffen verabschieden, zu beginnen, euch dafür zu interessieren. Nicht freiwillig natürlich, sondern zwangsweise. Wegen all der Männer, die ihre Triebe nicht unter Kontrolle haben, euch eventuell auf dem Heimweg auflauern oder ein Nein einfach nicht verstehen (wollen). Irgendwann mit 15 oder 16, wenn ihr auf die Partys im Nachbarort oder in die Stadt wollt, nehmt ihr also zum ersten Mal ein Pfefferspray mit.

Aber wie geht es dann weiter? Wie entwickelt sich euer Verhältnis zur Selbstverteidigung? Gibt es da bestimmte Phasen? Seid ihr als 18-Jährige vorsichtiger als mit Mitte 20? Habt ihr immer ein Pfefferspray dabei? Haltet ihr es in der Tasche fest mit der Hand umschlossen, wenn ihr nachts von der U-Bahn nach Hause geht? Oder liegt es meistens zu Hause und wird nur mitgenommen, wenn euch so schlimme Nachrichten von Vergewaltigungen wie denen kürzlich in Mexiko erreichen. Tragt ihr noch weitere Gegenstände bei euch, mit denen ihr Angreifer abwehren könnt?

Und wie ist das eigentlich mit den Selbstverteidigungskursen? Manchmal hat es den Anschein, als würde jede von euch früher oder später in ihrem Leben mal einen belegen? Fühlt ihr euch danach sicherer? Und verfliegt das Sicherheitsgefühl wieder, weil ihr vergesst, was ihr gelernt habt, so wie wir zwei Jahre nach unserem Erste-Hilfe-Kurs auch nicht mehr wissen, wie die stabile Seitenlage geht?


Die Mädchenantwort von martina-holzapfl

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Puh, ein Thema, aus dem wir nicht ohne mächtig schlechtes Gewissen wieder herauskommen werden. Aber gut, fangen wir an, am besten mit dem Katzenschlüsselanhänger: Ist absolut außer Konkurrenz unser neuer Lieblings-Nonfoodartikel, schon allein weil er einen so tollen Mickey-Maus-Heft-Geheimwaffen-Charakter hat. Leider jedoch auch, weil da ansonsten nämlich nicht so viel los ist in unserem Handtaschenwaffenschrank und mit der Fünf-Sterne-Selbstverteidigungskompetenz.

Das soll natürlich nicht heißen, dass wir nicht total viel "Awareness" auf diesem Gebiet anerzogen bekommen haben. Schon in der Grundschule fuhren unsere Eltern uns regelmäßig zu irgendwelchen Notwehrkursen. Aber ehrlich gesagt war das damals schon eine ziemlich fade und realitätsferne Angelegenheit: Mit unseren Kumpelinen mussten wir bestimmte Notübungen auftanzen, die letztlich nur vage Theorie blieben. Denn testweise einfach mal volle Pulle durchziehen ging natürlich nicht. Wie sollte es uns da denn bitteschön machbar erscheinen, eines Tages den großen, düsteren Vergewaltiger zu erledigen? Auch wenn uns diese Kurse natürlich mit einer Menge Vorsicht (und einer Heidenangst) versahen: Ganz sicher waren wir nie, ob wir im Ernstfall nicht viel eher vor Schreck tot umfallen würden, anstatt geistesgegenwärtig unsere Moves aus der Turnhalle rauszuholen.

Einige von uns hatten später, du hast es ja schon angesprochen, dann noch diese Phase mit dem Pfefferspray oder dem Messer in der Handtasche. Viele tragen sowas vielleicht bis heute mit sich herum, mehr als „gut fürs Gefühl" sind diese Dinge aber nicht. Sollte wirklich mal etwas passieren, bleiben wohl kaum Zeit und Muße, das Zeug aus der Tasche zu kramen und auch noch eine erfolgreiche Attacke damit zu starten. Genau das wurde uns im Zuge unserer steten Selbstverteidigungsaufklärung nämlich auch eingetrichtert: Waffen und Pfeffersprays machten einen eventuellen Angriff höchstens noch gefährlicher, weil der Täter sie uns aus der Hand reißen und gegen uns verwenden könnte. Letztlich steht also hinter der Mitnahme irgendwelcher Waffen oder Pfeffersprays nur eine einzige Hoffnung: Dass es mit ihnen wie mit Tampons oder Regenschirmen ist. Hat man sie dabei, braucht man sie nicht.

Du siehst: Es ist kompliziert. Es gibt keine hundertprozentige Möglichkeit, vor einem Übergriff gewappnet zu sein, wenn wir gar nicht wissen, wer uns überfallen könnte, wo genau, wie wir dann gerade drauf sind und was wir weiterhin zu unserer Rettung bräuchten. Die meisten von uns lassen es deshalb gleich bleiben, ihre Handtasche mit solcherlei Notwehrkrimskrams unnötig zu beschweren. Natürlich fürchten wir uns weiterhin vor eventuellen Angriffen, wenn wir dunkle Ecken beschleichen. Aber letztlich tun wir dagegen nichts außer vielleicht halbbescheuerter Spontanprävention: Wir versuchen uns Mut einzureden und darauf zu vertrauen, dass schon nichts passieren wird, dass es noch viel gefährlichere Städte gibt und dass schon nicht genau hier und jetzt und heute einer schon die ganze Nacht hinterm Baum lauert und genau auf UNS wartet.

Manchmal telefonieren wir beim Durchqueren blöder Ecken oder aktivieren beim iPhone den FriendFinder und schicken eine Nachricht mit: „Wenn ich in einer Viertelstunde nicht wieder angerufen habe, such mich!!!!!!" Manchmal versuchen wir uns auch an die Moves aus der Turnhalle zu erinnern. Klappt leider tatsächlich so gut wie das mit dem Erste-Hilfe-Kurs: Gar nicht. Sollten wir wohl mal auffrischen, ja ja, sollten wir. Sollten wir wirklich. Also, wenn wir mal wieder Zeit haben. Bis dahin muss es unser Hoffen und unser Mut richten, unser iPhone, unsere schnellen Beine, unsere giftigen Flüche und Drohungen und vielleicht auch unsere harte Faust und unser zackiges Knie, die können nämlich einiges und unter Adrenalin hoffentlich noch mehr.

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