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Mädchen, warum rasiert ihr euch noch?
Liebe Mädchen,
eben noch mal nachgesehen, um ganz sicher zu sein: riesiger Trend! Immer noch. Sagen alle. Die Cosmo sagt’s. Die Brigitte sagt’s. Die Gala sagt’s. manrepeller.com diskutiert’s zumindest, und das Stil-Ressort von Spiegel Online, das hat sich sogar extra einen schmissigen Einstieg ins Thema überlegt. Der geht so: "Die Achselhaare von Miley Cyrus sehen zart aus, die von Madonna sind zahlreich und borstig."
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Borstige Madonna also. Zarte Miley. Fedrige Jemima Kirke. Überall jedenfalls jetzt Achselhaare. Verschärfte Variante: grell gefärbte Achselhaare. Je nach Portal steht dazu was von Freiheit, Protest, Provokation oder schon wieder Mitläufertum. Das wären also die Medien.
Wenn wir uns jetzt aber umschauen, sehen wir: eben keine Haare. Nicht unter Achseln, nicht auf Beinen, nicht auf Bäuchen. Bei euch sprießt und wuchert und wächst es weder borstig noch zart. Ihr ignoriert den Trend offenbar. Und ich wollte eigentlich schon ein anbiederndes "Stay true to yourself, Sistas!" mit High-Five-Verbrüderungshabitus dafür herausblöken. Mit eher dünner aber dafür inbrünstiger Empirie würde ich nämlich sagen: Finden wir gut. Der Großteil von uns jedenfalls. Weil's um uns aber ja eher nicht geht dabei (oder doch?), doch mal ganz direkt gefragt: Warum keine Haare?
Traut ihr euch nicht? Gefällt’s euch nicht? Habt ihr den Startschuss verpennt und wollt jetzt auch nicht mehr nachziehen? Habt ihr’s, um zu einer Haltung zu finden, mal heimlich ausprobiert? Und wie war das? Oder lieber sogar noch eine Nummer größer: Was sind Haare überhaupt für euch? Natürlich? Egal? Eklig? Schön? Protestmittel um des Protests willen? Oder Ausdruck eines Kampfes, für etwas, das ihr euch wirklich wünscht? Und welche Rolle spielen wir bei alldem eigentlich?
Mal bitte Licht ins Dickicht bringen,
Eure Jungs
>>>Die Mädchenantwort von martina-holzapfl<<<
Liebe Jungs,
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
heissa! Smarte Beobachtung. Stimmt, wir machen das nicht. Mit dem Haareeinfachstehenlassen. Auch wenn es alle lauthals als Trend verkünden. Aber der Mainstream folgt einfach nicht. Nicht konsequent. Auch wenn wir in Jemima Kirke verknallt sind und so. Natürlich: Wir haben uns total an gelegentliche Fotos cooler Bräute mit Achselhaaren gewöhnt. Erst recht, wenn die Trägerin ansonsten ein sehr schöner und gepflegter Mensch ist und man sieht, dass das nicht etwa Verwahrlosung, sondern echter Style ist. Und auch an einer etwas ausgeprägteren Untenrumbehaarung gibt’s nicht mehr viel strange zu finden, die Zeiten sind ja schon länger vorbei. Komplettwachsung oder dieser komische Brazil-Landebahnstreifen sind sehr selten geworden, Saunabesuche mit Freundinnen beweisen das.
Woran man aber leider doch immer noch sehr deutlich sieht, dass die Sache mit weiblicher Körperbehaarung null durchgefochten und selbstverständlich ist, ist zum Beispiel das Thema behaarte Beine (nachfolgend wären dann noch zu nennen: Gesichtsbehaarung, Fußbehaarung und alle anderen Formen rätselhafter Inselbehaarungen). Traurig, aber wahr. Dazu folgende schockierende Anekdote aus meinem höchsteigenen Leben:
So wie ein Jahr lang keine Zähne putzen?
Ich neulich so Instagram durchgescrollt. Mal geguckt, was eine alte Freundin aus Neuseeland so treibt. Die ist Künstlerin, Illustratorin und an sich 'ne ziemlich coole, sweete Socke. Ich schau mir also ihren Instagramfeed an: Fotos von unordentlichen Atelierräumen, Zeichnungen, lustigen T-Shirts, pastellfarbenem Himmel, hippen Limos mit schönen Strohhalmen. Und dann, bäm: superbehaarte Männerbeine! In ihren bunten Sneakers! Ihre Hände sind irgendwie auch mit auf dem Bild, mit türkisem Nagellack, neben den schwarzhaarigen, sich im Schneidersitz befindenden Waden liegt eine ihrer Zeichnungen. Hä? Irgendwas passte da nicht. Irgendwas war höchstverstörend. Weil das eben keine Männerbeine waren, sondern ihre eigenen Frauenbeine. Nur eben mit der Behaarung eines Mannes drauf. Ihr versteht, was ich sagen will: Das war nicht nur so ein bisschen nachlässiger Längernichtrasiertmodus. Das war so richtig volle Kanne. Das kann nur der bewusst wucherngelassene Haarwuchs von.... tja, ich weiß nicht – zwei Jahren sein?Schlimm, oder: Ich weiß nicht mal, wie lange das dauern würde, bis man so was an den Beinen hätte! Weil ich noch nie in meinem ganzen langen Leben länger als einen Monat die Beinen nicht rasiert habe! Ist das nicht eigentlich schon ein total gestörtes Körperverhältnis? Wenn man nicht weiß, wie die eigenen Beinhaare aussehen würden, wenn man sie mal kommen ließe? Andererseits: Man weiß ja auch für gewöhnlich nicht, was passiert, wenn man mal ein Jahr keine Zähne putzt. Einige Sachen müssen eben nicht sein. Aber natürlich ist das ein schwachsinniger Vergleich, denn vom Haarewachsenlassen wird man nicht krank, vom Zahnputzboykott vermutlich schon.
Gut, also weiter im Text. Ich also so triple-schockiert: Schock über das verstörende Bild. Schock darüber, dass mein angepasstes Hirn sich von dem Anblick eines ganz natürlichen haarigen Frauenbeins verstören lässt. Schock darüber, dass mir klar wird, dass ich noch nie solche Beine hatte und es mich auch jetzt nicht ausprobieren trauen würde.
Die Stimme in meinem Kopf dann natürlich gleich so: "Du solltest das gut finden. Das ist mutig und lässig. Die zieht das einfach durch. Solche Frauen braucht's." Kurze Pause, kurzes inneres Drucksen. Dann: "Aber das sieht schrecklich aus! Verstörend! Affenmenschmäßig! Unsexy like hell! Kacke! Unfein! Hundert Prozent unelegant! Abtörner!"
Tja. Die nächsten Gefühle gingen dann so in die Richtung verwirrende, vergrübelte Aggressionen. Darüber, dass ich doch fester und tiefer in dieser Mann-Frau-Sehgewohnheits-Ästhetik-Sache drinstecke, als mir lieb ist. Denn nein, ich würde mir meine Haare nicht so stehen lassen. Ich finde es nicht schön, basta, ich hätte Angst, dass man mich asexualisiert, will sagen: In die geschlechtslose Nerd-Ecke stellt. Würde ich bei einer Haarfrau jedenfalls so machen. Hab ich bei meiner coole Art-Freundin aus Neuseeland ja auch so gemacht. Das ging ganz schnell und unbewusst, da würde ich noch nicht mal von einer freien Entscheidung sprechen. Da kann mir das heißeste, coolste, stilgebendste Chick des Jahrhunderts ankommen – zieht die ihr Hosenbein hoch und da wuchert ein Affenfell, dann: Oh fuck! Bleibt kein Funken "Love your style" mehr bei mir übrig. Vielleicht ein "Love your Mut, komische Frau", aber bestimmt kein Girl-Crush-mäßiges "Love your style".
Denn, noch so eine deprimierende Selbstbeobachtung: Wenn ich selbst mal ein paar Wochen vergesse, meine Beine zu rasieren, dann hab ich schon immer ein bisschen Angst, dass das jemandem auffällt und der mich dann eklig findet. Ja, richtig gehört, DER: Vor Frauen hätte ich diese Scham nicht. In einer Frauenrunde würd ich von meinem Bein aufgucken und rübergrinsen und sagen: "Ups, schon wieder länger nicht rasiert." Das fände keine Frau in der Runde eklig. Sondern megasympathisch. Eine würde sagen: "Haha, bei mir auch, guck mal." Man würde Haarlänge vergleichen und lachen. Und dann würden wir rülpsen und über irgendwelche Körpernachlässigkeiten witzeln.
Es geht bei dieser Sache mit der Körperbehaarung mehr um unsere Wirkung bei euch Jungs, als uns lieb ist. Kann man schon einfach mal so sagen. Vor euch wäre es uns peinlich, behaart aufzutreten. Weil wir zu wissen glauben, dass ihr behaarte Mädchen verstörend findet. Und auch wenn du jetzt schön brav vorsichtig warst in deiner Fragestellung: Rauszulesen, dass ihr das tatsächlich tut, ist es.
Tja. Deprimierend, aber Körperbehaarung bei Frauen, das ist immer noch ein Tabuthema. Da steht noch eine große Revolution an. Eine richtig, richtig große Revolution.
Text: jakob-biazza - Illustration: dirk-schmidt; Cover: photocase/AlexAlex