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Mädchen, warum habt ihr solche Angst vor der Schere?

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Die Jungsfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


In manchen Ländern Südamerikas gibt es nicht nur Drogenkartelle, sondern auch eine Haarmafia. Ja, richtig: Haarmafia. Die Nachfrage nach Echthaarperücken und Haar-Extensions ist so groß, dass sie mit Haaren, die Frauen freiwillig abgeben oder verkaufen, nicht befriedigt werden kann. Die Folge: Die Preise schnellen nach oben – und zum Teil brutale Diebe rauben Frauen und Mädchen ihre Haare bei Überfällen in Einkaufszentren oder auf offener Straße.  

Als ich diese Geschichte in einer teils männlich, teils weiblich besetzten Gruppe erzählte, erntete ich unterschiedliche Reaktionen. Bei uns Jungs: schon ein bisschen ungläubiges Kopfschütteln, ja hoppla, is ja’n Ding, was es nicht alles gibt, krass,... Bei euch: Blankes Entsetzen. Als hätte ich von Organraub mit rostigen Skalpellen und ohne Narkose erzählt.  

Euer Verhältnis zu langen Haaren ist für uns schwer nachvollziehbar. Natürlich, man möchte nicht von einem Fremden mit einer Schere attackiert werden. Aber euer Entsetzen, so scheint mir, hat mit der reinen Überfallsituation gar nicht viel zu tun. Es geht um die Haare selbst. Warum sonst sollte es in jeder Staffel „Germany’s Next Topmodel“ eine Folge geben, in der „die Mädchen“ alle zum Friseur geschickt werden, wo sie dann hoffen, bangen, heulen und zicken, wenn der Mann mit der Schere ihnen an die Mähne will? Und warum sonst dauern Entscheidungen für Kurzhaarfrisuren bei Mädchen umso länger, je mehr Haar fallen soll?  

Uns kommt das alles ein wenig übertrieben vor. Haare ab, das scheint für euch das zu sein, was für uns der Tritt in die Hoden ist. Nur dass der halt echt phänomenal weh tut, was man vom Haareschneiden nicht behaupten kann. Woran liegt das also? Warum dieser Trennungsschmerz, diese Verlustangst? Wächst doch nach! Definiert ihr emanzipierte Wesen euch wirklich immer noch so sehr über solch veraltete Weiblichkeitssymbole? Oder gibts da noch andere, tiefere Gründe? Mädchen, erklärt uns mal euer Haarproblem!


Die Mädchenantwort von kathrin-hollmer:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Danke für das Bild mit dem Organraub, so in etwa hat sich für mich als Kind Haareschneiden angefühlt, zumindest in meiner Erinnerung. Ich weiß noch, wie stolz ich war, als meine Stopsellocken endlich bis zum Kinn gingen und irgendwann bis zu den Schultern. Recht viel länger sind sie nur selten geworden, dafür sorgte meine Mutter. Friseurbesuche sahen bei mir als Kind immer so aus: Statt der versprochenen (!) 2,5 Zentimeter schnitt der Friseur meistens doch mindestens fünf ab. „Da werden die Haare kräftiger“, lautete die Besänftigung, und wenn die nicht half, kam der Standardsatz, der im Friseur-Handbuch bestimmt im ersten Kapitel gelehrt wird: „Die wachsen ja wieder.“  

Warum ich so an diesen 2,5 Zentimetern hing, liegt natürlich an der unangenehmen Gewissheit, verarscht worden zu sein. Seit ich selbst zum Friseur gehe, habe ich kein Problem mehr damit, wenn um meinen Stuhl herum der Teppich aus meinen Locken immer dichter wird. Es ist sogar ein gutes Gefühl (wer Naturlocken hat und auch beim Durchkämmen nach dem Waschen regelmäßig verzweifelt, weiß, was ich meine).

Ich weiß, ich bin da eine Ausnahme, und ich kann mir nicht wirklich erklären, warum die coolsten Mädchen hysterisch werden, wenn es um ihre langen Haare und vor allem die Möglichkeit sie zu kürzen geht. Ich versuche es trotzdem.

Man muss natürlich unterscheiden, ob man sich freiwillig von seinen Haaren trennt oder getrennt wird. Die haarbestohlenen Frauen in Südamerika und „die Mädchen“ bei „Germany’s Next Topmodel“ fallen für mich fast in eine Kategorie. Auch wenn Letztere nach 200 Staffeln eigentlich wissen, dass früher oder später die Umstyling-Episode kommt, und dann trotzdem heulen, wenn ihnen der Friseur mit der Schere zu nahe kommt. Keinen Einfluss darauf zu haben, wie man in der nächsten Zeit optisch herumläuft, ist nie schön.

Die anderen, die sich ihre Haare größtenteils freiwillig so schneiden lassen, wie sie wollen, fühlen wohl so etwas wie Trennungsschmerz, einfach, weil man an allem hängt, das man liebevoll aufgezogen und gepflegt hat, ob das nun ein Tomatenstöckchen ist oder das lange Haar, an dem man monate-, vielleicht jahrelang mit Spülungen und Wunderbürsten herumdoktert. Abgesehen von der Verlustangst sind da auch relativ pragmatische Überlegungen: Mit langen Haaren kann man Flecht- und Was-weiß-ich-noch-für-welche-Frisuren machen, mit kurzen geht das nicht so gut. Ja, die Haare wachsen wieder. Aber sehr langsam. 0,3 bis 0,5 Millimeter am Tag, um genau zu sein. Und vielleicht bereut man seine Entscheidung für die Kurzhaarfrisur ja doch, und dann kann man sie nicht mehr rückgängig machen. Das kann ich alles nachvollziehen, auch wenn es mir damit nicht so geht. Was ich nicht verstehe, ist der letzte Grund für die Angst vor der Schere, der mir eingefallen ist: dass viele das Gefühl haben, sie müssten an ihren langen Haaren hängen, weil ihnen das so vorgelebt wird.

In Internetforen wie Langhaarnetzwerk (Unterzeile: Wir sagen „ja“ zu langem Haar.) diskutieren Frauen, wie sie ihre oberschenkellangen Haare mit Spülungen aus Eiern, Aloe Vera und Honig noch länger züchten. In der Werbung werden Tabletten angepriesen, mit denen die Haare angeblich schneller wachsen. Wenn man „Germany’s Next Topmodel“ sieht, bekommt man dein Eindruck, Haareschneiden ist mit physischen Schmerzen verbunden. Und umgekehrt, und da beginnt mein Problem: Wer nicht an seinen langen Haaren hängt, dem wird entweder unterstellt, dass er gerade mindestens eine schwere Krise durchlebt, vielleicht auch einfach nicht ganz richtig im Kopf ist.
 
Ein Beispiel: Ich bin beim Friseur und möchte meine Haare gern wieder knapp schulterlang geschnitten haben, dafür müssen ungefähr sieben, vielleicht acht Zentimeter weg. Die Szene beginnt, nachdem wir schon ein paar Minuten diskutieren.

Friseur: „Bist du sicher?“
Ich: „Ja.“
Friseur: „Bist du wirklich ganz sicher?“
Ich: „Ja.“
Friseur: „Echt? Aber das ist schon echt viel, schau mal (nimmt eine Strähne zwischen Zeige- und Mittelfinger)... so viel!“
Ich: „Jaha.“
Friseur: „Überleg dir das gut...“
Ich: „Hab ich, danke.“
Friseur: „Ah, ich verstehe... Du bist frisch getrennt...“  

Ich bin dann aufgestanden, habe meinen Rucksack gepackt und bin gegangen. Und habe überlegt, beim nächsten Mal wieder meine Mutter mitzunehmen.


Text: eric-mauerle - Cover-Foto: iSPOON / photocase.com

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