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Mädchen, wärt ihr manchmal gerne prolliger?
Die Jungsfrage
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Schon die Bildkomposition macht etwas Spaß. Mir jedenfalls. Da liegt also Julian Edelman, Wide Receiver der New England Patriots, laut Wikipedia etwa 90 Kilo schwer (nur Muskeln, kein Fett), hipsterbärtig. Er hat am Abend zuvor mit einem Touchdown die Superbowl für sein Team entschieden. Man könnte ihm also nachsehen, wenn er sich in ein Kleinkoma gesoffen hat.
Und da ist Sabrina. Sabrina wirkt zierlich. Aber weil sie im Bildvordergrund ist, sieht sie größer aus als der Footballspieler – der allerdings wie zur Verdeutlichung der Proportionen eine große Pranke nach vorne reckt. Das Ganze hat also etwas von Trophäen-Präsentation. Vom Kosmos Wladimir Putin: der erlegte Bär und ich. „Just fucked Edelman no lie“ hat Sabrina auf das Bild geschrieben – und es dann getwittert. Stilvoll geht anders.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Aber gelacht haben wir trotzdem, als das Foto vergangene Woche durch unsere Timelines gerauscht ist. Eben gerade, weil es so daneben ist. So prollig. Bei uns ist es mit der Prolligkeit nämlich grob gerastert so: Wir meiden sie privat. Wir versuchen irgendwann, so etwas wie Stil zu bekommen – und den dann auch zu wahren, so weit das eben geht. Aber wir schauen sie gerne an. Wir können uns an ihr erfreuen. Nicht generell. Und eher aus der Ferne. Aber dann eben manchmal auch sehr. Haftbefehl, der "mit seinem Besten rollt", Fußballer-Interviews (Steigerung: Kanye West), Deine-Mudda-Witze: Alles nicht superschön. Aber hie und da schon toll.
Und: bislang fast immer mit Männern. Prollige Frauen hatten eher ein Imageproblem. Wir konnten uns Lady Bitch Ray schon auch mal anschauen. Aber so richtig gezündet hat das noch nicht. Wenigstens gefühlt scheint sich das aber gerade zu ändern. Nicht gesamtgesellschaftlich (Sabrina wurde zumindest in den USA tatsächlich noch massiv als „Schlampe“ verunglimpft), aber zumindest im Kleinen. Ich habe mich zum Beispiel sehr gefreut, als die Kollegin unter dem Betreff „So geht guter Journalismus“ einen Tumblr mit Jax Tellers Arsch herumgeschickt hat. Glaube, dass ich sogar Schwesta Ewa ganz unterhaltsam finden kann.
Was ich mich aber seither frage: Was macht das mit euch? Freut ihr euch, dass ihr vielleicht in absehbarer Zeit auch ein bisschen Rumproleten könnt? Wolltet ihr schon lange gerne mehr auf die Kacke hauen und habt euch das nicht getraut? Weil ihr (wahrscheinlich sogar zu recht) dachtet, dass wir das „billig“ finden könnten? Oder sagt ihr: „Nutte, halts Maul, wir machen schon immer was wir wollen! Aber wir wollen halt nicht prollig, weil das dumm ist“?
>>> Die Mädchenantwort von Nadja Schlüter.
Oh nein, ein schlafender Mensch! Da hast du mich aber auf dem falschen Fuß erwischt. Oder auf dem richtigen. Je nachdem. Zumindest denke ich gleich „Oooch!“, wenn ich Edelman da so liegen sehe, mit einer Schlaffalte auf der Stirn und seiner entspannten Pranke. Und dann „Wie gemein!“, wenn ich bedenke, dass er einfach so fotografiert wurde. Konnte sich doch gar nicht wehren, der Arme.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Und darum lautet meine erste Antwort: Nein, wir wollen nicht prollig sein. Wenn prollig sein bedeutet, wehrlose Schlafende abzulichten und herumzuzeigen.
Aber wenn es eine erste Antwort gibt, muss es auch eine zweite geben, und die ist ein bisschen komplexer. Weil: Insgesamt finden die meisten von uns (und von euch ja sicher auch) Prolligkeit generell nicht so richtig gut. Nicht sexy, nicht tough, sondern halt eins drüber, unsubtil, ein bisschen dumm auch. Aber: Wenn uns jetzt jemand einen prolligen Typen und eine prollige Frau vor die Tür stellen und sagen würde: „Mit wem von den beiden möchtest du einen Eiweißshake trinken?“ – dann würden wir schon die Frau wählen. Weil die noch eins interessanter ist als der Typ. Weil die noch eher Ausnahme ist. Weil die ein lange als total männlich geltendes Gebaren an den Tag legt und mit als weiblich geltenden Features (viel nackte Haut und Haarspray zum Beispiel) vereint.
Das ist irgendwie ganz spannend, das wollen wir beobachten. Und wir haben auch das leise Gefühl, dass Proll-Frauen das auch für uns tun. Und für alle Frauen, die es gegeben hat. Dass sie stellvertretend für alle Frauen, die brav und schmückendes Beiwerk sein mussten, der Welt ordentlich eins aufs Maul geben. Laut sagen: „Vorhang auf, geht zur Seite / Ich stapfe mit Gummistiefeln durch eure Scheiße !“ Oder meinetwegen auch: „Just fucked Edelman, no lie!“
Und aus noch einem Grund würden wir mit der Frau lieber mit einer Portion Special-Fitness Inko Pro Aktive 80 anstoßen als mit dem Mann: Weil wir glauben, dass sich die Proll-Frauen ihrer Prolligkeit viel eher bewusst sind. Eben weil es für sie noch ein einigermaßen neues Charakterfeld ist. So eine Lady Bitch Ray, davon kann man ausgehen, spielt die Karte sehr bewusst. Reflektiert und dadurch auch irgendwie distanziert und ironisch. Als Frau wächst du halt nicht so natürlich in die Prolligkeit rein, da will man dich ja eher von der Prolligkeit wegerziehen. Weibliche Prolls entscheiden sich, Prolls zu sein. Sogar die twitternde Sabrina wird gewusst haben, dass das gerade ein echter Proll-Move ist, sie wird wahrscheinlich sogar gewusst haben, dass Amerika „Schlampe!“ rufen wird – und trotzdem hat sie das Foto in die Welt geworfen. Hat einfach mal gemacht, was Männer schon unzählige Male getan haben: ihre (niedliche Schlaffalten-)Trophäe hergezeigt.
Darum lautet die zweite Antwort: Ja, wir freuen uns, dass wir prollig sein dürfen. Auch wenn wir es gar nicht sein wollen. Weil es immer schön ist, noch eine Rollenmöglichkeit mehr zu haben. Wenn noch eine Tür geöffnet wird, durch die man früher nicht hätte gehen können, ohne dafür verachtet zu werden. Und wir freuen uns, dass wir kleine Anleihen an das Prolldasein machen können und das lustig gefunden wird. Dass die Kollegin Jax Tellers Arsch rumschicken kann, ohne, dass sie ein Imageproblem kriegt. Ohne, dass sie überhaupt darüber nachdenken muss, ein Imageproblem kriegen zu können. Dass wir einander „Bitch!“ nennen können. Dass wir euch „Bitch!“ nennen können. Dass wir nicht brav sein müssen. Das ist vielleicht nicht ganz neu. Aber noch neu genug, um sich drüber zu freuen. No lie.
Text: jakob-biazza - Foto: Screenshot, Illustration: katharina-bitzl