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Jungsfrage zum Komisch-Dasitzen
Liebe Mädchen,
in unserer morgendlichen Konferenz besprachen wir heute wie immer die Debatten der kommenden Jahrtausende, als ich, mich kurz aus dem Thesengewitter ausklinkend, mal den Blick durch den Raum schweifen ließ. Abgesehen von dem Fakt, dass ich ausschließlich mit äußerst smarten und schönen Menschen zusammenarbeite, fiel etwas auf, dass mich ganz und gar irritierte. Das mag jetzt etwas spießig klingen, aber: Wie sitzt ihr denn bitte da, liebe Mädchen?
Unter uns männlichen Kollegen gibt es genau drei Sitz-Varianten: Den beinüberschlagenden Intellektuellen, eine Art post-chauvinistischen Manspread und den zurückgelehnten Ein-Fuß-aufs-andere-Knie-Dude. Viel mehr Möglichkeiten gibt es eigentlich auch nicht, sich auf einem gewöhnlichen Konferenzraum-Stuhl auszubreiten. Sollte man denken!
Ihr beweist das Gegenteil: Irgendwie gelingt es euch, auf der winzigen Sitzfläche unsere Function-Follows-Form-Designstühle in eine Art erweiterten Schneidersitz zu gehen. Oder in einen halben Fersensitz, also mit einem Fuß unter dem Hintern. Und auf diesem armen Fuß lastet dann das gesamte Gewicht. Oder, und das ist der Gipfel der Verrenkung: Ihr schafft es tatsächlich, die gesamte Konferenz mit zwei vor der Brust angezogenen Beinen durchzustehen, die ihr dann mit euren Armen umklammert. Ihr verbringt also eine volle Stunde auf der Fläche einer DinA4-Seite.
Ich habe das gerade mal versucht: Nach ungefähr drei Sekunden setzen Spontan-Thrombose-Schmerzen ein, die Arme werden taub und dem Steißbein fehlt es aufgrund der Krümmung an jeglicher Polsterung. Warum tut ihr euch das an? Hat das was mit irgendwelchen fernöstlichen Sportarten zu tun, die ich noch nicht kenne? Sind die Schmerzen ein Mittel gegen Langeweile? Ist das eine künstlerische Ausdrucksform, ein Aufbegehren? Wollt ihr das "reaktionäre Konstrukt 'Sitzen' neu denken", oder sowas?
Setzen wir uns doch zusammen und ihr erklärt uns das mal, bitte!
Mädchenantwort
Liebe Jungs,
neulich war ich traurig. Da las ich das Buch von Lindy West, einer fetten Feministin aus den USA (und ja, sie möchte selbst, dass man sie „fett“ nennt und bitte nicht „übergewichtig“). Sie schrieb unter anderem darüber, warum es für sie mittlerweile okay ist, sehr dick zu sein – aber in einem Nebensatz erwähnte sie, dass sie immer all die Frauen beneidet, die auf einem Stuhl sitzend die Beine anziehen. Sie konnte das nie, kann es nicht und wird es aller Voraussicht nach auch nie können. Das hat mich gerührt.
Ich führe das aus dreierlei Gründen an.
1. Weil es zeigt, dass nicht alle Frauen komisch sitzen (können). 2. Weil es zeigt, dass trotzdem viele Frauen es machen, so viele, dass es einfach auffällt.
3. Weil meine Reaktion (Traurigkeit) zeigt, dass ich dieses komische Sitzen mag.
Aber warum genau machen wir’s nun? Und ihr nicht?
Man kann da jetzt naturwissenschaftlich rangehen und irgendwelche Erkenntnisse bemühen, die besagen, dass Frauen meist beweglicher sind als Männer. Andere hormonelle Voraussetzungen, dadurch weniger dichte Gewebestruktur, dadurch dehnbarere Muskeln und Bänder (oder so). Das erklärt zumindest, warum euch beim einmal Beine anziehen Schmerzensblitze in verschiedene Körperstellen treffen, wir das hingegen stundenlang durchhalten: Denjenigen von uns, die das machen, tut es halt nicht weh. Wir machen’s also einfach, weil wir’s können. Das ist schon mal ein Grund.
Ein weiterer ist: Bequemlichkeit. Oder noch viel mehr: die Abwesenheit von Anspannung. Das sieht man vor allem daran, in welchen Situationen wir das machen. Wo ihr uns niemals mit angezogenen Beinen oder dem rechten Fuß unter der linken Popbacke sitzen sehen werdet: beim Jahresgespräch mit dem Chef, im Publikum bei einer Podiumsdiskussion oder gar auf dem Podium selbst. Wo ihr uns hingegen in allen möglichen Positionen sitzen sehen werdet: nach dem Abendessen in der Küche der besten Freundin, auf dem Bürostuhl im Arbeitszimmer und ja, auch in unserer Konferenz. Das ehrt die Konferenz, denn wie ihr an der Aufzählung bemerkt haben werdet: Wir machen das nur in geschützten Räumen, da, wo wir uns wohl fühlen und entspannt sind und mit unserem Auftreten nichts darstellen müssen. Wo wir nicht seriös sein müssen. Oder halt, anders: Wo wir nicht seriös aussehen müssen.
Und um jetzt mal kurz gesellschaftlich zu werden und der Sache etwas mehr Bedeutung beizumessen, als sie am Ende womöglich hat (aber hey, wir befinden uns hier ja in der Kolumne, die das aus Prinzip tut!): Vielleicht spielt da auch ein kleines bisschen mit rein, dass wir Mädchen oft in eine andere, bewusstere Körperlichkeit hineingewachsen sind als ihr Jungs. Körper haben, die angeschaut werden. Wie es ja in der feministischen Filmtheorie heißt: der Mann ist der Träger des Blicks, die Frau die „Erträgerin“. Und die verknoteten oder angezogenen Beine, das Kleinmachen auf der Fläche einer DIN A4-Seite, das sind irgendwie auch Schutzpositionen. Wir rollen unsere Körper zusammen, sodass sie möglichst wenig Fläche bieten, die von Blicken und überhaupt der Welt getroffen werden kann. Was aber mehr fürs gute Gefühl ist, als dass es effektiv etwas bringen würde – denn in der Küche der besten Freundin (oder unserer Konferenz) ist die Welt ja gar nicht richtig anwesend und kann uns nicht treffen. Auf dem Podium wäre es also viel sinnvoller, sich einzurollen. Aber da muss man ja seriös sein. Sich hinterher irgendwo klein machen, das ist dann ungefähr so, wie sich morgens nach dem Aufstehen zu strecken. Entspannend. Wohlig.
Wie ihr seht, finde ich das Ganze also eigentlich ziemlich gut. Ich mache es selbst gerne. Allerdings stelle ich mir jetzt gerade ein Gemälde vor: Es zeigt unseren Konferenzraum. Rechts sitzt der Man-Spreader oder der Fuß-aufs-Knie-Dude lässig da. Und links, ihm gegenüber, eine von uns Damen, mit angezogenen Beinen und den Armen um die Knie. Und wenn ich mir das so vor meinem inneren Auge anschaue, kommt mir irgendwas daran sehr falsch vor. Ich glaube, ich lege morgen mal den Fuß aufs Knie. Ist ja sicher auch ganz bequem.