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Mädchen, warum müsst ihr immer Wasser dabei haben?

Illustration: Lucia Götz

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Liebe Mädchen,

der April in München ist kalt und vor allem: nass. Eine Dürre ist vorerst nicht zu befürchten, die Vorräte an exquisitem Leitungswasser sind auch im Falle einer Spontanverwüstung des Alpenvorlandes für Jahre gesichert.

Trotzdem ist bei einer Kollegin heute morgen Panik ausgebrochen: Beim Durchgraben der Tasche fiel ihr auf, dass sie ihre gefühlt 11,5 Liter fassende Wasserflasche wohl daheim auf dem Küchentisch hatte stehen lassen. Während sie losrannte, um sich notdürftig Wasser in ein natürlich viel zu kleines Glas zu füllen, raunte sie: „Heute wird ein schrecklicher Tag“, im Gesicht die blanke Angst vor... ja, vor was eigentlich?

Eurer unerklärlicher Hang dazu, immer und überall literweise Wasser mit euch herumzuschleppen, ist uns Jungs nämlich ziemlich fremd. Wie schon erwähnt, ist die nächste Quelle in unserer zivilisierten Welt ja immer greifbar nah, sei es in Form eines Supermarktes, Getränkeautomaten oder eben des nächstbesten Wasserhahns. Und klar nehmen wir uns auch etwas zu trinken mit, wenn eine längere Durststrecke in Form einer Wüsten- oder eben auch nur Baggerseewanderung ansteht.

Aber euch scheint, egal in welcher Umgebung, erst das vertraute „Klonk“ der auf dem Schreibtisch platzierten PET-Flasche die Sicherheit zu geben, dass ihr den Tag heil überstehen werdet, zumindest in dursttechnischer Hinsicht.

Woher kommt diese Liebe zur Wasserflasche? Steckt da irgendeine Philosophie eurer Großmutter à la „Mindestens vier Liter am Tag! Entschlacken! Entgiften! Durchspülen!“ dahinter? Hat das biologische Gründe, die sich erst auf den zweiten Blick erschließen? Wollt ihr Geld sparen?

Oder ist euch das Leben tatsächlich eine einzige Wüste?

Prost erstmal,

eure Jungs

Die Mädchenantwort: 

maedchenfrage

Liebe Jungs,

ich will gar nicht lange drumrum reden: Die Kollegin, die heute Morgen so übel gelaunt war, weil sie ihre Wasserflasche vergessen hatte, das war ich. Darum finde ich mich in eurer Frage ganz eindeutig wieder: Ich trinke sehr viel Wasser. Hauptsächlich aus der Leitung, manchmal auch welches mit Kohlensäure. Wenn ich arbeite, darf die gefüllte Flasche (übrigens keine aus PET, sondern eine abspül- und wiederverwendbare – nur, falls die „DU UMWELTSÜNDERIN!“-Schreihälse schon Luft geholt haben) nicht weiter als eine Armlänge von mir entfernt sein. Wenn ich schlafe, auch nicht. Denn wenn ich wach werde, muss ich trinken. Egal ob um ein, drei oder fünf Uhr. Ein mir nahestehender Mensch hat mir wegen dieses Spleens kürzlich eine besonders große Trinkflasche zum Geburtstag geschenkt und eine meiner besten Freundinnen zieht mich bis heute damit auf, wie oft (und wie schnell) ich als Teenagerin meine Wasserflasche auf- und zugedreht habe. 

Und ihr habt Recht: Ich bin nicht die Einzige. Ich kenne viele, die das so oder so ähnlich handhaben, und ja, es sind ausschließlich Frauen und Mädchen. Wobei ich dazu sagen muss, dass sich die Gesamtheit der Frauen und Mädchen bezüglich dieses Themas in zwei Lager spaltet: Auf der einen Seite diejenigen, die immer eine Flasche mit sich herumschleppen, auf der anderen Seite die, die das lächerlich finden und ihre  vieltrinkenden Geschlechtsgenossinnen spöttisch „Wasserflaschen-Mädchen“ nennen. Aber auch diese Spaltung ändert nichts an der Tatsache, dass viele von uns mehr trinken, als wir trinken müssten (denn immer wieder ist zu lesen: zwei bis drei Liter reichen völlig, alles andere ist bei normaler Belastung medizinisch sinnlos), und anscheinend wirklich von der hierzulande vollkommen irrationalen Sorge geplagt werden, sie könnten mal nicht rechtzeitig an eine Quelle gelangen, wenn sie durstig sind. Und darum immer eine eigene Quelle in der Tasche haben. 

Warum das so ist, weiß ich auch nicht genau. Aber wie so oft in dieser Kolumne, möchte ich eine Spekulationen wagen: Ich glaube, vielen von uns ist die angebliche Notwendigkeit, „viel“ oder zumindest „genug“ Wasser zu trinken, sehr früh und sehr tief ins Bewusstsein eingeimpft worden. Und wenn man erst mal jahrelang „viel“ oder zumindest „genug“ Wasser getrunken hat, dann kann man nicht mehr ohne und kriegt schneller einen trockenen Mund, als man „Wasserspender“ sagen kann. 

Das Einimpfen übernehmen zunächst die Mütter. Mütter erinnern Kinder gerne und regelmäßig daran, genug zu trinken. Aber Mädchen kriegen ungefähr ab der Pubertät noch dazu verhältnismäßig oft den Tipp, doch „erstmal was zu trinken“, wenn es ihnen grade nicht gut geht. Und pubertierenden Mädchen geht es ja öfter mal nicht gut: Sie kämpfen nach dem 800-Meter-Lauf im Sportunterricht mit ihrem Kreislauf oder krümmen sich mit Regelschmerzen auf ihrem Schulstuhl. Diesen Mädchen wird immer, wirklich immer Wasser angeboten. Die Verbindung „Wasser = erste Hilfe“ ist darum im weiblichen Gehirn keine ungewöhnliche. 

Wer Wasser trinkt, hat weniger Hunger. Und so weiter. Also immer rein damit

Bei einer recht typischen Mädchen-Krankheit, die fast jede von uns mindestens ein Mal im Leben durchleiden muss, ist das Trinken sogar nicht nur erste, sondern auch zweite und dritte Hilfe: bei einer Blasenentzündung. Die ist sehr schmerzhaft. Und weil viel Wasser (und/oder Tee) den Schmerz lindert und die Genesung fördert, trinkt das blasenentzündete Mädchen im Akkord, und wenn Schmerz und Krankheit vorbei sind, trinkt es weiter, damit beide nicht zurückkehren. 

Dann kommen noch das Schönheitsideal und der Gesundheitswahn ins Spiel. Als junges Mädchen passiert es ja schnell mal, dass man die Hälfte seiner am Tag verfügbaren Zeit darüber nachdenkt, wie man aussieht und wie man besser aussehen könnte und wie man fit bleibt, weil einem leider vorgelebt wird, dass gutes Aussehen und Fitness extrem wichtig sind. Und da taucht dann der Tipp, doch einfach viel zu trinken, auch wieder auf, etwa in Frauenzeitschriften oder auf Ratgeberseiten, verbunden mir diversen Behauptungen: Wasser trinken macht schlank. Wasser trinken macht schöne Haut. Wasser trinken spült Giftstoffe aus dem Körper. Wer Wasser trinkt, hat weniger Hunger. Und so weiter. Also immer rein damit.

Eine Kombination all dieser kleinen Erfahrungen macht also die eine Hälfte von uns zu gewohnheitsmäßigen Wasserflaschen-Mädchen, die irgendwann nicht mehr ohne können. Ohne Flasche in der Tasche fühlen wir uns so ähnlich, wie wenn das Portemonnaie, der Schlüssel oder das Handy zu Hause liegen geblieben sind. Und die andere Hälfte wird zu unseren kopfschüttelnden, „so was Albernes“ murmelnden Kontrahentinnen, die sich weder von Erste-Hilfe-Maßnahmen, noch von Frauenzeitschriften oder dem Urologen haben einschüchtern lassen. 

Das Gute an der Sache ist: Unser Wasserflaschen-Spleen schadet niemandem. Das Zuviel an Wasser, das wir eventuell zu uns nehmen, scheidet unser Körper einfach wieder aus – und es kann nie so viel zu viel sein, dass es als „Wasserverschwendung“ durchgeht, denn so große Mengen bringen wir dann auch nicht runter. Und noch dazu genießen wir das unglaubliche Privileg, in einer Region mit ausreichend Trinkwasserversorgung zu leben und niemandem etwas wegzutrinken, wenn wir unsere Flasche am Hahn in der WG- oder Büro-Küche oder auf dem Uni-Klo wieder auffüllen. 

Wenn wir denn eine Flasche dabei haben. Ich zumindest habe Durst, aber heute nur ein mickriges kleines Glas, das schon wieder leer ist. Ich muss also los an den Hahn!

Tschüss und hydrierte Grüße,

eure Mädchen 

Was die Jungs sonst noch interessiert:

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