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Jungsfrage: Mädchen, kommt ihr mit unserer Glatze klar?
Die Jungsfrage:
Liebe Mädchen,
neulich habt ihr uns wieder leidgetan: Typen-Kippe-Kaffee-Runde in der Sonne, es geht, warum auch immer, um Eingriffe gegen das Altern. Auf die Frage, was wir als Jungs da gerne an uns ändern würden: kollektives Achselzucken. Irgendwie ist ja scheinbar alles total akzeptiert. Falten zeugen von einem verwegenem Leben, graue Haare machen einen gefühlt dreimal so klug und sogar Bierbäuche gehen angeblich als Beweis eines aufopfernden Mann- oder Vaterdaseins durch. Es scheint manchmal so, als würdet ihr Mädchen uns im Hinblick auf unseren körperlichen Verfall sogar mehr „verzeihen“ als wir uns selbst.
Ihr dagegen seid auch und gerade im Alter mal wieder von allen Seiten in der Schönheitsmängel-Schusslinie: Falten müssen weg, Zellulite auch, alles, was hängt, ergraut oder sich sonstwie vom jugendlichen Zustand mit etwa sechzehneinhalb abkehrt, muss weg. Verziehen wird da gar nichts, zumindest nicht in den Klatschblättern dieser Welt, die hier niemals stellvertretend für unsere Jungs-Haltung stehen sollen. Wir sehen das natürlich anders, aber der gesellschaftliche Druck ist ja wohl nach wie vor da, oder? Von einem Mom-Bod haben wir jedenfalls noch nichts gelesen.
Und wie wir Jungs uns da so herzlich einig waren in unserem Mitleid für euch (oder nennen wir es aufrichtige Solidarität?) kam ein Einwand:
„Was ist denn mit Haarausfall?“ meinte einer aus der Runde. Im Schweigen danach konnte man deutlich den riesigen Elefanten mit Geheimratsecken hören, der gerade hinzugetreten war und nun musternd von Kopf zu Kopf streifte, um mit seinem Rüssel nach kahlen Stellen zu suchen.
Verscheucht werden konnte er erst über einen Themawechsel, es ging um den Spätsommer oder sowas, und das war auch dringend nötig. Das Gesprächsthema Haarausfall ist in unseren Kreisen nämlich ein einziger Fett-Baggersee. Jeder Kommentar über den neuerdings ausbleibenden Haarwuchs des Gegenübers (oder auch nur eine gefühlte Andeutung) kann Freundschaften und Beziehungen in Sekunden beenden.
Ein mutiger Junge aus unserer Runde wagte es dann aber tatsächlich, das Thema noch einmal ins Gespräch zu bringen. Und er sprach dabei von sich selbst! Er erzählte passend zum Spätsommer, dass er sich neulich zum ersten Mal die kahle Stelle am Hinterkopf mit Sonnencreme eingerieben habe. Das fanden wir sehr mutig von ihm, trotzdem fasste sich ein Großteil der Runde hinterher instinktiv an den Kopf und sendete ein Stoßgebet für ewig-währende Haarpracht gen Himmel. Und natürlich blieben weitere Geständnisse dieser Art aus.
Denn, um es mal ganz deutlich zu sagen: Mit annähernder Sicherheit finden 99% der Männer Haarausfall in keinster Weise gut oder hinnehmbar. Wer betroffen ist, unterscheidet sich nicht in seiner Haltung dazu (die ist immer gleich: Scheiße, wo ist mein Haar?), sondern in seinem Umgang. Die einen wagen den bewusst rasierten Kahlschlag und hoffen dadurch, unschöne Zwischenphasen zu übergehen. Die anderen tun genau das Gegenteil: Hinten lange Haare drüberkämmen, vorne die Geheimratsecken mit einem seltsamen Irokesen, der in etwa bei den Kotletten beginnt, zur Stirnmitte hin überkleben. Einen entstehenden Haarkranz bewusst zur Schau zu stellen wäre wohl die mutigste Variante. Aber eben auch ziemlich unschön.
Alle Varianten funktionieren also mehr schlecht als recht, daher unsere Frage: Ist es von euch aus vielleicht doch manchmal ok, wenn sich unser Haar lichtet? Machen wir uns selbst da vielleicht sogar unnötigen Stress? Gibt es bald einen D(e)ad-Head? Wenn nicht: rasieren oder überkleben?
Und: Ist es für euch ein schöner Gedanke, uns eines Tages die Glatze einzucremen?
Eure Jungs mit ewig vollem Haar.
Die Mädchenantwort:
Ayeeeepffffffffffjoookkkkayyy.... waren ungefähr meine Worte, als mir die verantwortungsvolle Aufgabe übertragen wurde, deine Frage zu beantworten.
Denn, wie du selbst schreibst: Schütteres Haar ist ein ganz, ganz heißes Eisen bei euch Jungs. Ich glaube, jeder junge Mann hat Angst davor, mit Mitte Zwanzig zu entdecken, dass sein Haarschopf auch schon mal dichter war, nur um in den darauffolgenden Monaten und Jahren hilflos zusehen zu müssen, wie der immer weiter zurück weicht, bis irgendwann die Geheimratsecken sich mit der Hinterkopfplatte solidarisieren und am Ende ein Haarkranz übrig bleibt, der zuletzt zu Zeiten von „Der Name der Rose“ schick war – und auch da nur unter dubiosen Klosterbrüdern.
Denn Haare bedeuten ja viel mehr: Ihr Verlust symbolisiert aufs Drastischste den Verlust eurer Jugend. Und wenn man die erst mal Haar für Haar verloren hat, bleibt einem gefühlt ja auch nicht mehr viel mehr Zeit, bis man vierzig Jahre im selben Betrieb geackert, zwei verzogene Rotzgören im Vorstadt-Reihenhaus aufgezogen, eine ungesunde Leidenschaft für Gegrilltes entwickelt hat und – die endgültige Kapitulation –vollkommen unironisch in Crocs zum Wochenend-Einkauf schlurft.
Als großer Fan von Larry David kann ich mich, glaube ich, verhältnismäßig gut in das Dasein als glatzköpfiger Mensch einfühlen. Larry David ist nämlich selbst aufrechter Glatzenträger und fordert schon seit Jahren, Haarverlust als eine Art chronische Krankheit anzuerkennen. Vor ein paar Jahren schrieb er einen Text darüber, auf welche Errungenschaft in seinem Leben er besonders stolz ist. Der Mann hat unter anderem die legendäre Serie „Seinfeld“ erfunden, es könnte da also einiges geben, was er für besonders gelungen hält. Aber sein größter Stolz ist tatsächlich, sich mit seiner Glatzköpfigkeit würdevoll arrangiert zu haben. Würdevoll bedeutet für ihn, dass er nie den Versuchungen erlag, sich mithilfe von Toupets, Mützen oder Implantaten zu verstecken. Oder durch eine Rasur oder einen Rauschebart die Glatze optimiert oder umgedeutet zu haben. Nein, Larry David steht da mit seiner Platte, beschwert sich bitter über die Herablassung der „hair guys“, die ihn als Plattenträger immer wieder in Rage bringt – und schreibt, wie er einst einem vollbehaarten Mann die Freundin unter der Nase weggeschnappt hat, weil der ihn nicht als potentielle Konkurrenz ansah und dementsprechend baff war, als seine Freundin tatsächlich mit dem „bald guy“ abzog.
Womit wir zur Beantwortung eurer Frage kämen: Klar ist es okay, wenn sich das Haar an euren Köpfen lichtet. Weil es der einzige Bereich ist, wo ihr uns in Sachen Körper-Unsicherheiten in nichts nachsteht. Und das macht uns ehrlich gesagt ein bisschen froh. Zu wissen, dass auch ihr manchmal traurig dasitzt und Dingen nachweint, an denen ihr nichts ändern könnt. Das ist nämlich normalerweise unser Metier und wir sind gar nicht traurig, wenn ihr das, oder sagen wir: ein Teil von euch, auch mal erlebt. Aus Gründen der ausgleichenden Geschlechtergerechtigkeit. Womit ich auch noch mal auf Larry David zurückkomme: Der schreibt in seinem Essay, dass Männer mit Glatze sich immer mehr Mühe geben müssen als haarige Typen: Sie müssen sich besser kleiden, schlauer sein, mehr Geld verdienen, gepflegter aussehen – um so angenommen zu werden wir die Männer, denen die Natur ungerechterweise ihren Kopf voll Haare stehen ließ.... Irgendwie kam mir diese Argumentation wahnsinnig bekannt vor.
Damit wir uns da nicht missverstehen: So ein Glatzkopf ist selten attraktiv – abgesehen vielleicht von den Fällen, wo das Testosteron so offenkundig aus jeder Pore quillt, dass der Haarausfall nur ein weiteres Attribut der Hypermännlichkeit ist. Aber die kann man ja quasi an einer Hand abzählen. Im Normalfall finden wir sich langsam lichtende Männerköpfe je nach unserer Beziehung zu dem dazugehörigen Mann traurig, rührend, bizarr (vor allem, wenn der Mann trotz Oberkopf-Platte auf Pferdeschwanz und Liegefahrrad besteht), und im besten Fall so wahnsinnig egal. Weil wir euch so gut kennen, dass wir durch euer Äußeres hindurch- und in euer Inneres hineinsehen können, wo es bekanntlich allerhöchstens ein paar eingewachsene Haare gibt.