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Jungsfrage: Mädchen sollen wir unsere Sprache gendern?
Liebe Mädchen,
in unserer Redaktion gab es kürzlich eine Diskussion, inwiefern wir bei unseren Texten künftig auf gendergerechte Sprache achten wollen. Bisher kann das jede*r Autor*in (hier geht es schon los) handhaben, wie er oder sie will. Eindeutig festlegen konnten wir uns nach einer locker einstündigen Debatte zwar nicht – zumindest aber scheint die Bereitschaft sehr groß, künftig besser auf gendersensible Sprache zu achten.
Bei Gendersternchen und Co. soll es ja vor allem darum gehen, Menschen sprachlich sichtbar zu machen, die beim bisher gängigen, generischen Maskulinum (z.B. bei „Autoren, Lehrer, Ärzte...“) zwar vielleicht mitgemeint sind, aber – so die These – nicht mitgedacht werden. Da nun wir aber als Cis-Männer genau die Gruppe sind, die sich hier keine Sorgen um Nicht-Sichtbarkeit machen muss, wäre es fürs Verständnis vielleicht mal gut, wenn ihr uns erklären würdet, wie sich dieses Übersehenwerden – sofern vorhanden – abspielt und anfühlt. Natürlich empfindet hier jeder Mensch anders (ich sehe schon die Leserinnenkommentare vor mir), aber möglicherweise gibt es ja Beispiele, bei denen selbst eine Gendersprachen-Kritikerin auf den Gedanken kommt, dass Frauen (und Transpersonen und Queers) eben in unserer Sprache noch nicht den Platz haben, den sie verdienen.
Natürlich könnten wir mit euch nun auch über die Veränderbarkeit von Sprache diskutieren, die Sinnhaftigkeit von Sprachvorschriften und über den ganz allgemeinen Vorwurf, dass Gleichberechtigung wichtigere Kampfplätze erstürmen sollte, als Sprachregelungen durchzusetzen. Aber da das hier eine Jungsfrage ist, interessiert uns hier mal eure Argumentation aus rein weiblicher Sicht und nicht die allumfassenden und schon zu genüge verhandelten Pros und Contras. Stellt euch einfach vor, wir wären totale Gendersprachen-Gegner und ihr müsstest uns mithilfe eurer eigenen Überzeugung als „Betroffene“ aufklären. Oder wollt ihr das gar nicht?
Eure Jungs
Die Mädchenantwort:
Liebe Jungs,
es ist sehr schwierig zu beschreiben, wie sich Nicht-Sichtbarkeit anfühlt, aber wir wollen es einfach mal mit „sehr unfair“ versuchen. Es ist ein bisschen so wie mit dem blauen Himmel. Der ist auch immer da, nur manchmal schieben sich eben Wolken davor und dann vergisst man, dass dahinter blauer Himmel ist und es heißt nur noch, es sei bewölkt. Ihr seid in diesem Vergleich die Wolken, liebe Jungs, falls das noch nicht deutlich geworden ist, denn wenn ihr kommt, sehen alle nur noch euch.
Da gibt es ein Beispiel aus unserer Schulzeit, das sich vermutlich in viele unserer Köpfe eingebrannt hat: Im Französisch- beziehungsweise Spanischunterricht galt immer, dass eine Gruppe von Menschen männlich ist, sobald nur ein einziger Mann dabei ist. Dementsprechend müssen dann auch alle Verben und Adjektive angeglichen werden. Es hätten hundert Frauen sein können und dann kommt plötzlich ein einzelner Mann vorbei spaziert und bums, allen hundert Frauen wächst ein sprachlicher Penis. Dass das zumindest ein bisschen komisch ist, würdet auch ihr in der Rolle der totalen Gendersprachen-Gegner einsehen, oder?
Im Deutschen ist es mit dem generischen Maskulinum genau das Gleiche, nur dass es keine festen Regeln gibt oder Wörter, die angeglichen werden müssen, sondern dass es einfach immer so gemacht wird. Wenn eine Masse an Menschen benannt wird, sind wir Frauen einfach nicht mehr da. Dann zählt nur noch, dass einer von euch dabei ist und plötzlich alles bestimmt. Das ist nicht nur sehr ungerecht, sondern auch einfach nicht korrekt.
Da könnte man uns eigentlich auch gleich sagen: „Ihr seid halt einfach nicht wichtig“
Wir finden das besonders schwer zu ertragen, weil uns Genauigkeit und Korrektheit als deutsches Selbstverständnis schon sehr früh beigebracht wurden. Hier wird das Kleingeld auf den Cent genau und in aller Ruhe an der Kasse aus dem Portemonnaie gezählt oder Wähler*innenstimmen werden in komplizierten Verfahren möglichst genau auf Parlamentssitze umgerechnet und trotzdem wird die Hälfte der Bevölkerung (zumindest wenn es um uns Frauen geht) sprachlich einfach vergessen.
Nun gibt es aber auch sehr viele von uns, denen das total egal ist. Die fühlen sich im Zweifel wirklich „mitgemeint“. Aber genau da liegt auch das Problem: Natürlich fühlen wir uns irgendwie mitgemeint, denn etwas anderes bleibt uns ja auch nicht übrig. Wir haben uns daran gewöhnt und auch damit abgefunden, dass wir nicht explizit benannt werden, denn ansonsten würde es uns einfach gar nicht geben.
Wenn wir dann aber doch mal fragen, wer das eigentlich entschieden hat und wieso das bitte okay sein soll, werden wir nicht selten mit „Stellt euch nicht so an!“ abgewatscht. Da könnte man uns eigentlich auch gleich sagen: „Ihr seid halt einfach nicht wichtig in dieser Welt, deswegen machen wir uns nicht die Mühe.“ Ihr merkt, das „sehr unfair“ vom Anfang war noch ziemlich nett ausgedrückt – es ist eher eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Natürlich ist nicht alles genderbar und nicht immer ergibt es Sinn, zu gendern. Ein Beispiel wäre, von „deutschen Bundespräsidentinnen“ zu sprechen, weil es bisher einfach noch keine gab. Und trotzdem kann auch da Gendern aufrütteln. Denn beim generischen Maskulinum fällt niemandem auf, dass das Männliche die Norm ist. Wird auf einmal gegendert, ist es plötzlich sehr sichtbar: „Aha! Oho! Nur die männliche Form? Gab es etwa nur männliche Bundespräsidenten bisher? Interessant, wie kann das denn sein?“
Uns (sprachlich) nicht zu sehen ist ziemlich altmodisch, weil: wir sind ja da und gehen auch nicht mehr weg. Wir hoffen also, dass wir euch, liebe Jungs, überzeugen konnten und wir uns unserer Sichtbarkeit zuliebe darauf einigen, dass es nicht mehr „bewölkt“ ist, sondern ein „Sonne-Wolken-Gemisch“. Das wäre sehr schön.
Eure Mädchen