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Jungs, warum die spartanische Einrichtung?
Die Mädchenfrage
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Wohnungen von Freunden sind wie kleine Alltagsmuseen: perfekt abgestimmtes Geschirr, ausgefallene Posterkollektionen oder Stapel mit dreckiger Wäsche verraten viel über den Lebensstil einer Person. Deshalb sind ja diese Fernsehshows, bei denen die Wohnungen semi-bekannter Leute durchwühlt werden, so beliebt. Ich kann das nachvollziehen. Zwar reiße ich keine Schubladen auf, habe aber auch großen Spaß am Wohnungs-Voyeurismus. Bei euch Jungs stoßen meine hobbypsychologischen Anstrengungen allerdings an ihre Grenzen. In meinem männlichen Freundeskreis hat sich ein Einrichtungstrend durchgesetzt, den ich nicht verstehe: Kaum persönliche Gegenstände, keine Bilder, Pflanzen oder Teppiche, kein Schnickschnack. Meistens eine Matratze irgendwo in der Ecke. Bei den Kreativeren liegt sie auf einer Palette oder einem selbstgebauten Bierkistengerüst. Vielleicht noch ein Sessel oder ein Plattenspieler. Und immer Boxen. Teure Boxen. Letzteres ist wichtig, weil es bedeutet, dass der Spartaner-Trend nicht aus finanzieller Not geboren wurde. Ihr verzichtet bei eurer Einrichtung also ganz bewusst auf jeglichen Komfort. Unsere Kleiderstange kann man als Provisorium bezeichnen, aber wie lebt man in diesem dauerhaften Übergangsmodus? Denn egal ob in Berlin, München oder Hamburg: Bei vielen meiner Jungsfreunde sieht es so aus, als wären sie gerade erst eingezogen und die eigentlichen Möbel kämen jeden Moment nach. So lange steht der Aschenbecher auf dem Dielenboden und die Matratze liegt eben in der Ecke. Irgendwie stylisch und bohèmehaft, aber nicht gerade wohnlich. Was sagt das über euren Lebensstil aus, wenn ihr euch freiwillig auf einem Bett ohne Lattenrost quält, im Winter in einem Teppichlosen Altbauzimmer die Zehen abfriert und euch vom grellen Licht einer nackten Glühbirne terrorisieren lasst? Ich stehe ja auch nicht auf überladene Ramschzimmer mit Blümchentapete und Kissenbergen. Aber ein bisschen möchte man sich doch wohlfühlen, oder? Soll das eine Kampfansage gegenüber dem Ikea-Materialismus sein? Ist es euch schlicht zu banal, Geld für Gemütlichkeit auszugeben? Oder habt ihr letzten Endes doch Angst vor unserem Urteil, sodass ihr eigentlich unseretwegen auf sämtlichen Individualismus verzichtet? >>>Die Jungsantwort von Patrick Wehner
Die Jungsantwort
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Liebe Mädchen, ich muss sagen, die Frage trifft ziemlich ins Schwarze. Verteidigung zwecklos. Deswegen versuchen wir mal, euch das zu erklären. Und fangen bei der Matratze an – weil die ist ein bisschen pars pro toto. Die meisten Jungs mit einer Matratze hatten mal ein Bett. Und das hat man ja auch deshalb, weil man von Zuhause auszieht und die Mama und die Oma einem ein bisschen Geld geben, um sich bei Ikea die Basis-Einrichtung kaufen zu können. Töpfe, Besteck. Und ein Bett. Das eine dunkle von Ikea, wo man nicht mehr diesen Stahl-Stangen Schnick-Schnack hat, am Kopfende des Bettes. Weil so was ist immer ein bisschen Jugendzimmer. Nach ein paar Monaten aber: große Ernüchterung. Bett am Arsch. Durchgebrochen. Und weil man zu dem Zeitpunkt weder das Geld noch die Lust noch das Auto mit Anhänger hat, um an den Stadtrand ins Möbelhaus zu fahren, wird man große Teile des Bettes los, indem man es in der Nacht irgendwo zwischen zwei Mülltonnen stellt. Oder es auf den Gang hievt, an die Wand lehnt und ab dann so tut, als wäre es gar nicht mehr da. Und dann schläft man zum ersten Mal nur auf der Matratze. Und denkt sich: ist ja eigentlich ganz geil. Die Perspektive ändert sich völlig. Man sieht plötzlich unter den Türspalt und weiß, wann man lieber schnell die Bettdecke hochzieht und die Lautstärke des Computers runterdreht. Beim Sex quietscht und knarrt nix mehr und schöne Momente werden dadurch nicht mehr zu albernen. So geht das meistens los. Und irgendwann merkt man, dass diese Übergangslösung eigentlich gar keine ist. Sondern ein ziemlicher guter Zustand. Wir lieben an dem Provisorischen ja das Cowboyhafte. Die Tatsache, dass wir es uns in der Nacht an einem Feuer gemütlich machen können und alles haben, was uns das Leben schön macht – wir aber am nächsten Tag einfach weiterziehen können. So ein Provisorium, wie ihr das nennt, erinnert einen immer daran, was wichtig ist im Leben. Und bislang hat sich noch kein Mädchen über das Spartanische beschwert. Die meisten finden das ja super. Vielleicht, weil sie den Kontrast zu ihren Wohnungen suchen. Vielleicht, weil sie Potential sehen, selber gestalterisch tätig werden zu können. Vielleicht aber auch aus diesen Gründen: Ihr dürft in unserem Bett rauchen, wenn ihr wollt. Euer Weinglas oder die Bierflasche auf den Dielenboden stellen. Der kleine Baum, der zwischen Matratze und dem Altbau-Fenster steht, gibt euch das Gefühl, irgendwie draußen in der Freiheit zu schlafen und trotzdem geborgen zu sein. Jungs, die auf einer Matratze schlafen, werden euch auch nie damit nerven, Handstaubsauger kaufen zu wollen. Sie werden auch nie sagen, dass ihr euch bitte nicht mit Straßenklamotten ins Bett legen sollt. Sie versuchen nicht euch mit großen Autos zu beeindrucken. Nein, Jungs auf der Matratze sind Cowboys der besten Sorte. Vielleicht leben wir auch gerne in einem Provisorium, weil das Gegenteil uns einfach sehr abschreckt. Die supergemütliche Couch mit dem supernicen Flatscreen davor, die einen daran hindern, raus zu gehen und den Abend seines Lebens zu suchen und zu verbringen. Vielleicht haben wir so wenig, weil uns dadurch weniger in der Wohnung hält. Möglicherweise haben einige von uns auch Angst vor eurem ästhetischen Urteil, so dass wir auf sämtlichen Individualismus verzichten. Vielleicht lassen wir aber auch Platz, damit eines Tages ein nettes Mädchen kommt und einen Teppich mitbringt. Patrick Wehner Text: eva-hoffmann - Cover: John_Dow / photocase.de