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Jungs fragen Mädchen: Was macht ihr, um Alltags-Sexismus zu umgehen?
Die Jungsfrage:
Vor ein paar Tagen veröffentlichte die Huffington Post einen Text einer US-Bloggerin. Es ging darin um den Alltags-Sexismus, den sie täglich erlebt. Um manchmal eher kleine, aber trotzdem nervige bis diskriminierende Dinge: männliche Blicke, männliche Halbsätze, männliches Weiterbaggern nach offensichtlichem Bekunden von Desinteresse seitens der Frau. Und dann ging es noch um etwas, das uns überrascht hat: um eure Reaktionen auf diesen Alltagssexismus. Wobei Reaktionen vielleicht nicht das richtige Wort ist – denn eigentlich schrieb die Autorin über Dinge, die sie tut, bevor ihr Sexismus begegnet.
Vorauseilende Vermeidungsstrategien quasi. Sätze, die sie lieber nicht sagt. Handlungen, die sie lieber nicht ausführt. Weil sie weiß, dass sie damit bei Jungs und Männern womöglich etwas auslösen würde, das unangenehm bis gefährlich für sie werden könnte. Oder weil es in dem Moment leichter erscheint, nichts zu tun oder zu sagen.
Sie schreibt weiter, dass es Alltagssexismus vielleicht auch wegen solcher Vermeidungsstrategien gibt. Dass Männer vielleicht gar nicht merken, wenn sie etwas falsch machen, weil Frauen darauf nicht reagieren. Oder gleich von vornherein jegliche Situation vermeiden, die Männer dazu verleiten könnte, sich wie Steinzeittölpel zu verhalten. Also dachten wir: Fragen wir mal nach. Gibt es diese vorauseilende Sexismusvermeidung? Ist da ein Warnsystem zwischen die Männerwelt und euer Handeln geschaltet? In welchen Situationen schlägt es Alarm? Erklärt uns das bitte mal. Denn wenn es wirklich so ist, sollten wir das wohl wissen und verstehen. Und dann dazu beitragen, dass es das alles nicht mehr braucht.
Die Mädchenantwort von Charlotte Haunhorst:
Liebe Jungs,
passt super, die Frage, denn die letzte präventive Vermeidungsstrategie hab ich gerade vor wenigen Wochen gefahren. Ich saß nachts alleine im Taxi, der Heimweg dauerte 30 Minuten über die Autobahn. Und wie das dann so ist – aus Angst vor der unangenehmen Stille stellte ich dem Taxifahrer Fragen („Bis wann geht noch die Schicht? Wie lange machen Sie das schon?"). Und irgendwann stellt er Fragen zurück. Direkt im Du-Modus, macht man wohl so, wenn die Frau neben einem 30 Jahre jünger ist. Alles nicht schlimm. Aber irgendwann sagte er sowas wie: „Eine hübsche junge Frau wie du arbeitet sicher beim Fernsehen.“ Und ich sofort: "Oha, mal schauen ob mein Mann geschrieben hat, der wartet auf mich", stammel stammel, Handy raushol, drauf rumtipp.
Totaler Bullshit, das alles. Ich bin überhaupt nicht verheiratet und der Mensch, mit dem ich tatsächlich die Wohnung teile, hat zu dieser Uhrzeit längst geschlafen. Und überhaupt: Hätte, ganz hypothetisch, der Taxifahrer mich irgendwie anmachen oder übergriffig werden wollen, wäre es ihm wohl wurst gewesen, ob das an meiner Hand ein Ehering oder ein Ring von einem Asiamarkt ist. Aber obwohl ich das rational alles weiß, bin ich automatisch deeskalierend geworden. In meinem Kopf lief nur noch der Alarm: Fuck! Geschlossenes Taxi, älterer Mann, 30 Kilo schwerer als ich, was, wenn der den nächsten Parkplatz ansteuert?
Ich war hysterisch. Und habe in diesem Moment den armen Taxifahrer zu einem Monster gemacht, das er überhaupt nicht ist. Es war einfach nur ein Kompliment. Am Ende hat er mir sogar noch die Reisetasche zur Tür getragen.
An dem von dir zitierten Blogeintrag von Gretchen Kelly ist also auf jeden Fall was dran. Wir begehen andauernd präventiv Handlungen, um uns vor dem zu schützen, was ihr Jungs uns potenziell antun könntet. Nicht nur vor Sexismus, auch auch vor Gewalt. Wir wechseln nachts die Straßenseite oder simulieren ein Telefonat, wenn uns in einer einsamen Gegend ein Mann entgegenkommt. Erfinden einen Freund, wenn wir nicht angemacht werden wollen oder schlecht einschätzen können, wie das Gegenüber auf eine Abfuhr reagiert. Und wenn wir als einzige Frau in einer Männerrunde einen saudummen Spruch mitbekommen, halten wir die Klappe. Unfassbar bescheuert und unemanzipiert ist das alles, ich ärgere mich richtig über mich selbst, während ich es schreibe.
Die interessante Frage ist ja aber: Wo kommt das her?
Der WHO zufolge hat jede dritte Frau in ihrem Leben Erfahrungen mit körperlicher Gewalt gemacht. Fast immer durch Männer. Die, die zum Glück nicht solche Erfahrungen machen mussten, wissen von den anderen. Deshalb wird uns von Kleinauf eingeimpft, dass Männer gefährlich sein können, insbesondere fremde. Dass man ihnen im Zweifel körperlich unterlegen ist. Dass man sich schützen muss. Wir haben das ins Erwachsenenalter adaptiert. Kalkulieren automatisch in neuen Situationen, ob sie bedrohlich sind und wo der Ausgang ist. Und in den meisten Fällen ist der Ausgang eben die Defensive, oft in Kombination mit einer gut erzählten Lüge.
Natürlich tun wir euch durch dieses Verhalten pauschal Unrecht. Und machen wenig besser. Schweigespirale und so. Wenn ich dem Taxifahrer nicht sage, dass sein Kommentar mich verunsichert, weiß er nicht, dass er das lassen muss. Hat keine Chance zu sagen, dass er das ganz anders gemeint hat. Und bleibt damit potenziell Steinzeitmensch. Aber, und da kommt jetzt der Alarm wieder ins Spiel: Was, wenn der Taxifahrer leider ein Arsch ist? Wenn er mir wirklich etwas Schlechtes will? Will ich das Risiko eingehen? Eher nicht. Die kleinen Vermeidungstaktiken sind dabei auch ein Strohhalm, an den wir uns in beschissenen Situationen klammern. Ich KÖNNTE theoretisch die Polizei rufen, wenn ich mit dem Finger auf der Hörertaste nach Hause gehe. Der Taxifahrer KÖNNTE theoretisch denken, mein Freund ist Chef des Abu-Chaker-Clans und macht ihn fertig, wenn er mir dumm kommt. Dabei hätte ich natürlich am liebsten die Gewissheit, dass ich mich nicht wehren muss. Dass alles okay ist. Hab ich aber nicht.
Die Konsequenz heißt trotzdem reden. Redet mit uns, wenn ihr merkt, dass ihr da vielleicht gerade was Dummes gesagt oder getan habt. Und wenn ihr merkt, dass es das noch schlimmer macht, dann lasst uns einfach in Ruhe und zieht euch zurück. Und lest vielleicht nochmal die Jungs-Mädchen-Frage von 2006, in der Autor Moritz Baumstieger feststellte, dass eine Frau nachts Angst vor ihm hat. Weil sie halt nicht wissen kann, ob er ein Guter oder Böser ist. Darüber schreiben zählt auch als reden.