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Klage gegen Nackt-Fotograf
Im Jahr 2013 lernt der Fotograf Gerrit Starczewski, damals 25, auf dem Appletree Garden Festival in der Nähe von Hannover ein Mädchen kennen, nennen wir sie Laura. Starczewski ist da, um zum zweiten Mal Fotos für sein Projekt "Naked Heart" zu schießen. Dafür trommelt er Menschen zusammen, die gemeinsam als Gruppe ein Peace-Zeichen oder Herz bilden - komplett nackt. Das Projekt hat für Starczewski nach eigener Aussage nichts mit Sexualität zu tun, die Teilnehmer sollen sich frei machen von Schönheitsidealen und auf das Natürliche besinnen. "Es geht um ein friedliches, menschliches Miteinander", sagt Starczewski heute am Telefon.
Laura, so erzählt es zumindest Starczewski, findet diese Idee auf Anhieb super. Sie hilft ihm, verteilt Flyer und spricht Leute an, um sie zum Mitmachen zu motivieren. "Viele haben nur mitgemacht, weil sie sie so sehr dafür begeistert hat", sagt Starczewski. Er habe sie nach ihrem Alter gefragt, sie habe "23" geantwortet und außerdem klug und reflektiert gewirkt. "Normalerweise schließe ich bei meinen Projekten Verträge ab", sagt Starczewski. In ihrem Fall habe er Laura vertraut. Sie gehörte ja zum Helferteam. Nach dem Flyerverteilen zieht sie sich aus und lässt sich mit all den anderen gemeinsam fotografieren.
Starczewski sagt, er habe vorher erklärt, was er mit den Bildern vorhabe. Dass er sie für seine Fotokunst und Ausstellungen benutzen wird. Nach dem Festival habe er Laura noch zum Bahnhof gefahren, sie habe ihm später sogar noch E-Mail geschrieben. Wie toll sie seine Aktion fände, wie viel Spaß sie gehabt habe - und dass sie in Zukunft gerne wieder helfen würde. Dazu kam es aber nie.
Laura war noch nicht volljährig, eine Erlaubnis ihrer Eltern für das Foto lag nicht vor
Lauras Mutter hat den Fotografen verklagt. Auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe mehrerer tausend Euro. Ein entsprechender Prozess beginnt kommende Woche vor dem Duisburger Landgericht. Denn Laura war bei der Fotoaktion noch nicht volljährig, eine entsprechende Erlaubnis ihrer Eltern für das Foto lag nicht vor.
"Die Mutter forderte eine astronomisch hohe Summe", sagt Starczewski heute, kurz vor Verhandlungsbeginn. Ein paar Wochen nach dem Festival habe er einen Brief bekommen, in dem die Mutter schreibt, dass Laura aufgrund ihrer Minderjährigkeit gar nicht für das Naked Heart Foto habe posieren dürfen. "Der war schon in einem sehr rauen Ton verfasst", sagt Starczewski. "Ich dachte nur: Was wollen die denn jetzt von mir?" Er reagiert nicht auf den Brief und hört zwei Jahre lang nichts mehr von Laura oder ihrer Mutter.
Bis er seine Bilder 2014 in Amsterdam ausstellt. Als Fotograf hat es Starczewski inzwischen zu einigem Ruhm gebracht, er fotografiert für Musik-Magazine, kuratiert Ausstellungen und dreht Independent-Filme. Die Ausstellung ist im Melkweg Museum. "In Holland kennt dieses Museum jeder", sagt Starczewski. Der Eintritt ist frei, der Sinn hinter der Ausstellung ist es nicht, die Fotos zu verkaufen. "Da wurde Kunst gezeigt, um Begegnungen zu schaffen", sagt der Fotograf. Unter anderem ist dort auch das Naked Heart-Foto mit Laura drauf zu sehen. Man sieht sie von hinten, ihre Haare verdecken ihr Gesicht. "Kein Mensch hätte sie erkannt", sagt Starczewski. "Nur sie selbst." Einige Zeit nach der Amsterdamer Ausstellung bekommt er Post vom Anwalt von Laura, die inzwischen ja volljährig ist.
"Sich Jahre später zu melden, finde ich schon sehr moralisch verwerflich", sagt er. Starczewski vermutet, dass Lauras Mutter durch seine gestiegene Bekanntheit die Chance wittert, auf Kosten ihrer Tochter abzukassieren. Mit Laura selbst hatte er seit der Aktion keinen Kontakt mehr.
Was wiegt mehr: Die Persönlichkeitsrechte von Laura oder die Kunstfreiheit des Fotografen?
Das Gericht hat die Geldforderung angepasst, sie ist zumindest etwas niedriger, beträgt aber immer noch mehrere tausend Euro. Trotzdem will Starczewski sich beim kommenden Prozess nicht vergleichen. "Ich weiß ja, dass ich moralisch im Recht bin", sagt er. Zeugen dafür, dass Laura genau wusste, was sie tat und dass sie es gerne tat, habe er genügend.
Ob das vor Gericht ausschlaggebend ist, bleibt allerdings abzuwarten. Die Richterin muss die Frage beantworten, was gewichtiger ist: Die Persönlichkeitsrechte von Laura oder die Kunstfreiheit des Fotografen. Und natürlich die Frage: Konnte sie trotz ihrer Minderjährigkeit einschätzen, worum es in dem Projekt ging? "Ich bin tatsächlich sehr gespannt, wie die Richterin ihr Urteil begründen wird", sagt Starczewski. In den Gerichtsunterlagen sei immerhin schon einmal von einem Kunstprojekt die Rede.
Wie Lauras Version der ganzen Geschichte aussieht, wird erst im Gericht bekannt werden. Ihre Anwältin teilte auf Anfrage mit, "dass wir uns aus Anlass des laufenden Zivilverfahrens nicht vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung am kommenden Montag äußern können."
Das Naked Heart Projekt beenden, will Gerrit Starczewski wegen der ganzen Sache nicht. "Im Gegenteil: Ich wurde durch die ganze Sache noch mehr ermuntert, weiter zu fotografieren."