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Wie der Übergang von der Uni ins Berufsleben unser Liebesleben verändert
An der Uni lauern sie noch überall. Im Seminar. Beim Hochschulsport. In der Mensa. Der Lerngruppe. Auf all den Partys. Und in der Bibliothek kommt man sowieso nicht um sie herum. Flirt- und Kennenlern-Gelegenheiten in Hülle und Fülle sind im Semesterbeitrag quasi inklusive.
Und das Beste an diesem gigantischen Dating-Pool: Sein Wasser wird regelmäßig erneuert. Jedes Semester aufs Neue darf man sich freuen, neue Gesichter auf dem Campus zu entdecken und manche nie mehr wieder sehen zu müssen.
Die Jahre an der Uni sind Jahre des zwischenmenschlichen Überflusses. Ihr einziger Makel: Sie gehen vorbei. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man im Prüfungsamt ein paar Zettel mit folgender Botschaft ausgehändigt bekommt: Super gemacht. Du bist bereit für das wahre Leben, äh, die Arbeitswelt. Also raus aus dem Pool!
Meine Freundin Anja wollte ohnehin raus. (Weil Anja und alle anderen in diesem Text genannten Menschen großen Wert darauf legen, dass ihr Privatleben auch privat bleibt, haben wir ihre Namen geändert) „Es fühlte sich so nach Aufbruch an, endlich mein Master-Zeugnis in den Händen zu halten“, sagt sie. „Die Zeit an der Uni war geil, aber ich hatte auch riesige Lust auf was Neues. Auf etwas, das sich mehr nach Erwachsenenleben anfühlte.“
Das bekam sie in Form eines dieser Praktika in einer großen Werbeagentur, um die sich alle reißen, die irgendwas mit Geisteswissenschaften studiert haben. Spannende Projekte, fancy Menschen – in den ersten Wochen bekam Anja sich nicht mehr ein vor lauter Euphorie. Selbst die Tatsache, dass sie nun kaum noch Freizeit hatte, machte ihr zunächst nichts aus. Wie sehr sich dieser Umstand auf ihr Liebesleben auswirken würde, darüber machte sie sich anfangs noch keine Gedanken. Denn erstmal standen andere Dinge im Vordergrund.
Es ist nicht nur das Schicksal von Menschen in der Kreativbranche, sondern von Berufsanfängern ganz allgemein: Alles ist neu, alles ist aufregend, und anstrengend ist es auch. Schließlich will man sich von seiner besten Seite präsentieren und zeigen, dass man was drauf hat. Der Fokus verengt sich also natürlicherweise von Uni-Job-Freunde-Hobby-Feiern auf eine einzige Sache, der man von nun an den Großteil seiner Energie widmet: die Arbeit. „Nicht nur, dass ich teilweise weit mehr als 40 Stunden die Woche machen musste – auch nach der Arbeit war ich in Gedanken viel bei den aktuellen Projekten“, sagt Anja.
Aus dem Pool wird ein Handwaschbecken
Nun ist es so, dass der Mensch, auch wenn er voll auf dem Karrieretrip ist, zuweilen gewisse Bedürfnisse entwickelt. Sich sexuell auszutoben zum Beispiel oder des Nachts den Rücken gewärmt zu bekommen. Sehnsüchtig denkt er vielleicht an die Uni mit ihren tausendfach vorhandenen potentiellen Love Interests. Doch die befindet sich in einem Paralleluniversum, zu dem der arbeitende Mensch keinen Zugang mehr hat. Sein gewöhnlicher Aufenthaltsort ist das Büro und seine einzigen sozialen Kontakte sind die Kollegen. Der Pool ist auf ein Handwaschbecken geschrumpft. Was tut der Mensch nun? Richtig. Er zermartert sich erst das Hirn darüber, was das Daten von Kollegen für Konsequenzen haben könnte im Hinblick auf den eigenen Ruf oder die weitere Zusammenarbeit. Und dann nimmt er, was er kriegen kann.
In Anjas Fall sah das, was sie im Vergleich zur Uni haben konnte, auf den ersten Blick nicht unbedingt nach einem Verlust aus. Schließlich war sie tagtäglich umgeben von lauter todeshippen Werbern, die ihre Arbeitszeit und die korporativen Barbesuche nach Feierabend damit zubrachten, anderen ihre Genialität zu verklickern. Klar, dass bei diesen Voraussetzungen die erste Büro-Liaison nicht lange auf sich warten ließ. Erst war es kompliziert, weil niemand was davon mitbekommen sollte. „Schließlich sollte es nicht so aussehen, als sei das erste, was ich in meinem Praktikum vorhabe, einen Typ klarzumachen“, findet Anja. Und als die Sache gegessen war, wurde es noch komplizierter: „Es war echt schwer für mich, ihn jeden Tag um mich zu haben, obwohl ich verletzt war und Abstand gebraucht hätte. Meine Arbeit litt krass darunter“, erzählt sie. Sie hat Konsequenzen für sich gezogen: „Das hier sind meine ersten Schritte im Job, und die möchte ich mir einfach nicht versauen. Darum würde ich mich nicht nochmal mit jemandem, mit dem ich so eng zusammenarbeite, einlassen. Das war ein echter Anfängerfehler.“ Das offensichtliche Problem dabei: Besonders viele Wahlmöglichkeiten bleiben ihr nicht. Weil Anjas Leben sich nun in der Agentur abspielt, kann sie höchstens noch auf die Typen von der Buchhaltung ausweichen. Dazu können wir ihr echt nicht gratulieren.
Worst case: Neue Stadt, kein Anschluss
All die Typen wie auf einem Buffet vor sich zu haben, aber aus Rücksicht auf die eigene Zukunft nicht von ihnen kosten zu können, kann frustrierend sein. Es kann allerdings auch anders laufen. Nicht selten nämlich verschlägt es einen für den Job an Orte, die nicht für ihre appettitanregende Wirkung bekannt sind.
Meine Freundin Christina zum Beispiel landete nach dem Referendariat an einem Gymnasium in einer weit entlegenen Stadt. Immerhin winkte die Verbeamtung. Das Kollegium bestand aber aus lauter Vorruheständlern, und selbst die Referendare wirkten, als hätten sie Rehasport nötig. Das war nicht mal mehr ein Handwaschbecken, sondern höchstens eine eingetrocknete Pfütze. Und weil Christina noch nicht so routiniert in ihrem Job als Klassenlehrerin war, sah es in den ersten Monaten so aus, als würde aus der Vollzeitstelle eine Ohne-Ende-Stelle. „Ich kannte niemanden sonst in dieser Stadt, und alle, mit denen ich tagsüber zu tun hatte, kamen für nix in Frage. Nicht mal für ein gemeinsames Bier“, erzählt sie.
Im Gegensatz zu Anja hätte sie es nicht als problematisch empfunden, etwas mit einem Kollegen anzufangen – wenn es denn einen gegeben hätte, der dafür in Frage gekommen wäre. Denn schließlich macht es auch nochmal einen Unterschied, ob man sich als Praktikantin an jemanden ranschmeißt oder als hierarchisch gleichwertige Kollegin. Während die eine Konstellation schnell einen Beigeschmack bekommt, sind bei der anderen zwei Menschen auf Augenhöhe beteiligt.
Der Übergang vom Studenten- ins Berufsleben mag also Dating-Pool-mäßig erst mal ein Schock sein. Das Liebesleben wird anders – offensichtlich vor allem schwieriger und weniger unbeschwert. Und doch gibt es sie, diese Paare, die sich bei der Arbeit kennen gelernt haben. Immerhin ein Viertel aller deutschen Arbeitnehmer haben sich schon mal an ihrem Arbeitsplatz verliebt, so eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des Berufsnetzwerks Xing. Und das Statistik-Portal Statista meldet, dass immerhin 11 Prozent aller bestehenden Beziehungen über die Arbeit beziehungsweise zwischen Kollegen angebahnt wurden. Damit liegt der berufliche Kontext schon auf Platz drei der beliebtesten Kennenlern-Orte.
Aber Statistiken wie diese zeigen: Auch im kleineren Dating-Waschbecken finden etliche Menschen irgendwann das, was sie suchen. Oder müssen sich eben neue Alternativ-Tümpel zum Fischen suchen. Das Gute: Nach dem Eintritt in die neue Job-Welt haben Menschen wie Anja und Christina noch ein paar Jahrzehnte Zeit dafür. Schließlich stehen sie noch ganz am Anfang. Und der ist bekanntlich schwer.