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„Wer eine Aufgabe nicht gut erledigt hat, war eine Schwuchtel“

Das Großraum-Büro mit bunten Möbeln - auch so ein Klischee über Start-ups
Foto: unsplash/venveo

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Start-up-Mitarbeiter gelten oft als Fußvolk des digitalen Wandels und gleichzeitig als Motor der Modernisierung. Ihre Chefs werden von Fachmagazinen und Zeitungen als die Helden unserer Zeit inszeniert. Start-ups stehen häufig für eine neue, vermeintlich bessere und selbstbestimmtere Art zu arbeiten und zu leben.

Sam aber hat ganz andere Erfahrungen gemacht. Der 30-jährige Brite ist 2014 nach Berlin gekommen und durch Zufall in die Branche reingerutscht. Sam Gregson ist ein Pseudonym, unter dem er über seine Erfahrungen bei zwei Start-ups in der Hauptstadt ein Buch „The next big thing“ geschrieben hat, das gerade bei Benevento Books erschienen ist.

Was sich ihm dort offenbart hat, ist eine von weißen Männern und Stereotypen dominierte Scheinwelt. Rassismus, Sexismus und Homophobie sind Sam zufolge an der Tagesordnung.

jetzt: Bevor du nach Berlin gezogen bist, hast du in London gewohnt. Warum hast du die Stadt verlassen?

Sam Gregson: Nach meinem Abschluss habe ich in London mehrere Jahre als Market Researcher in einer Werbeagentur gearbeitet. Für einen jungen Menschen ist London ein toller Ort zum Wohnen. Aber eben auch ziemlich teuer. Du brauchst dein gesamtes Geld um einfach nur zu überleben. Ich war an einem Punkt absoluter Erschöpfung angelangt.

Und dann hast du dich entschieden, nach Berlin zu ziehen. Was hast du von dem Berliner Start-up-Leben erwartet?

Als ich hergezogen bin, hatte ich tatsächlich noch gar keine richtigen Erwartungen an mein Arbeitsleben in Berlin. Ich hatte lediglich einen Freund dort der meinte, ich könnte ganz einfach irgendeinen Job in einem Café oder so finden. Meine Erwartungen waren also erstmal eher sozialer Natur – entspannen, das Leben genießen halt und nicht dauerhaft den Stress haben, viel Geld für viel zu hohe Mieten verdienen zu müssen.

Wie bist du in die Start-up-Szene reingerutscht?

Ich habe mich ein paar Monate treiben lassen, bis ein Freund vorschlug, dass ich mir mal eine Messe anschauen soll, bei der sich lokale Start-ups vorstellen. Das habe ich auch gemacht und war wie hin und weg von den ganzen jungen Firmen mit den ehrgeizigen Chefs und Mitarbeitern, die alle offensichtlich etwas bewegen wollten.

Deine tatsächlichen Erfahrungen scheinen ja in eine ganz andere Richtung gegangen zu sein. Was ist passiert?

Es war ein totales Chaos. Es gab keinerlei Strukturen, an denen man sich entlanghangeln konnte. Oder jemanden, der einem sagen konnte, was man zu tun hat. Hierarchien haben auf eine abstruse Art und Weise extrem existiert – dadurch, dass es einen großen Unterschied zwischen der Chefebene und den anderen gab.

start up interview buch

Cover: benevento

Worin bestand dieser Unterschied?

 Es war ein doppelseitiges Problem. Erstens behauptete das Start-up, flache Hierarchien zu haben. Ich nahm also an, meiner Arbeit so nachgehen zu dürfen, wie ich es für richtig halte. Dem war aber nicht so. Es gab keine ausdrücklichen Hierarchien, aber die Macht konzentrierte sich auf der Ebene der Geschäftsführung. Ich bin meinem Job also nach bestem Gewissen nachgegangen und plötzlich war alles falsch. Das war sehr verwirrend, häufig hatte ich das Gefühl, einfach dumm oder verrückt zu sein. Die zweite Seite des Problems ist aber viel schwerwiegender. Wir mussten tun, was das Management wollte. Ohne Diskussion. Die Art der Arbeit und dessen Qualität hing also maßgeblich von der Persönlichkeit des Managers ab.

Immer, wenn eine neue Frau kam, hat man diese eklige „Okay, wer schläft als erster mit ihr?“-Haltung von überall vernommen

Du erhebst in deinem Buch auch schwerwiegende Vorwürfe: Sexismus, Rassismus und Homophobie seien in den beiden Start-ups, in denen du gearbeitet hast, fast an der Tagesordnung gewesen.

Die zwei Unternehmen haben ganz unterschiedliche Arten von Diskriminierung offenbart. In dem einen, das sich auf digitale Organisation von Daten spezialisiert hatte, wurde ich Zeuge von viel Alltagsrassismus. Hier haben hauptsächlich Männer gearbeitet, die mit Stereotypen nur so um sich geworfen haben oder sich gegenseitig mit dem N-Wort beschimpft haben. Ebenfalls abstoßend war auch der Umgang mit den wenigen Frauen im Büro. Sie wurden nur als Objekte der Begierde angesehen, vor allem Praktikantinnen. Immer, wenn eine neue kam, hat man diese eklige „Okay, wer schläft als erster mit ihr?“-Haltung von überall vernommen.

 Und bei dem anderen Unternehmen?

Das Unternehmen bietet ein Produkt an, das den Kunden bei der Optimierung seiner Ausgaben unterstützt. Dort haben viele Entwickler aus anderen Ländern gearbeitet, hauptsächlich aus Indien und Pakistan. Die haben dauernd irgendwelche Beleidigungen abbekommen. Ein Zwischenfall ist mir besonders lebhaft in Erinnerung geblieben: Bei ein paar After-Work-Drinks wurde einem jungen, indischen Kollegen von einem europäischen Mitarbeiter erklärt, dass Weiße an der Spitze der Pyramide stehen und alle anderen Rassen, besonders Inder, nach ganz unten gehören.

Wie hast du reagiert?

Ich bin zu dem jungen Kollegen gegangen und habe ihm gesagt, dass man das dem Management sagen muss und dass ich hinter ihm stehe. Aber das Management wollte sich damit offenbar nicht auseinandersetzen und gab dem Kollegen die Schuld. Er habe die ganze Angelegenheit provoziert, weil er doch auch gerne mal einen Witz mache. Und ja, das hat er auch, aber nie so. Er hat sich vielleicht mal über Frisuren lustig gemacht oder ähnliches. Aber das Management wollte von all dem nichts hören und sich vor allem nicht damit beschäftigen. 

Und wie stand es um die Homophobie in den Unternehmen?

Die war in beiden immer und überall anzutreffen. Wer eine Aufgabe nicht gut erledigt hat, war eine Schwuchtel. Wer sich für jemand anderen eingesetzt oder etwas infrage gestellt hat, war eine Schwuchtel.

Warum glaubst du ist dieser Typ Mensch in der Start-up-Szene offenbar so prominent vertreten?

Ich kann natürlich nur mutmaßen, aber ich glaube, dass Männer auf den Hype um die eigene Person, der sich einstellt, wenn man ein erfolgreiches Start-up gegründet hat oder in hoher Position dort arbeitet, deutlich mehr anspringen als Frauen. Das hat viel mit dem männlichen Ego oder dem männlichen Drang nach Bestätigung zu tun.

Im Buch führst du eine Studie an, die aussagt, dass nur 17 Prozent der Start-up-Gründer Frauen sind. Könnte die Community von mehr weiblichem Input profitieren?

Das ist ein schwieriger Punkt. Natürlich könnte sie das, aber dafür müssten Frauen auch in der Lage sein in eine Position zu kommen, in der sie ihre Gedanken und Ideen einbringen können. Wenn du ein Unternehmen mit 50 Menschen hast und dann 20 Frauen anstellst, wird das die Machtverhältnisse nicht groß ändern. Gleiches gilt für andere Minderheiten. Diese Ungerechtigkeit drückt sich natürlich auch im Gehalt aus.

Inwiefern?

Ich habe letztens mit einer ehemaligen Kollegin gesprochen, die noch bei einem der Unternehmen arbeitet. Sie hat herausgefunden, dass sie für den gleichen Job, den ein männlicher Mitarbeiter auch erledigt, nur die Hälfte des Gehaltes bekommt. Die Hälfte!

Kann es sein, dass du aufgrund zweier schlechter Erfahrungen sehr generalisierende Aussagen triffst? Hast du Angst davor, dass Leute dir vorwerfen, dich nur auszuheulen?

(lacht): Nein, da habe ich keine Angst vor. Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst. Du kannst heute nichts mehr schreiben ohne dafür auch harsche Kritik einzustecken. Das ist einfach so. Und ich behaupte ja auch nicht, dass es keine positiven Beispiele gibt.

Wo wären diese positiven Beispiele zu finden?

Vor allem in Entwicklungsländern. Es gibt Start-ups, die helfen Menschen in der Landwirtschaft, es gibt welche, die helfen eine vernünftige Bankenstruktur aufzubauen. Wieder andere helfen dabei, an medizinische Versorgung zu kommen. Am Ende ist es immer so: Wenn das gute Menschen sind, die aus der richtigen Motivation ein Unternehmen gegründet haben, dann ist es deutlich wahrscheinlicher, dass auch die Unternehmenskultur angenehm ist. Wenn es Macho-Arschlöcher sind, und das sind es häufig, dann vergiftet das auch die Kultur.

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