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Nationalpark im Kongo: Wie Ranger ihr Leben für die Berggorillas riskieren
Bethan und Robert, zwei junge Engländer, steigen in ein Safari-Fahrzeug. Auf dem Beifahrersitz sitzt eine junge Rangerin: Rachel. Sie hat eine AK-47 auf dem Schoß. Es soll in den Virunga Nationalpark gehen, den ältesten Park Afrikas, im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Er ist für seine atemberaubende Schönheit und die letzten Berggorillas der Erde berühmt ist – aber auch für seine Gefahren. Sie sind fast am Ziel, da gerät plötzlich das Auto unter Beschuss. Ranger Rachel ist sofort tot. Bewaffnete Männer zwingen Bethan und Robert sowie den Fahrer aus dem Auto. Sie werden entführt.
Der Überfall fand vergangene Woche am Freitag statt. Am Sonntag war das Paar befreit und unversehrt zurück. „Wir sind sehr dankbar,“ sagten die beiden gegenüber der BBC und lobten die Unterstützung bei der Befreiung. Kurz und knapp. Mehr Kommentare gab es nicht. Wie sie die zwei Tage im Dschungel überstanden haben, wer genau hinter dem Angriff steckt und ob Lösegeld bezahlt werden musste – all diese Fragen sind im Moment noch unbeantwortet. Fakt ist: Die Arbeit der Ranger im Virunga Nationalpark ist gefährlicher denn je.
176 Ranger haben bisher ihr Leben für den Park gelassen. Acht Tote allein in diesem Jahr. Eine blutige Liste, die dem Virunga Nationalpark den Ruf eingebracht hat, zu den gefährlichsten Naturschutzprojekten der Welt zu zählen. „Jeder einzelne Tote verursacht Schmerz und Frustration. Doch der jüngste Überfall war ein Schock“, erregt sich Augustin Kambale, Offizier im Koordinierungsbüro der Ranger-Operationen in Rumangabo. Er gehört zu den ältesten und erfahrensten Rangern des Parks. Es ist gerade Mal einen Monat her, da hat er fünf Ranger und einen Fahrer bei einem Rebellen-Angriff verloren. „Und dieser Überfall war gut vorbereitet“, erinnert er sich genau.
Die fünf Ranger, alle zwischen 22 und 30 Jahre alt, waren mit ihrem Kommandanten auf einer Patrouille im Zentralen Sektor unterwegs. Dort, wo sich Elefanten, Nilpferde, Löwen und Okapis tummeln. Und Rebellen. Auch hier ein Hinterhalt. Schreie, Schüsse, Kugelhagel aus automatischen Schusswaffen. Die fünf Ranger und der Fahrer waren sofort tot. Den Kommandanten, der auf dem Beifahrersitz saß, traf eine Kugel am Arm, doch er konnte ins Gebüsch hechten und in den dichten Wald entfliehen. „Wir haben den Notruf kurz vor acht Uhr morgens erhalten. Der Kommandant konnte uns über Funk informieren, sobald er in Sicherheit war“, berichtet Augustin Kambale. „Er ist zu Fuß durch den Wald bis in den nächsten Ort gelaufen, um dort seine Schusswunde notdürftig versorgen zu lassen. Dann haben wir ihn mit einem Flugzeug nach Goma evakuiert.“ Mindestens 30 bewaffnete Rebellen sollen es gewesen sein, die die Ranger angegriffen hatten.
„Es gibt unglaublich viele Waffen in diesem Park“, sagt Augustin Kambale
Die Park-Leitung schreibt den Überfall den Mai-Mai-Rebellen zu, die nur acht Kilometer vom Tatort entfernt ein Feldlager errichtet hatten. Doch sie sind nur eine von vielen bewaffneten Gruppen im Park. Im Süd-Westen ist die aus Ruanda kommende FDLR-Miliz aktiv, oben im Norden eine als islamistisch eingestufte Rebellengruppe mit dem Namen ADF-Nalu. Sie alle bereichern sich am Park, indem sie illegal fischen, wildern und töten. Fleisch und Fisch werden ebenso verhökert wie Elfenbein und Bodenschätze. Der Handel finanziert Waffen-Deals. „Es gibt unglaublich viele Waffen in diesem Park“, sagt Augustin Kambale.
Und dann gibt es noch die Menschen, die rund um den Park leben. Große Armut zwingt sie dazu, in den Park einzudringen, der zum UNESCO Weltkulturerbe zählt. Sie legen dort Felder an und fällen Bäume, um daraus Holzkohle herzustellen. Beinahe täglich konfiszieren Ranger illegale Kohle-Transporte. Urbain Butsitsi, Ranger am Sitz der Parkverwaltung in Rumangabo, zeigt auf einen Berg weißer Säcke, die am Morgen von einem LKW abgeladen wurden. Versteckt unter Plastikplanen und zwischen Granitsteinen sollte der Transport in die Provinzhauptstadt gehen. „Doch unsere Leute wissen, wie sie illegale Holzkohle identifizieren können“, erklärt er. „Holzkohle aus dem Park ist besonders hart.“ Beste Qualität. Nur illegal. „Die Kohle spenden wir Flüchtlingslagern oder armen Dorfgemeinschaften. Die Verantwortlichen überliefern wir der Polizei, aber meistens sind sie kurz darauf wieder frei.“ Ein enges Geflecht aus Korruption, bewaffneten Milizen und einem maroden Staat macht die Arbeit der Ranger zu einer ebenso schwierigen wie hochriskanten Aufgabe.
Rund 700 Ranger zählen heute zur „Quick Reaction Force“, zur schnellen Einsatztruppe. Seit 2011 werden sie von belgischen Kommandanten ausgebildet und agieren wie paramilitärische Einheiten. Khakigrüner Anzug, Springerstiefel, Funkgerät mit GPS-Einheit. Dazu Patronengürtel und Maschinengewehr. Auf riskante Patrouillen nehmen sie schusssichere Westen und Panzerfäuste mit. Ein Krieg zwischen Wilderern und Milizen auf der einen und Naturschützern auf der anderen Seite.
Wer innerlich nicht auf das Schlimmste vorbereitet ist, sollte nicht mit auf eine Mission fahren
„Ich sage immer wieder meiner Frau und meiner Familie, dass sie nicht überrascht sein sollen, wenn ich eines Tages bei meiner Arbeit umkomme“, sagt Christian Shamavu-Cinyunyi. Schon drei Mal ist er Rebellenangriffen entkommen. Zuletzt Ende 2016. „Da sind mir die Kugeln durch die Hosenbeine gezischt.“ Ein Kollege kam ums Leben. Der Vater von drei Kindern erzählt das überraschend abgeklärt, mit ruhiger Stimme, ohne große Gesten. Seine Emotionen kontrollieren zu können, gehört mit zum Job. „Doch man muss auch ehrlich sein. Wer innerlich nicht auf das Schlimmste vorbereitet ist, sollte nicht mit auf eine Mission fahren.“
Bei aller Gefahr beeindruckt der Park durch eine atemberaubende Schönheit. Im Norden das schneebedeckte Rwenzori-Gebirge, in der Mitte erstrecken sich unendliche Weiten subsaharischer Savanne und im Süden erhebt sich der Vulkan Nyiragongo, in dessen Krater der weltweit größte Lavasee brodelt. Und dann leben im dichten Dschungel um die Vulkanberge die berühmten Berggorillas. Etwa 250 sollen es sein und damit ein Viertel der letzten Berggorillas der Welt. Die übrigen verteilen sich auf die Gebiete der Nachbarländer Ruanda und Uganda.
Neun Gorilla-Familien sind im Kongo an den Menschen gewöhnt und können von Touristen besucht werden. Ein Ticket kostet im Virunga Nationalpark 400 US Dollar, während Ruanda im vergangenen Jahr den Preis auf 1500 US Dollar pro Person angehoben hat. Davon hatte der kongolesische Park zunächst profitiert. Die Touristen-Zahlen stiegen. Die Französin Sylvie Prouveur hat die Gorillas gleich an zwei Tagen hintereinander besucht. „Als einer der großen, männlichen Gorillas den Kopf gehoben und einen der Ranger mit solcher Intensität angeschaut hat, war ich einfach nur fasziniert“, erzählt sie. Sie dürfte vorerst einer der letzten Besucher gewesen sein. Denn mit der Entführung des britischen Pärchens wurden alle weiteren Touristen-Besuche abgesagt. Bis 4. Juni.
Rachel, die bei der Entführung der britischen Touristen ums Leben gekommen ist, war gerade mal 25 Jahre alt und die erste weibliche Wildhüterin, die ums Leben gekommen ist. 27 weitere junge Frauen zählen zur Truppe. „Meine Mutter war zuerst überhaupt nicht begeistert und meinte, so ein Job wäre nichts für Mädchen“, erzählt die 25-jährige Angèle Nzalamingi. Und natürlich hatte sie auch Angst um ihre Tochter. Und Angèle selbst? Angst weniger, sagt sie, aber der Tod von Kollegen stimme sie traurig. Wie ihr Kollege Christian weiß sie ihre Emotionen zu kontrollieren. Besonders vor Journalisten.
Angèle kommt aus einem Dorf nördlich des Parks und hat sich schon zu Schulzeiten für den Naturschutz interessiert. „Ich habe oft Wilderern ins Gewissen geredet, sie sollten den Park nicht bestehlen.“ Eine Waffe hat sie bis zu ihrem Arbeitsbeginn noch nie in der Hand gehalten. Heute hängt sich Angèle, die kaum größer als 1,65 Meter ist, ihre AK-47 ganz selbstverständlich über die Schulter. Auf jemanden schießen musste sie noch nicht. „Gott sei Dank“, gesteht sie und zum ersten Mal huscht ein Gefühl über ihr Gesicht: Erleichterung. „Trotzdem möchte ich keinen anderen Beruf. Mein Ziel ist es, Teil der schnellen Einsatztruppe zu werden“, sagt sie dann wieder fast trotzig. Als müsste sie es den Übeltätern zeigen.
Eine NGO hat geleakt, dass die Regierung plane, Teile des Parks zur Ölförderung freizugeben
Warum sie und die anderen jungen Ranger sich für diesen riskanten Job entscheiden, dürfte auch an dem regelmäßigen Gehalt liegen, das sie erhalten. Sie sagen das nicht. Doch ein Gehalt zwischen 250 und 300 US-Dollar ist viel Geld in einer Gegend Afrikas, die zu den ärmsten des Kontinents zählt. Lehrer, Polizisten, Krankenschwestern bleiben oft Monate lang unbezahlt, weil der Staat sich das Geld in die eigene Tasche steckt. Die Parkverwaltung bezahlt den Rangern außerdem medizinische Behandlungen, Transport und Essen und kümmert sich im Todesfall um die Witwen und Familien. Das alles sind Errungenschaften von Emmanuel de Merode, dem aus Belgien stammenden Parkdirektor, der 2008 von der kongolesischen Regierung ernannt wurde. Über die vergangenen Jahre hat er es geschafft, ein Netzwerk an Spendern und Unterstützern aufzubauen, inklusive des Philanthropen und US-Milliardärs Howard Buffet.
Doch 2018 steht die Zukunft des Virunga Nationalparks erneut auf dem Spiel. Die jüngsten Überfälle lassen nichts Gutes ahnen und die fehlenden Einnahmen durch Touristen treffen den Park empfindlich. Vor wenigen Tagen hat die Londoner NGO „Global Witness“ außerdem Informationen geleakt, dass die kongolesische Regierung plane, Teile des Virunga-Gebiets zur Ölförderung freizugeben. Unter der Erde des Parks liegen große Reichtümer. Das wäre nicht nur ein weiterer harter Schlag, sondern ein Vergehen gegen die UNESCO-Konventionen. „Wenn der Kopf eines Landes krank ist, geht alles kaputt!“, drückt Ranger-Senior Augustin Kambale es aus und zieht die Augenbrauen nach oben. Er muss zurück ins „Weiße Haus“, wie sie das hell angestrichene Gebäude der Parkleitung in Rumangabo nennen. Zurück ins Informationszentrum. Vorbereitet sein, falls der nächste Notruf herein kommt.