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Schluss mit unbezahlten Praktika

Foto: Marijan Murat, dpa; Bearbeitung: jetzt

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Es gab Tage, da war Marie von morgens bis abends im Theater. Requisiten kaufen, Bühnenbild basteln, Übungen für die Nachwuchsschauspieler vorbereiten. Mehr als ein Jahr dauerte ihr Praktikum in der Jugendabteilung des Wiener Burgtheaters, einem der renommiertesten Theater im deutschsprachigen Raum. Zunächst assistierte sie der Regisseurin wöchentlich für wenige Stunden. Als es auf die Premiere zuging, war sie über Wochen jeden Tag da. Bekommen hat sie dafür nichts.

     

„Mein Praktikum war ein Full-Time-Job, nur ohne Bezahlung“

„Gegen Ende hatte ich kaum noch Zeit für mein eigenes Leben. Mein Praktikum war ein Full-Time-Job, nur ohne Bezahlung. Volontariat wurde es genannt, aber eigentlich habe ich so viel Verantwortung wie in einem richtigen Job getragen. Ohne mich hätte die Produktion nicht stattfinden können“, sagt Marie. Sie möchte nicht, dass ihr richtiger Name hier steht, weil sich das negativ auf ihre Karriere auswirken könnte. Dass das Ganze unbezahlt sein wird, wusste sie im Vorfeld. Weil das Burgtheater aber so eine große Nummer in der Kulturlandschaft ist, war sie trotzdem bereit, auch ohne Gehalt zu arbeiten. Schließlich macht sich so ein Name gut im Lebenslauf und die Kontakte würde sie später auch brauchen. Und genau darauf setzen die Institutionen.    

„Solange die Betroffenen, die de facto in einem Arbeitsverhältnis stehen, den ihnen zustehenden Lohn nicht einfordern, sehen die meisten Kunst- und Kultureinrichtungen auch keinen Grund, ein ordentliches Gehalt zu zahlen“, meint Vanessa von Interndinner. Das offene Kollektiv richtet sich gegen Ausbeutung im Kulturbereich, insbesondere in der freien Kunstszene. Denn für Praktikantinnen und Praktikanten wie Marie gibt es keine Lobby. Sie hat erst von der Organisation erfahren, als ihr Praktikum schon vorbei war. „Das liegt auch daran, dass Praktika oft so kurz sind und die Leute meistens gar nicht die Möglichkeit haben, andere Betroffene kennenzulernen und sich zusammenzuschließen“, sagt Vanessa.

Daran wollte das Kollektiv etwas ändern und rief 2012 zum ersten Mal das Interndinner ins Leben. Das Abendessen für Praktikanten lockte viele junge Menschen an, die unbezahlt arbeiten. Über Sponsoring konnte das Kollektiv ein Menü organisieren, das in der Führungsetage vielleicht Standard, für Praktikanten aber eine seltene Würdigung ist. Mit dieser Wertschätzung auf dem Teller ging es dann ans Eingemachte: „Das Projekt ist spannend, das Eröffnungsbuffet reichlich, aber am Ende gibt das Budget leider doch kein Honorar für dich her? Du wolltest mitmachen und darfst jetzt kreativ Kaffee kochen?“, fragt das Kollektiv zum Einstieg und viele nicken. Denn es sind Situationen, in denen sich die meisten am Tisch wiederfinden. Dann folgt ein kurzer Vortrag zu Arbeitsrecht. „Uns geht es vor allem darum, junge Menschen für ihre Rechte zu sensibilisieren, denn viele wissen gar nicht, wie faire Praktika aussehen können.“

In Deutschland zum Beispiel müssen Praktika, die länger als drei Monate dauern, seit 2014 mit dem Mindestlohn vergütet werden. Das hat die Bezahlung insgesamt nach oben getrieben. Während 2011 noch 40 Prozent der Praktika unbezahlt waren, sind es heute laut Clevis Praktikantenspiegel nur mehr fünf Prozent. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert solche Erhebungen allerdings, weil diese nur Langzeitpraktika erfassten und drei Viertel aller Praktika noch immer vom Mindestlohn ausgeschlossen seien. Der lässt sich für Arbeitgeber nämlich leicht umgehen: Wenn das Praktikum kürzer als drei Monate ist oder Teil eines Pflichtpraktikums im Studium, dann müssen keine 8,50 Euro pro Stunde gezahlt werden.  

      

Wer sich unbezahlte Praktika nicht leisten kann, hat es später schwerer, einen bezahlten Job zu finden

Denn Marie ist keine Ausnahme. Das bestätigen die Erfahrungen des Kollektivs. Diejenigen, die zu ihren Workshops und Vernetzungsveranstaltungen kommen, haben alle schon mal ein Praktikum im Kunst- und Kulturbereich absolviert. Unbezahlt, so wie Marie. Das scheint normal in diesem Bereich. Und da alle irgendwie ihren Lebenslauf pushen müssen, um später in der Szene Fuß zu fassen, können sich die Arbeitgeber darauf verlassen, dass es immer genug Freiwillige gibt, die für wenig bis gar kein Geld arbeiten. Denn der Konkurrenzdruck untereinander ist groß, das hat auch Marie gespürt: „Ich wusste genau, wenn ich das nicht umsonst mache, dann bekommt wer anders den Praktikumsplatz und hat das dann im Lebenslauf stehen. Deshalb ist man praktisch gezwungen, mitzuspielen.“

Durch diese Dynamik wird das Problem auf diejenigen verlagert, die davon betroffen sind. Es entsteht eine Abhängigkeitsspirale: Wer sich unbezahlte Arbeit nicht leisten kann, hat es später schwerer, einen bezahlten Job in der Kulturlandschaft zu finden, denn gerade in diesem Bereich dienen unbezahlte Praktika oft dem Berufseinstieg.  

Interndinner macht deshalb an den richtigen Stellen Druck. Gerade wollen sie durchsetzen, dass keine unbezahlten Jobangebote mehr über den Mailverteiler der Wiener Akademie der Bildenden Künste gehen. Denn die Kunst-Unis sind ein beliebtes Ziel, um kostenlose Arbeitskräfte für Low-Budget-Produktionen anzuwerben. Was Vanessa daran besonders ärgert: Die Mails werden von den Profs selbst weitergeleitet, egal wie unterirdisch die Angebote sind. Deshalb flyert das Kollektiv bei den Rundgängen der Akademien, fordert Profs durch Massenmails und Beschwerden aber auch direkt auf, ausbeuterische Angebote nicht mehr weiterzuleiten.  

   

Gleichzeitig ermutigt die Gruppe mit Workshops die Bewerberinnen selbst, sich über ihre eigenen Arbeitsrechte bewusst zu werden. „Wir hatten einen Workshop, da haben wir alle Praktikumsangebote, die gerade auf dem Markt waren ausgedruckt und in hot, okay und not hot unterteilt“, erzählt Vanessa. Not hot bedeutete gar kein Gehalt und Tätigkeiten, bei denen man nichts lernt. Okay konnte auch noch unbezahlt, dafür aber ein sehr spannender Job sein und hot waren nur die Angebote, die sowohl ein gutes Gehalt, als auch Lernpotenzial beinhalten. Eher eine Seltenheit, wie Vanessa bestätigt: „Der Hot-Stapel war mit Abstand der kleinste und der mit den schlechtesten Angeboten der größte. Da wurden Tätigkeiten wie Catering oder Ticketing als Praktika verkauft. Das sind Arbeitsverhältnisse, für die andere Menschen bezahlt werden.“

Deshalb rät das Kollektiv, schon bei der Bewerbung genau hinzuschauen: „Wenn die Beschreibung feste Arbeitszeiten und hohe Eigenverantwortung erfordert, dann ist das kein Ausbildungs- sondern ein Arbeitsverhältnis und dann muss das auch angemessen bezahlt werden. Wenn die Tätigkeit eher ein Begleiten ist und man keine festen Anforderungen hat, sondern hauptsächlich was lernt, dann kann es als Praktikum im Sinne eines Ausbildungsverhältnisses durchgehen“, sagt Vanessa. Wer Zeit und Energie hat, sollte deshalb besonders dreiste Anbieter per Mail auf diesen Unterschied hinweisen, damit diesen Unverschämtheiten ein bisschen die Normalität entzogen würde. „An sich sollte aber jede Form von Arbeit bezahlt werden“, fügt sie dann noch schnell hinzu. In der Realität verschwimmt diese Grenze zwischen Ausbildungs- und Arbeitsverhältnis jedoch oft.

„Unser Wunsch ist es natürlich, alle adäquat zu bezahlen“, sagt Konstanze Schäfer, Presssprecherin des Burgtheaters. Allerdings gebe es so viele Bewerbungen auf die Produktionen, dass nur eine Hospitanz pro Stück mit einer Pauschale von 500 Euro vergütet werden könne. „Eine weitere Aufnahme kann daher nur mehr als unbezahltes Volontariat – ohne Arbeitsverpflichtung – erfolgen. Solche Volontäre gibt es auch in anderen Bereichen wie der Presseabteilung“, sagt Schäfer. Übersetzt bedeutet das: bezahltes Praktikum am Burgtheater ja, aber nur mit sehr viel Glück. Der Großteil der Praktika bleibt unbezahlt. Aber dafür, so die Argumentation, habe man auch keine Pflichten, die einem bezahlten Job entsprechen. Das Burgtheater liege mit dieser Regelung über dem Durchschnitt im Kulturbereich, meint die Pressesprecherin.

Wie hoch das Durchschnittsgehalt eines Praktikanten speziell in Kulturbetrieben wirklich ist, dazu lassen sich nur schwer Zahlen finden. Außerhalb von freiwilligen und Pflichtpraktika gehören 500 Euro im Monat zu den niedrigsten Gehältern, die branchenübergreifend gezahlt werden, zeigt diese Auflistung des Praktikantenspiegels 2014. Und das Burgtheater zahlt diese 500 Euro nicht monatlich, sondern als Pauschale für die komplette Hospitanz. Selbst mit diesem Pauschalhonorar wäre die Arbeit, die Marie in der Zeit ihres Praktikums geleistet hat, nicht angemessen oder gar nach Mindestlohn bezahlt gewesen, meint sie: „Ich habe mir meine Stunden gar nicht erst ausgerechnet. Auch mit 500 Euro wäre ich auf einen sehr bescheidenen Stundenlohn gekommen, für den ich niemals arbeiten würde.“ Und wenn die Produktion erst mal läuft, sei es auch schwierig, auf ein Ausbildungsverhältnis zu pochen: „Wenn dir jemand sagt, du hast keine Arbeitsverpflichtung, du aber gleichzeitig weißt, dass ohne dich die Produktion nicht läuft, dann fängst du nicht an, über Arbeitsrechte zu diskutieren. Dann bist du so im Workflow, dass du dich komplett mit dem Projekt identifizierst und alles dafür gibst.“

 

Denn schließlich mache die Arbeit ja auch Spaß. Vor dieser Legitimationsgrundlage war Marie zwar abends immer wahnsinnig erschöpft, dafür sehr dankbar über die Kontakte und die Erfahrung, die ihr das Praktikum vermittelte. Heute sieht sie das anders: „Erst im Nachhinein merkst du, was du da eigentlich geleistet hast. Und dann ist es schon bitter, wenn dir auffällt, dass du keinen Cent dafür bekommen hast. So ein Praktikum würde ich ohne Gehalt heute nicht mehr machen. Auch nicht für den Lebenslauf.“

(Texte über) Geld kann man nie genug haben:

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