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Interview mit Pamela Grossmann von Getty Images über Stock-Fotografie und visuelle Trends
Pamela Grossman, 36, arbeitet seit dreieinhalb Jahren als „Visual Trend Forecaster“ bei der amerikanischen Bildagentur Getty Images, einem der weltweit größten Anbieter von Bildern und Filmaufnahmen für Werbung, Medien und Unternehmenskommunikation. Pamela und ihr Team sind dafür verantwortlich, herauszufinden, welche Art von Stock-Fotos in Zukunft gefragt sein werden und diese bei Fotografen in Auftrag zu geben. Die Fotos werden von Unternehmen, aber auch von politischen Parteien aus 200 Ländern für ihre Werbungen und Kampagnen genutzt. Darum ist es nicht übertrieben zu sagen: Pamela Grossman hat einen Einfluss darauf, wie wir die Welt sehen. Wie geht sie mit dieser Verantwortung um? Und wie findet sie überhaupt raus, welche Bilder wir sehen wollen – oder sollen?
jetzt: Schwierigste Frage zuerst: Hast du Lieblingsbilder?
Pamela Grossman: Ich liebe alles, was total imaginär oder surreal ist. Mein persönlicher Geschmack ist also nicht sehr markttauglich.
Was ist denn gerade markttauglich?
Durch den großen Einfluss, den sozialen Medien auf die visuelle Kultur haben, gehen die Bilder im Moment sehr stark in Richtung Authentizität. Marken und Werber wollen Bilder, die natürlich wirken und die regional und kulturell spezifisch sind.
Was bedeutet das für deinen Job?
Es ist wichtig, dass wir Trends in den sozialen Medien beobachten: Welches Bild wird auf Instagram und Facebook am meisten geteilt? Und warum? Ist es besonders lustig? Besonders emotional? Hat es eine besonders schöne Bildkomposition? Die Erkenntnisse dieser Beobachtungen müssen wir dann auf unsere Bilder übertragen. Seit sieben oder acht Jahren nutzen wir kaum noch Model-Agenturen, sondern machen viele Shootings, bei denen wir uns an den Fotos und Motiven orientieren, die wir aus den sozialen Medien kennen, und ermutigen unsere Fotografen, in einem ähnlichen Stil zu fotografieren, wie sie es privat auch machen würden. Außerdem kooperieren wir mit Unternehmen für mobile Fotografie und haben mittlerweile auch eine eigene Sammlung mit „User Generated Content“.
Ihr veröffentlicht jährlich eine Prognose der „visuellen Trends“ für das kommende Jahr, in der ihr voraussagt, welche Bilder gefragt sein werden. Wie kommt diese Prognose zustande?
Durch eine Kombination aus Studien und informierter Mutmaßung. Zum einen können wir sehr spezifische Daten erheben, also analysieren, welche Begriffe in unserer Datenbank aktuell häufiger gesucht wurden, von wem und in welcher Region. Zum anderen brauchst du in deinem Team Menschen, die Muster erkennen, die einen guten Instinkt und ihren Finger am Puls der Zeit haben. Wir brainstormen viel und wir beobachten ästhetische Trends in Mode, Kunst, Technologie und Film und versuchen, die Innovationen in diesen Bereichen auch in unsere Bilder einfließen zu lassen.
Was war denn zum Beispiel eine Prognose für 2017?
Für dieses Jahr haben wir unter anderem den „Gritty Woman“-Trend (dt. etwa „draufgängerische Frau“, Anm. d. Red.) prognostiziert. Das ist eine Entwicklung aus Gender-Trends, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten. Feminismus und Geschichten rund um weibliche Protagonisten wurden schon vor vier, fünf Jahren populärer. Damals hatten wir in einer unserer Vorschauen einen Trend namens „Female Rising“. In einer anderen dann „Gender Blend“, ein Trend, der zeigte, dass unser Konzept von Geschlecht fließender werden würde. Der „Gritty Woman“-Trend ist unter anderem daraus entstanden, dass die Suchanfrage nach „woman + grungy“ (dt. etwa „Frau + dreckig“, Anm. d. Red.) im letzten Jahr weltweit um 105 Prozent angestiegen sind. In Deutschland sogar um 605 Prozent.
Und wie sieht ein Gritty-Woman-Bild aus?
Es zeigt eine starke Frau. Manchmal hat sie tatsächlich Blut oder Schlamm oder Dreck an sich. Oder es zeigt eine wütende Frau, das ist ja vielerorts immer noch ein Tabu. Aber der „Women’s March“ ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass die „Gritty Woman“ auf dem Vormarsch ist. Wir können gerade weltweit eine Mobilisierung von weiblicher Energie beobachten.
„Wenn ein Kunde ein Bild von einer Frau im Bikini will, bekommt er das auch. Wir sind ja nicht die Bild-Polizei“
Und was ist mit den Kunden, die konventionelle Frauenbilder wollen?
Wir haben Millionen Kunden mit verschiedensten Bedürfnissen. In Japan zum Beispiel gab es keinen Anstieg in den Suchanfragen nach „woman + grungy“. Und wenn ein Kunde ein Bild von einer Frau in einem Bikini haben will, dann bekommt er das auch. Wir sind ja nicht die Bild-Polizei. Aber wir wollen Alternativen anbieten.
Auch, was die Darstellung von Männern angeht?
Ja. Wir haben mittlerweile viele tolle Bilder von Frauen in Führungspositionen, Frauen, die Meetings leiten, Wissenschaftlerinnen und so weiter. 2014 haben wir die „Lean In“-Sammlung veröffentlicht (eine Stockfoto-Datenbank, die sich auf Bilder von selbstbewussten Frauen und Mädchen konzentriert, Anm. d. Red.), das war in diesem Bereich richtungsweisend. Aber wir achten auch darauf, dass wir Männer in Pflegeberufen zeigen, Männer als Mitarbeiter, Männer, die Frauen zuhören, oder auch kleine Jungs, die mit Puppen spielen. Denn Geschlechterrollen sind zum großen Teil soziale Konstrukte und diese Konstrukte werden immer und immer wieder durch Bilder bestätigt. Wenn wir mit unseren Bildern ein größeres Spektrum zeigen, dann wird das, was darauf zu sehen ist, normalisiert und am Ende gesellschaftlich akzeptiert. Wir waren auch mit die ersten, die Bilder von schwulen und multiethnischen Paaren und Familien angeboten haben.
Aber bei Kunden in 200 Ländern ist es doch sicher schwierig, den richtigen Zeitpunkt zu finden, Bilder schwuler Paare anzubieten, ohne einige Kunden damit zu überfordern.
Klar, in verschiedenen Regionen gibt es verschiedene Ansichten, was diese Themen angeht. Das müssen wir respektieren. Aber auf der anderen Seite würden wir unseren Job nicht gut machen, wenn wir nicht auch beachten würden, in welche Richtung sich die Gesellschaften in einigen unserer größten Märkte bewegen.
Auch politische Parteien nutzen eure Bilder. Hast du den US-Wahlkampf in deinem Job gespürt?
Die Kampagnen selbst hatten keinen so großen Einfluss darauf, sondern eher, was drumherum diskutiert wurde. Wir müssen die starke Polarisierung der Gesellschaft beachten und sicherstellen, dass sich jeder irgendwo in unseren Bildern wiederfindet. Viele unserer Kunden wollen aktuell die Idee von Gemeinschaft, Akzeptanz und Inklusivität betonen. Die Suchanfragen für „Globalisierung“ und „Einwanderung“ sind angestiegen. Auf der anderen Seite haben wir auch Kunden, die die weiße Arbeiterklasse der USA zeigen wollen, die Menschen, die sich isoliert fühlen und sich oft nicht in der visuellen Kultur wiedererkennen.
„Wir wollen moderne Bilder von Muslimen zeigen, respektvoll und zeitgemäß“
Gibt es noch andere Gruppen, die sich nicht wiedererkennen?
Muslime. Die Suchanfrage „Muslimin“ und die Nachfrage nach Bildern, die muslimische Kultur zeigen, ist im letzten Jahr durch die Decke gegangen! Wir wollen diese Entwicklung widerspiegeln und moderne Bilder von Muslimen zeigen, respektvoll und zeitgemäß. Es ist sehr spannend, dass wir jetzt zum Beispiel mit muslimgirl.com kooperieren, eine großartige Webseite, die sich an junge, muslimische Frauen wendet. Sie machen Shootings für uns.
Wenn jemand ein Bild zum Stichwort „Einwanderung“ oder „Muslimin“ sucht, kannst du aber nicht verhindern, dass er es in einem negativen Kontext zeigt, oder?
In unseren Nutzungsbedingungen müssen die Kunden zustimmen, dass sie unsere Bilder nicht in einem diffamierenden Kontext einsetzen. Aber es liegt in der Natur unserer Branche, dass wir die Bilder kreieren – und der Kunde den Kontext.
Fühlst du dich manchmal mächtig? Weil du beeinflussen kannst, wie Menschen die Welt sehen?
Naja, mal abgesehen davon, dass ich daheim im Schlafzimmer auf einem Thron sitze und mit einem Zepter herumwedele... Nein, Quatsch. Ich empfinde es als eine wundervolle Verantwortung und als Privileg, dass ich mit kreativen Menschen auf der ganzen Welt zusammenarbeiten und mitbestimmen kann, wie visuelle Kommunikation aussieht. Bilder ändern unsere Wahrnehmung und das macht den Job so bedeutsam. Ich liebe zum Beispiel all die Bilder, die starke Frauen zeigen, Frauen, die sich wohlfühlen – weil ich glaube, dass genau solche Bilder unsere Welt zu einem besseren Ort machen.