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Horror-Nebenjob: Aushilfe im Discounter
Horror-Stufe: 5 von 10
Chef*in: Filialleitung Renate (Name geändert)
Bezahlung: Mindestlohn Erlernte Skills: kündigen
Ich hätte auf sie hören sollen: Als ich den Discounter bei mir um die Ecke betrat und eine Bewerbungsmappe in der Hand hielt, beugte sich eine junge Mitarbeiterin, die gerade im Eingangsbereich kehrte, zu mir und sagte: „Du willst hier nicht wirklich arbeiten!“ Aber ich lachte nur und tat es als eine Art Gag ab. Ich erwartete ohnehin nicht viel von dem Job, nur, dass er fußläufig zu erreichen war und mir mein 450-Euro-Nebeneinkommen im Studium ermöglichte. Zwei Tage später war ich eingestellt und hatte meinen ersten Arbeitstag.
Mein erster Kontakt war eigentlich ganz nett: Nennen wir sie Stefanie. Stefanie war Auszubildende im dritten Jahr, sehr freundlich, aber auch sehr ausgelastet: „Vom Vertrag her müsste ich dich mindestens 20 Stunden anlernen, aber die Chefin ist krank, das schaffen wir nicht“, sagte sie. „Räum doch mal gleich die Ware da hinten ein. Und nicht wundern: Ist wie Tetris.“ Jede*r kennt diese metallischen Kästen aus Discountern wie Aldi, Lidl oder Netto, wo Pfannen, Gartenwerkzeug, Stifte oder Bettbezüge angeboten werden. Aber nur Mitarbeiter*innen wissen, wie stressig es ist, das Zeug schnell und ordentlich einzuräumen. Vor allem, wenn man nicht weiß, was wo wie hin muss. Stefanie merkte schnell, dass ich zu langsam und etwas überfordert war und übernahm dann. Ich füllte währenddessen andere Regale nach: Säfte, Dosenessen, Müsli. Schon nach dem ersten Tag im Discounter hatte ich Rückenschmerzen.
Mein Hauptproblem während des Jobs lernte ich erst an Tag drei kennen: die Chefin
An der Kasse wurde ich zwei Minuten eingelernt, danach stand meine Kollegin etwa eine Stunde lang hinter mir und beobachtete mich. Das war’s. Ab dann war ich auf mich allein gestellt. Und, lasst uns bei der Wahrheit bleiben: Ich hab es nicht gut gemacht. Mal war ich aufgeregt und fahrig, weil ein Bekannter bei mir einkaufte. Mal scannte ich etwas zweimal, mal etwas keinmal, mal gab ich die falsche PLU (Nummer für Obst) ein, weil ich mir nicht sicher war, ob der Apfel nun bio war oder nicht, und einmal verzählte ich mich beim Wechselgeld. Ich hätte die 20 Stunden Einarbeitung also wirklich gut gebrauchen können.
Mein Hauptproblem während des Jobs lernte ich erst an Arbeitstag drei kennen: die Chefin namens Renate. Eine garstige Frau, anders kann ich es nicht sagen. Ich stellte mich nett vor, doch ihr Blick lief an mir herunter, als hätte sie gerade eine übergroße Spinne oder etwas anderes Abstoßendes vor sich. „So so“, sagte sie. „Du bist also diese Studentin.“ Sie sprach dieses letzte Wort mit besonders viel Hohn in der Stimme aus.
Wann immer ich ab dann im Gang an ihr vorbeilief, wir uns bei der Müllpresse oder im Lager trafen, funkelte sie mich an, manchmal schüttelte sie sogar den Kopf. Eines Abends nach Ladenschluss, als ich die Pfandflaschen aus dem Automaten holte und Stefanie saubermachte, fragte ich Stefanie, was ich wohl falsch gemacht hätte. „Ich denke nichts“, sagte sie. „Also du machst es natürlich noch nicht perfekt, aber die ist auch zu mir noch immer so.“ Von da aus kamen wir in ein tiefes Gespräch über Stefanies Arbeitsbelastung, über den Druck, den Renate ihr täglich machte, über fehlende Wertschätzung. Am Ende weinte sie. Und ich hatte gelernt, dass es mit Renate wirklich niemals leicht werden würde.
Sich Kleingeld in die Hand zählen zu lassen, sei unmöglich, das dauere zu lang
Der Eindruck bestätigte sich wenig später. Ich saß an der Kasse, einige Leute standen an, eine alte Frau zählte mir gerade ihr Kleingeld in die Hand. Renate kam angestürmt, baute sich vor mir auf und räusperte sich. Ich verabschiedete die alte Dame und begann den nächsten Einkauf zu scannen, während Renate vor versammelter Mannschaft zu mir sagte: „Du musst auch wirklich immer freundlich sein, oder?“ „Ähm, ist das was Schlechtes?“, sagte ich nur. Sie verschwand und kam erst wieder, als gerade keine Kund*innen an der Kasse waren.
„Wir sind ein Discounter, kein Supermarkt“, sagte sie. Und dann so etwas wie: „Wir reden nicht mit Kund*innen, wir beraten sie nicht. Wir verkaufen nur und das so schnell wie möglich.“ Sich Kleingeld in die Hand zählen zu lassen sei unmöglich, „das dauert zu lang.“ Sie habe sich außerdem eben meine Kassenzeiten angesehen und meine durchschnittlichen Leistungen seien „nicht gut“, bedeutungsschwangerer Blick. Ich erklärte ihr, dass ich tatsächlich auch nur eine und nicht 20 Stunden eingelernt worden war und ich mir das so schon relativ gut erklären könne. Außerdem hatte mir nie jemand gesagt, dass ich den Auftrag hätte, nicht freundlich zu sein.
„Dann werde ich mit Stefanie sprechen müssen“, sagte sie. Autsch, das hatte ich nicht gewollt. Stefanie würde nun sicher Ärger kriegen. „Und dir schicke ich in den kommenden Tagen ein paar Testkunden vorbei. Dann gucken wir mal, ob du es bis dahin noch lernst.“ Sie blieb ab dann in meiner Nähe stehen, natürlich ohne etwas zu erklären – sie beobachtete mich nur beim Kassieren.
Ich bemühte mich wirklich. War schnell, neutral gegenüber Kund*innen, guckte immer misstrauisch in Einkaufswagen, ob irgendwer etwas gestohlen haben könnte. Eine halbe Stunde verging, bis eine Frau mit Kind bei mir einkaufte. Sie hatten nicht viel im Wagen, ihre Waren waren schnell gescannt. Nachdem ich kassiert hatte, kam Renate triumphierend auf mich zu.
„Die beiden haben einen Testkauf gemacht. Und du bist durchgefallen“
„So, das war leider gar nicht gut.“ Innerlich jubelte sie sicherlich. „Das sind meine Tochter und ihr Sohn, die beiden haben einen Testkauf gemacht. Und du bist durchgefallen.“ Die Tochter guckte mich entschuldigend an. „Aber was hab ich denn falsch gemacht?“, fragte ich. Ich konnte mich wirklich nicht entsinnen. Renate nickte ihrem Enkel zu, ein kleiner Junge, ich schätzte ihn auf vier oder fünf Jahre. Er schob seinen Schal beiseite, öffnete schüchtern seine Daunenjacke und zog aus dem Hosenbund eine Süßigkeit heraus. Das war es. Ein Kind hatte hinten im Laden geklaut und ich es vorne an der Kasse nicht beobachtet. Und nach Renates Logik wohl noch schlimmer: Ich hatte ihn nicht gebeten, sich an der Kasse zu entkleiden. Wie konnte ich nur?
Am nächsten Tag rief ich Renates Vorgesetzten an, der mich wenige Wochen zuvor eingestellt hatte. Ich kündigte. Nicht, ohne Renate als unmögliche Chefin für die gesamte Belegschaft zu bezeichnen. Es war, als könnte ich ihn nicken hören. Er sagte fast erschöpft: „Ich weiß.“ Ab diesem Tag betrat ich den Discounter kein einziges Mal mehr. Was aus Stefanie geworden ist, weiß ich nicht. Ich hoffe, sie hat die Filiale gewechselt.